Over The Border Festival

Vier Bonner Bühnen, 65 Künstlerinnen und Künstler aus 22 Nationen.

23. Mai 2022

Lesezeit: 4 Minute(n)

Nachdem 2021 das größte Indoorfestival in der Region hybrid stattgefunden hatte, freute sich Veranstalter Manuel Banha in diesem Jahr an zehn Abenden auf vier verschiedenen Bonner Bühnen 65 Künstlerinnen und Künstler aus 22 Nationen beim sechsten Over The Border Festival live zu begrüßen. „Kultur lässt sich bekanntlich nicht eingrenzen. Durch die Globalisierung kommen überall auf der Welt Menschen zusammen, sie kommunizieren, es passieren spannende Dinge. Dieser Dialog ist in der aktuellen Zeit wichtiger denn je“, sagte Banha. Das Ziel der 2016 aus der Taufe gehobenen Konzertreihe ist es, musikalische und gesellschaftliche Entwicklungen sichtbar zu machen. Die Eröffnung wird traditionell von den Local Ambassadors bestritten, einer jährlich um Gäste ergänzten aus lokalen Musikern und Musikerinnen bestehenden Formation, die überwiegend in mehreren Kulturen aufgewachsen sind. Unter folker-Beobachtung standen der Auftritt der Algerierin Djazia Satour & Band am 22. März sowie das Abschlusskonzert am 9. April, in dem Miroca Paris „A Noite de Cabo Verde“ präsentierte. Alle Konzerte und Mitwirkenden wurden in einer Festivalzeitung sowie auf der festivaleigenen Website vorgestellt (www.overtheborder-festival.de).

Over The Border Festival 1

Djazia Satour & Band

Harmonie, Bonn, 22.3.2022

Souverän steht Djazia Satour auf der Bühne und beginnt mit einem Dank an alle, die diesen, ihren allerersten Auftritt in Deutschland möglich gemacht haben. Mithilfe umsichtiger Planung der Agentur landete sie mit ihrer Band nach einer kleineren Odyssee letztendlich noch rechtzeitig in Bonn. Mit knapp einstündiger Verspätung – von der portugiesischen Sängerin Estrela Gomes von den Local Ambassadors, die am vorausgehenden Sonntag ihren großen Auftritt gehabt hatten, kurzweilig überbrückt – startete dann also Djazia Satour.

Die algerischstämmige Künstlerin spricht Englisch, singt aber auf Arabisch und häufig in lautmalerischen Vokalisen, die sich im Satzgesang mit den sie begleitenden Musikern zu wahren Hymnen aufschaukeln. Das dynamische Repertoire des eingespielten Quartetts reicht von A-cappella-Gesang bis zu einem geradezu orchestralen Klang, der vom Soundveredler am Mischpult noch mit allerlei Echo- und Halleffekten versehen aus den Lautsprechern dringt. Satour hat eine Band versierter Musiker um sich geschart, die alle auf mehreren Instrumenten brillieren: Benoit Richou an akustischer und elektrischer Gitarre, Rabah Hamrene an einem sechssaitigen Banjo, Gitarre, Darbuka und Violine sowie Rémi D’Aversa an verschiedenen Rahmentrommeln, Schlagzeug und Keyboard beziehungsweise Bass.

Die Geschichten ihrer Lieder erzählen von Deportation, Exil und Migration. Satour singt von der Angst der Europäer und Europäerinnen vor Flüchtlingen und gibt den „Refugees“ eine Stimme, um ihren Sorgen und Nöten Ausdruck zu verleihen. „Sprich nicht von Tod und Zerstörung in deiner Heimat oder davon, dass deine Welt zusammenbricht. Sag, dass du auf der Reise bist und nach einiger Zeit wieder in dein Land zurückkehren wirst …“ In ihrer Ansage geht sie auch auf die aktuelle Lage der Geflüchteten aus der Ukraine ein und sieht, dass viele Menschen in Europa in dieser Situation bereit sind zu Hilfe und Aufnahme.

Ihre Worte wirken ehrlich und empathisch. Die Musik trägt die Geschichten und transportiert sie mal wie zerbrechliche Kostbarkeiten, um sie dann wieder wie in einem wilden Tanz in den Raum zu schleudern. Erfrischend wirkt, wie eine Pause für die Ohren, auch eine kleine, rein akustische Einlage, in der Djazia Satour das „Qualitätspublikum“, wie sie es bezeichnet, zum Mitsingen auffordert. Alle Musiker stöpseln ihre Instrumente aus und bringen sie mit an den Bühnenrand, um dort gemeinsam ein Lied mit den Zuhörenden anzustimmen. Die fast ausverkaufte Bonner Harmonie singt kräftig mit. Wann war dies zuletzt wohl möglich?

