Globale Klänge in Niedersachsen

Das Center for World Music in Hildesheim

8. Dezember 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

folker präsentiert 

Akademische Einrichtungen, die sich mit den Musikkulturen der Welt beschäftigen, sind hierzulande rar gesät. Zu den Leuchttürmen in dieser Hinsicht gehört die Universität Hildesheim, etwa 35 Kilometer von Hannover entfernt. Dort gibt es ein Zentrum für Weltmusik, das sich Lehre und Forschung auf diesem Gebiet widmet.
Text: Wolfgang König

Geschäftsführender Direktor ist Dr. Michael Fuhr. Er promovierte zur populären Musik in Südkorea. Nach wie vor gehört K-Pop zu seinen Forschungsgebieten, aber er befasst sich auch mit Themen wie Globalisierung, Migration und kulturelle Identität.

Das Center for World Music (CWM) entstand 2009. „Vorausgegangen war der Erwerb von zwei großen Privatsammlungen“, erzählt Fuhr. „Da war einmal die Tonträgersammlung des Musikethnologen Wolfgang Laade. Sie wurde von der Stiftung Niedersachsen angekauft und der Uni Hildesheim als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Inzwischen wurde daraus das Music of Man Archive, das Archiv für Musik der Menschheit. Und dann gibt es noch den niedersächsischen Pädagogen Rolf Irle, der ein halbes Jahrhundert lang Instrumente aus aller Welt zusammentrug und diese Kollektion schließlich der Universität Hildesheim schenkte.“

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Die beiden Sammlungen bildeten den Anstoß für die Gründung des CWM im Rahmen der Universität und in enger Kooperation mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Das Ziel war, diese Sammlungen für Forschung und Lehre, aber auch für den Wissenstransfer in die Gesellschaft nutzbar zu machen. Für Letzteres gibt auch einen speziellen Raum, eine zur Universität gehörende ehemalige Kirche, die Platz für Ausstellungsvitrinen bietet, aber auch für Konzerte, Vorträge und Workshops zum Beispiel für Schulklassen.

Die Arbeit am Center for World Music gliedert sich im Wesentlichen in vier Bereiche: Archive, Sammlungen und Fachbibliothek; Forschung; Lehre; internationale Kooperationen. Zum ersten Tätigkeitsfeld gehört die wissenschaftliche Erschließung und Pflege des Vorhandenen, seine Erweiterung und nicht zuletzt die Digitalisierung, die vieles nicht nur einfacher handhabbar macht, sondern auch die Nutzung über größere Entfernungen hinweg ermöglicht.

Lehrveranstaltungen gibt es vor allem für Studierende der Fachrichtungen Kulturwissenschaften und Lehramt Musik in Hildesheim sowie für externe Interessierte der Partnerhochschule in Hannover. Außerdem gibt es am CWM den zweijährigen berufsbegleitenden Masterstudiengang „musik.welt – Kulturelle Diversität in der musikalischen Bildung“. Dieser wird für das gesamte Bundesgebiet online angeboten; Präsenzunterricht in Hildesheim gibt es an einem Wochenende pro Monat. Die Teilnehmenden kommen einerseits aus den eigenen Bachelorstudiengängen, sind aber zum großen Teil bereits berufstätig – an Kitas, Schulen, Stadtteil- und Jugendzentren, Musikschulen, Opernhäusern, Philharmonien oder auch freiberuflich. Denn normalerweise steht bei der musikalischen Ausbildung in Deutschland immer noch die abendländische Kunstmusik im Vordergrund mit etwas Raum für Jazz und westlichen Mainstreampop, was viele inzwischen als einseitig empfinden.

Ein Teil der Studierenden am CWM kommt mittlerweile aus dem Ausland, darunter auch Geflüchtete verschiedenster Herkunftsgebiete. Die Ausbildung erfolgt in verschiedenen Modulen, zum Beispiel Musikethnologie (offiziell „Musik und Gesellschaft“), Musikpädagogik, Kulturmanagement, Selbstvermarktung (einschließlich der „Wissenschaft“ des Stellens von Anträgen) und musikalische Praxis. Zu Letzterem gehört das Erlernen eines „exotischen“ Musikinstrumentes im Einzelunterricht. Das Angebot ist groß, denn man kann sich ein Instrument wünschen, und beim CWM wird dann versucht, Dozierende vor Ort zu finden beziehungsweise den Unterricht online zu organisieren.

„Es geht auch darum, Konfliktlösungen durch Kultur zu erforschen.“

Zu einem akademischen Weltmusikzentrum gehören natürlich auch internationale Kooperationsprojekte. „Unser momentan größtes wird vom DAAD, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, und dem BMZ, dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, auf zehn Jahre gefördert“, erzählt Michael Fuhr. „Es heißt SDG Graduate School beziehungsweise Performing Sustainability. SDG steht für ‚Sustainable Development Goals‘, die von der UNO formulierten Ziele für nachhaltige Entwicklung. Mit den dafür zur Verfügung stehenden Stipendien werden vor allem Masterstudierende unserer Partneruniversitäten in Cape Coast in Ghana und Maiduguri in Nigeria gefördert. Gerade in Nigeria geht es auch darum, Konfliktlösungen durch Kultur zu erforschen. Fast alle SDG-Projekte sind naturwissenschaftlich oder technisch ausgerichtet, unseres ist das einzige, das sich damit beschäftigt, was Kultur in diesem Zusammenhang leisten kann.“

Dabei geht es nicht nur um Musik, sondern auch um Theater und Film. Maiduguri liegt im Nordosten Nigerias, also in der Region, die besonders schlimm nicht nur von den alten Konflikten zwischen Bauern und nomadisierenden Viehzüchtern um Land und Wasser betroffen ist, sondern seit den Neunzigerjahren auch von der Auseinandersetzung zwischen Staat und islamistischen Gruppen wie Boko Haram.

„Diese Konflikte haben in Nigeria zu einer großen Zahl sogenannter IDPs, ‚Internally Displaced People‘ geführt, also Menschen, die im eigenen Land auf der Flucht sind. Unsere Partner gehen zum Beispiel in die IDP-Camps und führen dort ethnologische Forschungen durch, wie die Geflüchteten ihre Kultur bewahren und auch weiterentwickeln. Die ersten Arbeiten dazu werden demnächst veröffentlichungsreif sein“, meint Michael Fuhr.

Wer ein Stipendium für die Graduate School bekommt, verbringt von den insgesamt drei Jahren auch mehrere Monate in Hildesheim. Manchmal werden dann aus den Masterstudierenden auch Doktoranden, die neben ihren afrikanischen Betreuenden zusätzlich jemanden aus Hildesheim bekommen. Und wenn sie sich in der Bibliothek des CWM umschauen, finden sie dort auch viele Ausgaben des folker!

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