Minyo Crusaders

So ungewöhnlich wie unterhaltsam

5. November 2019

Lesezeit: 4 Minute(n)

Congas und Timbales beginnen im Rhythmus der Cumbia zu grooven, bevor die Bläser eintauchen und Sänger Freddie Tsukamoto die Bühne für die vibratogefüllte Interpretation des japanischen Volksliedes „Kushimoto Bushi“ aus der Präfektur Wakayama bereiten.
Text: Olaf Maikopf

Dieser Eröffnungssong von Echoes Of Japan, dem Debütalbum der Minyo Crusaders, zeigt exemplarisch, wie die zehnköpfige Band karibische und afrokubanische Rhythmen nahtlos mit traditionellen japanischen Min’yō-Folksongs vermischt, um ihre exotische wie überzeugend zeitgenössische Interpretation des traditionellen japanischen Volksliedgenres zu kreieren. Mit Liedern voller Lebensweisheiten und Humor, die mit ganz viel Temperament auch zum Trinken und Tanzen animieren, sind die Minyo Crusaders des Leaders Katsumi Tanaka seit zwei Jahren in Japan erfolgreich. Der Sound der Band vermittelt zwar einiges an Retro-Feeling, aber er ist eben auch mehr, denn mit ihrer kräftigen Dosis weltumspannender musikalischer Inspirationen sind die Lieder dieser Japaner im besten Sinne globale Musik.

„Otemoyan“, ein bekanntes Volkslied aus der südlichen Präfektur Kumamoto über eine Jungfrau, die einen Mann mit einem pockennarbigen Gesicht heiratet, wird zu einem Reggae-Track mit Dub-Sensibilität umgeformt. „Akita Nikata Bushi“ aus der nördlichen Akita-Präfektur orientiert sich an äthiopischem Funk, während „Tanko Bushi“ aus der Präfektur Fukuoka zum Klang von Boogaloo schwingt. Bei all dem bleibt jedoch die deutlich stilisierte Gesangsform von Min’yō erhalten und vermittelt trotz der Mischung der Rhythmen ein Gefühl von Authentizität. „Mir war es wichtig auf die wörtliche Bedeutung ‚Lieder des Volkes‘ zurückzukommen“, erklärt Katsumi Tanaka, „denn diese traditionellen Lieder entwickelten sich in der Vergangenheit für viele Menschen einfach zu anspruchsvoll. Die einzelnen Mitglieder unserer Band hören Rootsmusik aus verschiedenen Teilen der Welt, und so bringen wir nun zum Beispiel alten thailändischen Pop und äthiopische Musik in die Musik der Minyo Crusaders ein.“ Ihr Konzept ist es also, die eigenen alten japanischen Min’yō-Lieder mit verschiedenen Weltmusikstilen zu aktualisieren, damit sie zu einer zeitgenössischen Popmusik werden.

Die Geschichte von Min’yō kann Jahrhunderte weit zurückverfolgt werden. Die Kunstform wurde über Generationen in Dörfern und ländlichen Gemeinden weitergegeben und diente als Erinnerung an das traditionelle Leben auf dem Land. Häufig begleitet von Tanz, porträtiert Min’yō oft eine Geschichte oder Landschaft und weckt so für viele Japaner Nostalgie. „Abgesehen von unserem Sänger Freddie Tsukamoto hatte vorher aber kaum einer von uns Erfahrungen mit dem Spielen von Min’yō gemacht. Die Regeln über das Singen einer einzigartigen Melodie, dem Vibratogesang Kobushi und dem Rhythmus der Taiko-Trommel haben sich mittlerweile aber irgendwie in unsere DNA eingeprägt, denn schließlich ist das die Musik unseres Landes. Jedoch sind Min’yō weit entfernt von der aktuellen japanischen Musikszene. Min’yō ist für viele Menschen etwas ganz Besonderes aus unserer Vergangenheit, eine Art traditionelle Kunst. Es ist die für uns sowohl nächstgelegene als auch am weitesten entfernte Rootsmusik Japans. Es ist Musik, die heute in unserem täglichen urbanen Leben nicht mehr zu spüren ist“, meint Gitarrist Tanaka.

