La Kejoca

Mein ganzer Reichtum ist mein Lied

14. April 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

Venner Folk Frühling 2015. Drei Mitglieder der friesischen Folkband Laway, die Sängerin Carmen Bangert, der Sänger, Gitarrist, Keyboarder und Bassist Keno Brandt sowie der Geiger Jonas Rölleke weihen Festivalleiter Dieter Wasilke ein in ihre Idee, ein Folktrio gründen zu wollen, und zwar mit „Material, das unser Folk ist“. – „Ja, dann macht doch“, antwortet Wasilke auf seine trockene Art. „Und nächstes Jahr könnt ihr dann hier spielen.“
Text: Ulrich Joosten

„Uns ist deutlich geworden, wie wichtig es für uns als Musiker ist, in Freiheit leben zu können.“

Im Winter probiert das Trio zwei, drei Stücke im Rahmen der Laway-Weihnachtstournee aus. Damals definiert sich die Band über den Begriff „New Country Folk“ und nennt sich Countrio, erkennt aber bald, dass in Zeiten der Globalisierung der Gattungsbegriff „Global Folk“ angebrachter sei, um sich musikalisch nicht einzuengen. Im Vorfeld des Venner Folk Frühlings 2016 benennen sie sich um in La Kejoca. Der klangvolle Name setzt sich schlicht aus den jeweils ersten beiden Anfangsbuchstaben ihrer Vornamen zusammen.

Die drei kennen sich seit dem Studium an der Robert-Schumann-Hochschule für Musik in Düsseldorf. Keno Brandt ist nach einem Kirchenmusik- und Klavierstudium in Bayreuth in die Rheinmetropole gekommen und „rutscht als Bassbariton in die Opernklasse“, wo er Carmen Bangert kennenlernt. Die Mezzosopranistin mit lateinamerikanischen Wurzeln ist wie er folkbegeistert, spielt Drehleier, Tin und Low Whistles, Quatro, Banjolele. Brandt zeichnet für Gesang, DADGAD-Gitarre, Keyboards, Akustikbass, Dobro, Cister, keltische Harfe und Percussion verantwortlich. Dritter im Bunde ist der studierte Geiger Jonas Rölleke, der außerdem ein ausgezeichneter Gitarrist und Sänger ist.

Das erste Album, Fade In, erscheint 2016. Dass die drei bei Laway spielen, vereinfacht in der Anfangszeit die Dinge. Man kennt die Veranstaltenden, und die wiederum kennen die Musikerin und Musiker der Friesenfolkband. Und Laway-Gründer und -Chef Gerd „Ballou“ Brandt leistet für seine Bandmates, wie Sohn Keno bekennt, „eine großartige Starthilfe. Wir hatten vom Fleck weg fünfzig, sechzig Konzerte im Jahr.“

Das Freiheitsthema, das das Repertoire ihres zweiten Albums Libertad ausmacht, spielte für die Band schon vor Corona eine Rolle, sagt Bangert, „und weil wir ohnehin vorhatten, ein neues Album aufzunehmen, haben wir die Gelegenheit beim Schopfe gepackt“. Ausgangspunkt für das Konzept der CD ist ein politisches Programm, das das Trio zum hundertsten Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg erarbeitet hat. Brandt: „Wir wollten, an das berühmte Zitat ‚Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.‘ anknüpfend, einen roten Faden haben, der sich durch dieses Album zieht, sodass es inhaltlich und musikalisch einheitlich und gleichwertig ist.“ Es sind vertonte Gedichte aus der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus, Lieder aus der Verfolgung und Unterdrückung durch autoritäre Systeme und Stücke aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert, die die persönliche Freiheit in den Mittelpunkt stellen.

