Den Sorte Skole

Weltmusikalisches Geisterorchester

30. August 2022

Lesezeit: 6 Minute(n)

Das dänische Duo Den Sorte Skole begann einst mit Hip-Hop und mixt heute Mashups aus Feldaufnahmen religiöser Musik aus aller Welt mit Electronica in Verbindung mit Lichtkunst und führt dies in Kirchen auf. Das klang- und lichtgewaltige Ergebnis fasziniert und lässt eine Art Weltmusik 2.0 als innovativer, universeller Klang entstehen. Gleichzeitig stößt es die Frage an, ob hier fremde Musikkulturen unter Verletzung von Urheberrechten ausgebeutet werden. Der Versuch einer Einordnung.
Text und Livefotos: Hans-Jürgen Lenhart

„Es ist technische Musik, die sich dem beständigen Vorwärtsdrang verweigert.“

Katharinenkirche Frankfurt am Main im November 2021. Den Sorte Skole führen zusammen mit dem Kopenhagener Lichtkunstkollektiv Vertigo und dem Organisten der Kirche Martin Lücker die audiovisuelle Performance Refrakto auf. Die dunkle Kirche ist in leichten Nebel gehüllt. Nach dem Intro der mächtigen Rieger-Orgel beginnen Lichtstangen zu glimmen, und es startet eine faszinierende Klangreise. Eine Totenklage von den Salomonen trifft auf Jodler des kongolesischen M’Benga-Volkes. Man hört aber auch Ausschnitte aus einem Album der deutschen Krautrocker Faust oder georgische Kirchengesänge. Selbst „The Litanies Of Satan“ der US-amerikanischen Avantgardekünstlerin Diamánda Gálás ist vertreten.
Verwoben miteinander sind Hunderte von Samples und Sounds zu einer komplexen Komposition, deren Dramaturgie durch die dazu synchron reagierende Licht- und Lasermappingshow Vertigos gesteigert wird. Die Vokalklänge sind ausnahmslos spiritueller Art und verschmelzen organisch, vermischt mit elektronischen Klängen und Rhythmen, während die fließenden Übergänge eine durchaus meditative Erfahrung ermöglichen. Die Musiker sind dabei am licht- und nebelverhangenen Altar kaum auszumachen.

Refrakto in Frankfurt 2021. Foto: Hans-Jürgen Lenhart

Die sich in alldem manifestierende akustische Vereinigung verschiedener Religionen zeigt der Politik, was ohne Glaubenskriege möglich wäre. Gleichzeitig wirkt das Ganze in Zeiten zunehmender Crossoverkonzepte und multinationaler Bands innerhalb der Weltmusik als konsequente Erneuerung des Begriffs als solchem, der wortwörtlich genommen und gleichzeitig als kommerzieller Genrebegriff aufgelöst wird. Der Schatten, der auf dem Konzept liegt, ist jedoch die Frage der unerlaubten Aneignung der Musik durch Kunstschaffende, die kaum in der Lage sind, sich um Verwertungsrechte zu kümmern, und die ihre Inhalte oft im Internet sammeln.

Den Sorte Skole („Die schwarze Schule“) wurden nach 2003 in der dänischen Hip-Hop-Szene bekannt, in der Sampling Alltag ist. Martin Højland und Simon Dokkedal „vermanschen“ – so die direkte Übersetzung von Mashup – in ihren Produktionen das Material Dritter. Bereits 1981 wurde das Album My Life In The Bush Of Ghosts von Brian Eno und David Byrne mit seinen afrikanisch-arabischen Samples als Wegbereiter einer neuen Art im Umgang mit Weltmusik gesehen. Waren hier noch Gesang und Instrumentaleinspielungen die Basis, so sind die Mashups Den Sorte Skoles Klangfetzenkompositionen, die keinerlei stilistischer Tradition entsprechen. Musik der Welten als Klangkörper. Wenn sie Folk auf psychedelischen Rock, Jungle auf klassische Musik, Dubstep auf Filmmusik und Feldaufnahmen auf Electronica treffen lassen und dabei immer im Fluss sind, wirkt es, als gehörten all diese Klänge seit jeher organisch zusammen.

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„Wir legen unsere Quellen immer offen.“

Dazu meint Martin Højland: „Ob sie es als Weltmusik empfinden, hängt von denen ab, die es hören. Wichtig für uns ist, dass man die Musik und die, die es produziert haben, nicht mehr identifizieren kann. So können Gesang und Percussion beispielsweise in einem Moment aus unterschiedlichen Kontinenten und Zeiten stammen, sodass ein musikalisches Paralleluniversum entsteht. Wir sind die Kuratoren einer Idee. Die gleiche Idee von Menschen aus Afrika umgesetzt, würde wieder anders klingen. Manchmal glauben Hörende, aus dem Mix etwas herauszuhören, was gar nicht stimmt. Für uns ist es ein Spiel mit Höreindrücken.“ Und Simon Dokkedal ergänzt: „Weltmusik war früher stark auf verschiedene Kontinente bezogen. Wir lassen uns von jeglicher Art von Musik aus aller Welt inspirieren, egal welchen Stils, und erhoffen uns dabei, dass die, die es sich anhören, sich dadurch für Musik zu interessieren beginnen, die sie vorher noch nie gehört haben.“

