Religion von unten

Maria Moramarco, Stella Ariènte (Visage Music); mit apul. Texten u. ital. Übers.

20. Juli 2022

Lesezeit: 2 Minute(n)

In Apulien, dem Stiefelabsatz Italiens, haben Mystik und Religion einen hohen Stellenwert. Die Sängerin Maria Moramarco kommt aus der Region Alta Murgia in der Nähe der Stadt Bari. Urlaubende pilgern dort in das vom Stauferkaiser Friedrich II. erbaute achteckige Castel del Monte und verlieren sich in dessen Magie. Maria Moramarco singt über ganz andere Pilgerinnen und Pilger. Sie singt über die einfachen Leute der Region, die seit dem frühen Mittelalter zur Grotte San Michele del Gargano wallfahren. Die Legende besagt, dass der Erzengel Michael dort dreimal erschien und der Besuch der Höhle für Sehbehinderte Wunder bewirkt. Der Ort ist ein wichtiger Zwischenstopp für Apuliens Pilgernde nach Santiago de Compostela. Weitere Schwerpunkte von Stella Ariènte bilden Passionsgesänge der Karwoche und Lobpreisungen Lokalheiliger, die von der Kurie nie kanonisiert wurden. Die mündlich überlieferten Lieder sind keine Kirchenlieder im gewöhnlichen Sinn. Es sind tieftraurige Gesänge, vermischt mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. Das Titelstück, mit dem die Sängerin das Album eröffnet, zeigt, wie vielfältig die kulturellen Einflüsse Apuliens sind. Mit Trommeln, korsischer Laute und dem Cumbus (einem türkischen, zwölfsaitigen Banjo mit dem Klang einer Ud) legen ihre Mitmusikerinnen und -musiker der Sängerin einen rauen, orientalischen Teppich. Andere Lieder führen klanglich zurück bis in die Renaissance. In „Ave Maria Del Gran Lamento“ versetzt Pianistin Eva-Maria Rusche das Klagelied in unsere Zeit. Maria Moramarco hat als Feldforscherin über einhundertfünfzig Lieder der Gegend vor dem Vergessen bewahrt. Für Stella Ariènte hat sie uralte Frauen, letzte Zeuginnen des Liedguts befragt. Mit ihrer packenden Stimme und einem ausgezeichneten Begleitensemble auf teils atypischen Instrumenten wie der Nyckelharpa schuf die Apulierin ein eindrückliches Werk. Auch die Ölbilder der Kanadierin Jennifer Bell im Beiheft berühren tief. Sie zeigen die Frauen der Dörfer in ihrer Religiosität, ihrer Melancholie – und mit leeren Schüsseln.

Martin Steiner

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