Das durchweg großartig arrangierte und virtuos eingespielte Album wurde im ersten Quartal 2022 völlig zu Recht mit dem Vierteljahrespreis der deutschen Schallplattenkritik in der Sparte „Folk und Singer/Songwriter“ ausgezeichnet. Es eröffnet mit einem Vormärz-Text von Georg Herwegh aus dem Jahr 1840, „Ich bin ein freier Mann und singe“, der durch Austausch des „Mann“ gegen „Mensch“ geschickt gegendert wird. „Das war mir wichtig,“ sagt Bangert, „denn ich wollte es ja auch singen!“ Und wie es gesungen ist! Mit grandiosem dreistimmigem A-cappella-Satzgesang, einem Markenzeichen des Trios, der mit einer flotten, keltisch angehauchten Tune auf Gitarre, Bass, Geige, Whistle – Gäste sind Jens Kommnick an der Irish Bouzouki und Michaela Haitz an der Bodhrán – verwoben wird. „Inhaltlich hat das Lied neben dem Freiheitsgedanken des Vormärz für uns eine besondere Bedeutung bekommen“, sagt Brandt. „Als wir nach dem Lockdown unser erstes Konzert gaben und diesen Song auf der Bühne vortrugen, hatten wir Tränen in den Augen. Denn als wir die Zeile ‚Mein Reichtum ist mein Lied‘ sangen, wusste jeder von uns auf einmal, wie wichtig dir dein Lied ist, deine Musik, dein Musizieren. Das ist uns erst nach diesen Verboten, vor Menschen zu musizieren, so richtig bewusst geworden.“

Den von Carmen Bangert hinreißend im spanischen Original gesungenen Titelsong, Gianfranco Pagliaros „Libertad“, kennt die Musikerin von ihrem aus Bolivien stammenden Vater. Der sang es als junger Erwachsener in den Siebzigerjahren als Protestsong auf den Straßen, ehe er die Heimat verlassen musste und als Mitglied der Band Inti Punchai nach Deutschland kam. „Für die verbotene Idee, für die erhaltenen Prügel, für den, der nicht widersteht, für die, die sich verstecken … nenne ich dich, Freiheit“ heißt es in dem Liedtext, der, so Keno Brandt, auch an den großen Liedermacher jener Zeit erinnert, an „Victor Jara aus Chile, dem sie die Hände gebrochen haben, damit er seine Lieder nicht mehr spielen kann. Das Gedenken an solche Menschen schwingt bei uns mit, wenn wir diese Musik machen.“

Ein zentrales Stück des Albums ist Keno Brandts auf der DADGAD-Gitarre gelungen umgesetzte Vertonung des Erich-Kästner-Gedichtes, „Marschliedchen 1927“. Entstanden ist die Melodie zu „Denn ihr seid dumm“, wie das Lied bei La Kejoca heißt, „vor vier Jahren, als die AfD nach der Bundestagswahl in unser Parlament eingezogen ist und die sich hingestellt und gesagt haben: ‚Wir werden sie jagen …‘ Da haben wir uns gesagt: Das lassen wir dann mal nicht unkommentiert.“

Ebenso wichtig ist der Band das Lied „Sei wachsam“, das Reinhard Mey 1995 geschrieben hat. Es wird derzeit leider von sogenannten Querdenkern missbraucht, merkt Carmen Bangert an. „Die haben es sich unter den Nagel gerissen und singen es auf der Straße, nach dem Motto: ‚Unsere Freiheit wird beschnitten, seid wachsam, die da oben verarschen euch nur!‘ Davon grenzen wir uns klar ab. Es haben viele Leute gesagt, dass wir es deshalb nicht auf diese CD packen könnten. Aber wieso nicht? Gerade dann! Wir lassen uns das Lied nicht wegnehmen und nicht das Wort im Munde herumdrehen.“

„Eins ist uns auf jeden Fall im Zuge der Auseinandersetzung mit dem Freiheitsbegriff klar geworden“, sagt Keno Brandt. „Als wir die ersten Einschränkungen der Freiheit hinnehmen mussten, auch wenn sie nur minimal waren, ist uns deutlich geworden, wie gut es uns in diesem Land geht, und wie wichtig es für uns als Musikerinnen und Musiker ist, in Freiheit leben zu können. Dass das gar nicht selbstverständlich ist, das ist längst nicht allen klar.“

Aktuelles Album:

Libertad (ArtyChoke, 2021)

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