Mashupmusiker und -musikerinnen sehen sich auf einer Ebene mit der Anwendung der Collagetechnik in der bildenden Kunst sowie als Schöpfer von Kompositionen, die ein Orchester der musikalischen Geister dirigieren, die sie riefen. Sie haben aber das Problem, juristisch schnell wegen Urheberrechtsverletzung verfolgt zu werden. Die Musikindustrie geht unterschiedlich damit um. Der Musiker John Oswald, einer der Pioniere der Mashupidee, wurde 1987 gezwungen, sein Album Plunderphonic mit Popmusikcollagen trotz Quellenangaben aus dem Vertrieb zu nehmen, wurde aber vier Jahre später von der Firma Elektra eingeladen, ihr Archiv für seine Musik zu „plündern“. Nach einer Abmahnung in Dänemark stellten Den Sorte Skole ihre Taktik um. Sie verlegten sich von physischen Tonträgern auf das Internet als Grundlage des Sammelns von Samples und stellten den Verkauf entsprechender Alben ein. Auf der Bandcamp-Seite des Duos lässt sich ihre Musik jedoch streamen. Dort finden sich auch das 2016 veröffentlichte Album Indians & Cowboys sowie Aufnahmen, die sie gemeinsam mit klassischen Ensembles wie dem Danish National Chamber Orchester aufgenommen haben. Juristen streiten seit Langem über die Frage, wie praktikabel das Copyrightsystem im digitalen Zeitalter überhaupt noch ist, inwieweit es Urhebern und Urheberinnen zugutekommt oder ob es für die freie Entfaltung von Kunst doch eher hinderlich ist. Es lohnt sich aber, bei Den Sorte Skole genauer hinzuschauen.

„Wir haben das Problem im eigentlichen Sinne nicht gelöst“, erklärt Højland. „Aber wir legen unsere Quellen immer offen und verteilen ein entsprechendes Heft bei Konzerten, verstecken uns also nicht. Wir sind auch bereit, die Hälfte einer zuzuordnenden Einnahme mit dem Urheber oder der Urheberin einer Samplemusik zu teilen. Das rechtlich alles zu klären, ist aber faktisch unmöglich. Wir benutzen Musik aus über siebzig Ländern, die zu der Thematik die unterschiedlichsten Regeln haben. Das hat uns auch die dänische Gesellschaft für Tantiemenrechte bestätigt. Umgekehrt bekommen wir auch keine Tantiemen für unsere Veröffentlichungen. Man muss weiterhin bedenken, dass viele Aufnahmen Feldaufnahmen sind, bei denen die Rechte bei einem Majorlabel liegen, die den darauf zu hörenden Musikern und Musikerinnen nie etwas zahlten.“ Durch die Quellenangaben haben sich sehr wohl Betroffene bei dem Duo gemeldet. Sie reagierten aber ausnahmslos erfreut, dass ihre Einspielungen für den Mix genutzt wurden.

Nun handelt es sich bei dem aktuellen Projekt um religiöse Musik, die für manche ein Heiligtum ist. Das wirft die Frage nach Reaktionen auf und die, ob man damit ein Sakrileg begeht. Højland versucht zu differenzieren: „Zunächst einmal verwenden wir religiöse Musik bislang nur für das Projekt Refrakto, das in Kirchen aufgeführt wird, also nicht bei Raves. Wir legen auch keine House-Beats unter Rezitationen des Koran. Die religiösen Gemeinden haben uns bisher dazu ausschließlich positives Feedback gegeben. Bei dieser Aufführung kommt zudem fast nur Publikum, das normalerweise keine Gottesdienste mehr besucht und hier eine andere spirituelle Erfahrung macht. Vor Refrakto waren unsere Konzerte sehr aggressiv, und es gab richtige Konflikte. Als wir mit dem Programm anfingen, wunderten sich viele, dass dies hier nicht der Fall ist. Wir machen das, um eine andere Erfahrung zu vermitteln. Es ist technische Musik, die sich dem beständigen Vorwärtsdrang verweigert und vielmehr Momente aus der Vergangenheit vermittelt. Deshalb kommen auch ältere Leute zu unseren Konzerten. Bei einem 88-jährigen Holocaustüberlebenden haben wir dadurch völlig verschüttete Erinnerungen wachgerufen, wie er uns mitteilte.“ Ermutigt hat das Duo bei bisherigen Aufführungen die Erfahrung, sich besser vermitteln zu können. Bei derartiger Musik geht niemand zwischendurch an die Theke, um ein Bier zu kaufen oder zu reden. In einer Kirche sitzen alle auf denselben Bänken wie vor ihnen andere seit Hunderten von Jahren.

Den Sorte Skole. Foto: Jesper Palermo Ibsen

Nicht jede Laserlichtshow koordiniert sich mit der Musik, zudem beim Auftritt in Frankfurt zusätzlich das Orgelspiel hinzukam. Den Sorte Skole bereiten ihr Programm jedoch akribisch vor. Sie nutzen Samplers, Turntables, Effektmaschinen und eine Gitarre. Dennoch gibt es Spielraum für Improvisationen. „Manche Elemente laufen immer, andere können spontan dazu abgerufen werden. An anderen Stellen spielen über zweihundert Elemente synchron. Wir haben feste Links für die Lichtshow. Unser Rückgrat bilden aber das Tempo und festgelegte Zeiteinheiten für einzelne Teile. Bei bestimmten Signalen, die über einen akustischen Signalgeber erfolgen, muss sowohl die Lichtkunst reagieren als auch Martin Lücker an der Orgel“, meint Højland und zeigt seine In-Ear-Kopfhörer. Und dann verschwinden beide Musiker im Nebel der Kirche.

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