Kennengelernt haben sich Tanaka und Sänger Tsukamoto vor fast zwanzig Jahren in der Stadt Fussa, in der sich eine US-Militärbasis befindet. Zusammen spielten sie in Sessionbands zwar meist Blues und Soul, doch speziell Tsukamoto beschäftigte sich auch schon mit dem Min’yō. Als sich dann 2011 das Erdbeben von Tohoku ereignet hatte, stellten viele Japaner erstmals selbstverständlich gewordene Lebensweisen und Werte in Frage. Japanische Künstler, darunter auch Musiker, nutzten diese Gelegenheit, ihr Leben, ihre kreativen Aktivitäten und ihre japanische Identität zu überprüfen. So begab sich auch Tanaka auf die Suche nach japanischer Rootsmusik und hörte sich Sänger und Sängerinnen an wie Chiemi Eri. Nach und nach entwickelte er ein Konzept, die Min’yo mit Latin- und Jazzarrangements wiederzubeleben. Schließlich gründete er mit Tsukamoto und anderen lokalen Musikern aus Fussa eine erste Version der Minyo Crusaders.

„Min’yō ist die für uns sowohl nächstgelegene als auch am weitesten entfernte Rootsmusik Japans.“

Der Wendepunkt kam, als DADDY U, der zuvor bei der bekannten Ska-Band Ska Flames Trompete gespielt hatte, zu ihnen stieß und sich so die Gelegenheit ergab, bekannte Musiker aus Tokio zu treffen. Einige schlossen sich den Minyo Crusaders an, woraus dann die aktuelle zehnköpfige Big-Band-Formation wurde. Aber gab es Bläser bereits in den ursprünglichen Min’yō? „Ja, in den früheren Volksmusikgruppen wurden schon verschiedene westliche Blasinstrumente benutzt und mit traditionellen japanischen Instrumenten kombiniert. Dieser Stil blieb bis in die Siebzigerjahre populär, bevor Min’yō dann langsam aus der japanischen Popmusikszene verschwand. Also bringen wir heute diese Besetzung zurück.“

Japanische Musik hat es außerhalb des Landes nicht ganz leicht. Zwar gab es immer mal wieder Musiker und Bands wie das Yellow Magic Orchestra, Ryuichi Sakamoto, Pizzicato Five oder einige Jazzmusiker, aber richtig kontinuierlich waren deren Erfolge im Westen meist nicht. „Zuerst einmal ist es das Wichtigste, Musik mit Freude zu machen. Über den Erfolg japanischer Musiker weltweit weiß ich nicht viel, denke aber, dass es für die meisten in der Vergangenheit keine große Notwendigkeit gab, im Ausland erfolgreich zu sein. Durch das Wachstum des Internets habe ich jetzt das Gefühl, dass die Welt mehr miteinander verbunden ist, und das schafft auch neues Potenzial für die japanische Musik. Vielleicht ist nun ein guter Zeitpunkt für japanische Musiker, über unsere Inselwelt hinauszuschauen? Es wird spannend, bald auf unserer Konzerttour zu erleben, wie die Musik der Minyo Crusaders von einem ausländischen Publikum jenseits aller Sprachbarrieren gehört wird.“

Die Songs der Minyo Crusaders haben bereits die Aufmerksamkeit prominenter Musiker auf sich gezogen. So sagte der amerikanische Gitarrist und Rootsmusiker Ry Cooder über sie: „The best band I have heard in many years.“ Und der in Japan lebende britische Musikwissenschaftler und Radio-DJ Peter Barakan präsentierte sie bereits auf Festivals der Insel. Im November sind die Minyo Crusaders nun erstmals in Europa und Deutschland unterwegs. Gehen sie hin!

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facebook.com/minyocrusaders
maisumdiscos.bandcamp.com/album/echoes-of-japan

Aktuelles Album:
Echoes Of Japan (Mais Um Discos/!K7/Indigo, 2019)

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