Santrofi

Belebung des Highlife

2. Dezember 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

folker präsentiert 

Es ist schon Mitternacht, als die Musiker von Santrofi am Samstag, dem 9. Juli, die Bühne im Rudolstädter Heinepark endlich erreichen. In einer Stunde soll ihr Konzert dort starten. Ein angefragtes Interview wird auf später verschoben, denn die ghanaische Band hat sich mit ihrem britischen Fahrer und Tourmanager orientierungslos im thüringischen Saaletal verfahren. Nun wird auf der Bühne mit Hochdruck und unter hoher Konzentration aufgebaut, der Soundcheck vorbereitet, während die Gelassenheit der Musiker einmal mehr ein altes afrikanisches Sprichwort vor Augen führt: „Als Gott die Welt erschuf, gab er den Afrikanern die Zeit und den Europäern die Uhr.“
Text: Christoph Schumacher

Eingeladen sind Santrofi als Erneuerer des ghanaischen Highlife, wobei ihr Stil an die Big-Band-Ära der späten Vierziger und das neu unabhängige Ghana in den Fünfziger- und Sechzigerjahren erinnert. Der Highlife wurde ab den 1920ern zur dominierenden Popmusik des Landes. Dabei vermischten sich einheimische Klänge und afrikanische Polyrhythmen mit Musik und Instrumenten aus aller Welt, etwa mit Bläsern und Gitarren. Der Name „Highlife“ deutet an, dass dieser Stil in der Anfangszeit nur für die gehobene Gesellschaft gedacht war. Die Gruppe Santrofi mischt ihn mit Soul, Afrobeat oder Jazz. Und nimmt andere traditionelle ghanaische Musikstile mit auf wie Nwomkro aus Kumasi oder westafrikanische Tanzmusik. In ihrer Musik bildet die Sikyi-Glocke (gesprochen „see-chi“) den dominierenden Herzschlag. Der Sound Santrofis verharrt allerdings nicht in Nostalgie, sondern entwickelt sich ständig weiter, ähnlich dem in Ghana populären Sprichwort „Kein Zustand ist von Dauer“.

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Santrofi sind in derselben Besetzung auf Tournee, in der auch das Debütalbum der Band eingespielt wurde: an der elektrischen Leadgitarre Dominic Quarchie, an Rhythmusgitarre und Leadgesang Robert „Nsoroma“ Koomson, Bernard Gyamfi an Posaune und Shékere, Norbert Wonkyi Arthur an Trompete, Flügelhorn und Glocken, Prince Larbi an den Drums, Emmanuel Boakye Agyemang am Keyboard, Victor Nii Amoo an der Percussion sowie Bandleader und -komponist Emmanuel Kwadwo Ofori am Bass.

Das Konzert in Rudolstadt, das dem Liedablauf des Albums folgt, beginnt Santrofi mit einer gesungenen und getanzten Geschichte. Während die Band mit traditionellen Percussioninstrumenten das dichte Rhythmusgeflecht des Adowa-Tanzes webt, tanzt der in ein festliches Kentegewand gehüllte Agyeman an der Bühnenkante. Das Stück „Kokrokoo“ spielt in den Twi sprechenden Akan-Gemeinschaften Ghanas, aus denen auch der beliebte Call-and-Response-Gesang Nwomkro stammt, auf den frühmorgendlichen Hahnenschrei an und beginnt mit Anrufungen und verschiedenen Lobpreisungen, die das Können und die Größe des Santrofi-Vogels verkünden. Dieser seltene, farbenprächtige Singvogel mit vier Flügeln aus den Mythen der westafrikanischen Akan durfte ob seiner Einzigartigkeit nicht gejagt werden. „Highlifespirit“ nennt Emmanuel Ofori diese Art der Musik und beschreibt, worum es im nächsten Song, „Alewa“, geht: „Egal, wo man herkommt, ob schwarz oder weiß, wir sind alle Menschen und sollten einander lieben, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“ Das Titelstück des Debüts bezeichnet in Accras Straßenslang eine schwarz-weiß gestreifte Süßigkeit aus Zucker. Der Songtitel ist also eine süße Metapher, die auf die Notwendigkeit anspielt, Rassenvielfalt anzuerkennen, zu akzeptieren und zu tolerieren.

