Hobo

JOHN T. DAVIS: Leben außerhalb der Gesellschaft (Northern Light Productions Boston), UK, 1992; 90:00

30. August 2022

Lesezeit: 2 Minute(n)

Hobos sind Relikte aus einer Vergangenheit, in der Arbeitssuchende der Arbeit hinterherreisten, und, weil sie kein Geld für Transporte ausgeben konnten, illegal auf Frachtzügen mitfuhren. Das geschah in den USA vor allem in Krisenzeiten wie in den frühen Dreißigerjahren. Woody Guthrie war einer dieser Hobos und hat seine zeitweilige Existenz als Wanderarbeiter immer wieder in Songs übertragen.
Text: Michael Freerix

Auch in neueren Zeiten gibt es in den Vereinigten Staaten Hobos, doch unter gänzlich anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen. Der nordirische Filmemacher John T. Davis hat sich auf die Spuren dieser Lebensweise gemacht, seine Kamera eingepackt, einen Tonmenschen angeheuert und ist 1990 mit illegal Reisenden mitgefahren. Er hat sich auf Frachtzüge geschwungen und ihr Leben, aus ihrer Lebensperspektive gefilmt.

Es ist ein Film über Wurzellosigkeit, über das Driften von einem Ort zum anderen und über ein Leben außerhalb gesellschaftlicher Konventionen geworden. Waren die Hobos in den Dreißigern ein Heer von aus der Not geborenen Existenzen, die einfach Arbeit suchten, die über das ganze Land verstreut lag, so sind ihre späteren Pendants eher vereinzelt Wurzellose, Streuner, die den Zwängen der Gegenwartsgesellschaft zu entkommen versuchen. Sie sind zwar ebenfalls auf der Suche nach Jobs, finden es aber auch nicht weiter schlimm, wenn sie von Ort zu Ort driften, um am Sozialsystem zu partizipieren.

Davis’ Film beurteilt diese Haltung nicht, er porträtiert sie. Und weil sich der Filmemacher auf die Ebene seiner Protagonisten begibt und häufig mit versteckter Kamera arbeitet, ist dies ein Film von erstaunlicher erzählerischer Dichte geworden. Den Hobos, die der Film zeigt, ist durchaus bewusst, dass ihr Leben außerhalb der Gesellschaft eine Form von Flucht ist, ein Zurückziehen in die Einsamkeit, weil sie in gewissem Sinne an den gesellschaftlichen Anpassungszwängen gescheitert sind. Doch gleichzeitig werden sie hier nicht verurteilt, was sie sagen, nimmt die Dokumentation als ihre Wahrheit, ihre Identität an und gibt ihnen den Raum, diese zu leben und zu erklären. Dabei ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, wie der Filmemacher mit seinen Protagonisten unterwegs ist, wie er dem Gefühl des Reisens und der Freiheit des Reisens Raum gibt und auf diese Weise einen filmischen Raum herstellt, der seinesgleichen sucht. Den Menschen, die er porträtiert, verleiht er dadurch eine Würde, die außergewöhnlich ist. Letztlich war die Realisierung dieses Films nur möglich, weil die Gefilmten dem Filmemacher vollkommen vertrauten.

John T. Davis hat Musikvideos – unter anderem für Van Morrison – gemacht und einige Langfilme. Darüber hinaus ist er selbst Musiker und Songschreiber, der bereits als Kind seine Leidenschaft für amerikanische Filme, Musik und die Mystik des Westens entdeckte, die sein vielfältiges künstlerisches Schaffen inspiriert hat. Im Grunde war es auch sein Interesse an der Musik, das ihn auf die Reise für diesen Film hat gehen lassen. Zwar sind die Hobos selbst in der Regel keine Musiker, aber sie wurden und werden häufig besungen, wie auf der Tonebene auch im Film deutlich wird, wenn Bob Dylan „Paths Of Victory“ besingt, die Supergroup der Highwaymen den „Silver Stallion“ oder Woody Guthrie die „Pastures Of Plenty“.

Hobo
JOHN T. DAVIS: Leben außerhalb der Gesellschaft (Northern Light Productions Boston), UK, 1992; 90:00

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