Ralph McTell

Folksänger mit Bodenhaftung, Kulturhaus, Lüdenscheid, 11.2.2023

3. April 2023

Lesezeit: 3 Minute(n)

Die Ankündigung im Oktober war eine kleine Sensation. Für ein zweites exklusives Deutschlandkonzert kam Ralph McTell jetzt zurück nach Lüdenscheid. Sogar aus England, Österreich und Schwaben waren Fans ins Sauerland gereist, um den englischen Songwriter live zu sehen.
Text und Fotos: Almut Kückelhaus

Viele, die an diesem Februarsamstag dabei waren, werden die magischen Momente dort schon im November 2019 miterlebt haben. Damals hatte wohl kaum jemand geglaubt, dass es eine Wiederholung geben würde.

Es gelang dem 78-Jährigen sofort, in dem mit 500 Leuten besetzten Saal eine intime Atmosphäre herzustellen wie bei einem Clubkonzert. Weder gesanglich noch instrumental waren während des zweistündigen Auftritts irgendwelche Schwächen zu verzeichnen. Der Mann ist nicht „alt“, sondern einfach nur schon ziemlich lange unterwegs … Mehrfach bedankte er sich beim Publikum fürs Kommen: Man brauche sich schließlich gegenseitig. Die wechselseitige Wertschätzung machte viel von der positiven Atmosphäre des Abends aus.

Vielleicht ist Ralph McTell mit seiner freundlichen, zugewandten Art die ideale Verkörperung dessen, was seit den Siebzigern das Bild eines Folksängers ausmacht. In seinen Songs und gerade auch in den Ansagen in klarem Englisch gab er Einblicke, wie er als Künstler arbeitet und wie er mit „der Schönheit und der Traurigkeit der Welt“ umgeht, wobei er stets versucht, optimistisch zu bleiben. Die samtige, warme Stimme gab einem das Gefühl, dass alles schon wieder irgendwie in Ordnung kommen wird. Der Sound im Saal war wie gewohnt hervorragend.

 

Nur wenige Stücke waren vor drei Jahren auch schon im Programm. Es gestaltete sich als Reise durch rund sechzig Jahre bewegtes Musikerleben, die damit anfing, dass der siebzehnjährige Ralph Richtung Süden trampte und als Straßensänger vor dem Münchner Hauptbahnhof anzutreffen war. Er ist seitdem viel herumgekommen und schreibt immer noch neue Songs. Oft liegen dabei Jahre zwischen einem Ereignis und der Umsetzung in ein Lied. Die Voraussetzungen für überzeugende Stücke – genaue Wahrnehmung, Offenheit und Reflexion – bringt er reichlich mit. Wie in jedem großen Liedermacher steckt in Ralph McTell ein Philosoph und Poet.

Zuerst der Text oder die Melodie? Unterschiedlich. In jedem Fall geht es um eine Verdichtung des Erlebten in Geschichten oder auch Bildern. Ein möglicher Weg dieses Kondensierens: ein Ereignis in einen Zeitungsartikel fassen, daraus ein Gedicht machen, dies wiederum in Reimform bringen. Das Schreiben setzt natürlich ein gutes Gefühl für Sprache voraus. „It’s a long way from Clare to here“, habe ein junger Kollege zu ihm gesagt, als er in London auf dem Bau arbeitete. Sein in Irland sehr beliebter Song zu dieser Zeile beschloss das Set vor der Pause.

 

Die Zeit der Pandemie habe ihn natürlich mitgenommen – und die Hornhaut an den Fingern beim Greifen wieder wehtun lassen. Er habe sich an die Zeit erinnert gefühlt, als er Gitarre spielen lernte. Der Fingerpickingspezialist nannte ein paar seiner Vorbilder: Bert Jansch, Woody Guthrie und Rootsmusiker wie Blind Blake oder Mississippi John Hurt.

McTells Gitarrenspiel wirkt eher unspektakulär, ist aber ausgefeilt und variantenreich. Dies kam speziell bei der großartigen Umsetzung von Hermann Hesses Siddhartha zum Ausdruck. Der Songwriter setzte sich aber auch für ein paar Lieder an den wunderbaren Konzertflügel, den er ebenso wirkungsvoll zur Begleitung nutzte.

Alle Lieder hatten organisch fließende, eingängige Melodien, in die man sich beim Hören hineinversenken konnte. Es wurde konzentriert gelauscht, sodass die Zeit rasch verflog. Für den Abschluss versprach der Sänger mit feinem Humor ein Medley seiner „größten Hits“. Des Rätsels Lösung: Er habe ja nur einen gehabt. „Streets Of London“ hätte ihm aber ermöglicht, viele weitere Songs zu schreiben, wofür er sehr dankbar sei. Natürlich wurde hier, wenn auch eher leise, mitgesungen.

 

Mit seiner Zugabe ging McTell wieder sechzig Jahre zurück: Der Song bezog sich auf das Cover von Bob Dylans Album The Freewheelin’ Bob Dylan aus dem Jahr 1963ein Abbild jugendlicher Unbeschwertheit und positiver Ausklang.

Das Publikum in Lüdenscheid war am Schluss rundum begeistert und spendete stehend Beifall. Nach einer kleinen Pause zeigte sich McTell wie angekündigt im Foyer, wo noch viele Fans auf ihn warteten. Nahbar und auf Augenhöhe – immer noch Folksänger mit Bodenhaftung und nicht Star. Möge er noch viele schöne Konzerte wie dieses vor sich haben.

www.ralphmctell.co.uk

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