„Wir wollen fortführen, was unsere Vorfahren begonnen haben, und es auf ein nächstes Level bringen.“

Auch bei den nächsten Liedern halten sich die Musiker an die Chronologie des Albums. „Kwaa Kwaa“ ist inspiriert von einem alten, traditionellen Singspiel. Ofori fügte Teile davon in einen Song ein, um auf diese Weise die aussterbenden Traditionen lokaler Singspiele und Wiegenlieder am Leben zu halten. Das Stück erinnert mit seinen polyrhythmischen Drumgrooves, Hornarrangements, hypnotischen Basslinien und psychedelischen Gitarren an den Afrofunk, psychedelischen Highlife und Afrobeat der Siebziger. Mit dem darauffolgenden Song lädt die Gruppe das Publikum zu sich nach Hause ein. Auch wenn sie Accra als ihre Heimatstadt angeben, stammen die meisten Mitglieder der Gruppe aus verschiedenen Landesteilen Ghanas, überwiegend aus der Region um Kumasi. In „Africa“ wird zur Einheit aller Afrikaner und Afrikanerinnen aufgerufen, zu einem neuen Afrika, das frei von Krieg, Hunger, politischen Unruhen, Korruption und Streit ist.

Alle Lieder stammen aus der Feder von Emmanuel Ofori, der schon mit Highlifegrößen wie Ebo Taylor und Pat Thomas auf der Bühne stand. Sein Lieblingsstück, gesteht er, handelt von einer einfachen Weisheit: Alles, was du im Leben tust, kommt zu dir zurück, Gutes wie Schlechtes. „Konongo Kaya“ beschreibt umgangssprachlich gierige, neidische, hinterhältige und intrigante Personen. Das Lied ist eine Warnung vor den negativen Aspekten der menschlichen Natur und hält die Menschen dazu an, dem Guten zu folgen.

Neben den Highlife-„Geschichten“ gibt es aber auch reichlich Gelegenheit, zum hervorragenden Bandsound zwischen Percussion und Big Band den Körper in Schwingung zu bringen. Das Publikum des gut gefüllten Heineparks lässt sich trotz später Stunde auf die wildesten Tanz- und Mitsingspiele ein. Wie Ofori im Interview erläutert, müssen Santrofi, wenn sie ihre musikalischen Erzählungen in Ghana zum Besten geben, mit zahlreichen anderen Gruppen konkurrieren, die alte Titel covern und damit nicht selten erfolgreicher sind als Bands, die eigene Kompositionen spielen. Für ihn ist es beschämend, dass sie mit ihrem Programm in Europa erfolgreicher sind als in ihrer Heimat. Eines ihrer Ziele ist es deshalb auch, ihre Musik in Ghana bekannter zu machen und die Menschen zu gewinnen, altbekannten Highlife in neuen Kompositionen zu entdecken. „Wir wollen fortführen, was unsere Vorfahren begonnen haben, und es auf ein nächstes Level bringen.“ Während die Musiker dann endlich backstage für ein Gespräch zur Verfügung stehen, vergeht die Zeit wie im Flug, und zu sehr vorgerückter Stunde bittet der sichtlich müde, aber glückliche und zufriedene Bühnenmeister darum, das Licht auszumachen, wenn wir gleich gehen.

Im Verlauf des Sommers spielt die Band noch auf verschiedenen weiteren Bühnen Deutschlands und Europas sowie in einigen Tonstudios, bevor sie Mitte August von Deutschland aus die Rückreise nach Ghana antritt. Von Santrofi wird sicher noch einiges zu hören sein.

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facebook.com/santrofimusic

Aktuelles Album:

Alewa (Out Here Records, 2020)

Videos:

 „Alewa“, offizielles Video: www.youtube.com/watch?v=DqED8raPFyQ

 Santrofi beim Afrika Festival im niederländischen Hertme 2019 mit dem Song „Africa“: www.youtube.com/watch?v=-Vy4lVAMISg

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