Im allerletzten Stück, „Illinois Blues“ von Skip James, dem einzigen Cover des Abends, landet der Blues nach einer furiosen Beschleunigung wieder im traditionellen 12/8-Rhythmus der Rahmentrommel Bendir. Und Djazia Satour wechselt wieder zur englischen Sprache, auch um sich erneut zu bedanken, bei einem begeisterten Publikum.

djaziasatour.com

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Over The Border Festival 2

Miroca Paris – „A Noite de Cabo Verde“

Pantheon, Bonn, 9.4.2022

Als der Veranstalter Manuel Banha auf der Bühne das Abschlusskonzert der Frühlingsedition des Over The Border Festivals ankündigt, weist er erst einmal auf eine Reihe zukünftiger Veranstaltungen hin. Es soll auf keinen Fall mit einem Blick auf die zurückliegenden Konzerte eine „Endzeitstimmung“ aufkommen.

Geradezu behutsam und konzentriert steuert Miroca Paris seine Band dann mit rhythmischem Gitarrenspiel durch die ersten beiden Stücke. Seine samtig-raue Stimme entführt auf die sonnigen Inseln vor der Küste Westafrikas. Er kann und muss seine Wurzeln als langjähriger musikalischer Begleiter in der Band von Cesaria Evora nicht verleugnen. Bediente er dort mehr die Percussioninstrumente, so ist er hier – neben seinem Gesang – mit der Gitarre auch für Melodie und Harmonie zuständig.

Seine Ansagen sind eher kurz gehalten, und nachdem er seine Bandmitglieder namentlich vorgestellt hat, gibt er zu, dass es ihm lieber wäre, das Publikum würde tanzen. Im nächsten Stück gewinnt der Funana-Rhythmus ein wenig an Fahrt, und nach dem ersten zaghaften Mitklatschen hält es einige Frauen nicht mehr auf den Stühlen. Die Stimmung im gut besetzten Bonner Pantheon löst sich zusehends. Miroca Paris wechselt für ein kurzes Solo zu den an der Bühnenkante aufgebauten Kongas und Timbales. Die Zahl der Tänzerinnen und Tänzer wächst, die Hüften kreisen. Die Inselrhythmen wirken ansteckend.

Mirocas Bandkollegen glänzen an diesem Abend mit kleinen Solos, allen voran Paulo Bouman aus Portugal an der E-Gitarre und Oscar Cordero aus Venezuela an der Trompete. Cau Paris am Schlagzeug, auch ein Mitglied der musikalischen Paris-Familie von den Kapverdischen Inseln, hält die Band rhythmisch zusammen, unterstützt von Thierry JP aus Guadeloupe am E-Bass, der auch noch mit einem wunderbaren Zouk-Tanzstück überrascht, angekündigt von Miroca Paris als „French Crioulo“. Einzig Johannes Kuchta ist vom Eröffnungskonzert mit den Local Ambassadors als Gastmusiker auf der Bühne mit dabei, während weitere Mitglieder des Projekts im Saal das Konzert genießen.

Paris’ eigenen Stücke des 2017 veröffentlichten Albums D’Alma wie zum Beispiel „Ninguem“ oder „Felicidad“ zeigen die dem Jazz zugewandte Seite des Singer/Songwriters. Er singt in Crioulo (Kreol) und sieht hier die Verbindung zu seinen Bandkollegen. Deutlich spürbar sind ein westafrikanisches Element sowie Einflüsse aus der Karibik und Brasilien, die in dieser Kriolumusik zu einer erfrischenden Mischung aus Afrikanischem und Europäischen verschmelzen.

Außerdem spielt Miroca Paris „Klassiker“ des Programms von Cesaria Evora, etwa zum Abschluss mit „Sodade“ eines ihrer bekanntesten Lieder, in welches das Publikum einstimmt. Wenn es auch in diesem Lied um Heimweh mit all seinen Mollklängen und Sentimentalitäten recht traurig zugeht, so überwiegt doch am Ende des Konzerts die Sehnsucht nach dem vorpandemischen Leben mit all den Konzerten, die so vermisst wurden. Für viele waren es wohl die ersten Tanzbewegungen zu Livemusik seit zwei Jahren. Nach einem solch gelungenen Festivalabschluss muss sich auch Konzertveranstalter Manuel Banha hoffentlich keine Sorgen um die Zukunft machen.

mirocaparis.com

Fotos: Christoph Schumacher

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