Markéta Irglová

Reisende der Liebe

19. Dezember 2022

Lesezeit: 6 Minute(n)

Acht Jahre hat sie sich Zeit gelassen. Nun tritt die Tschechin Markéta Irglová mit einem neuen Album wieder ins Rampenlicht. Auf Lila hat sie sich endgültig aus dem Schatten ihrer weltweit gefeierten Rolle in dem oscarprämierten Musikfilm Once sowie der Zusammenarbeit mit dem irischen Singer/Songwriter Glen Hansard gelöst. Der folker sprach mit der Musikerin in ihrer Heimat Tschechien über den nicht endenden kreativen Prozess sowie die Bedeutung von Partnerschaft und der Wiederbelebung ihres Duos mit Hansard, The Swell Season.
Text: Erik Prochnow

Für viele ist sie nur „das Mädchen aus dem Film“, wie der Titel einer ihrer aktuellen Singles lautet. Doch mit ihren 34 Jahren blickt Markéta Irglová bereits auf ein bewegtes Leben zurück, wie es nur wenige überhaupt je erfahren. Mit dreizehn lernte die aus dem mährischen Valašské Meziříčí stammende Musikerin den irischen Sänger Glen Hasard kennen. Vier Jahre später gründeten die beiden die international gefeierte Band The Swell Season und drehten den Film Once. Sie wurden ein Paar und erhielten 2008 den Oscar für ihren Filmsong „Falling Slowly“. Als ihre Romanze ein Jahr später zerbrach, ließ sich Irglová in New York nieder. Sie heiratete den Tontechniker Tim Iseler, von dem sie sich ein Jahr später wieder trennte. Schließlich zog sie 2012 nach Island. Dort heiratete sie erneut, bekam drei Kinder, wurde isländische Staatsbürgerin, nahm drei Soloalben auf, veröffentlichte drei bis zu fünfzehn Minuten lange Singles, schrieb ein Musical, baute ein Studio und nahm in diesem Jahr an der isländischen Ausscheidung für den Eurovision Song Contest teil.

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Wenn man der schüchtern und zerbrechlich wirkenden Künstlerin gegenübersitzt, deutet zunächst nichts auf ihre große kreative Schaffenskraft hin. Doch wenn sie das Wort ergreift, scheint sie wie von einer unsichtbaren Energie getragen zu sein, die ständig das Unmögliche erschaffen möchte, wie sie sagt. „Ich kann mich nicht an eine Erfahrung erinnern, die ich nicht in Musik verwandeln konnte“, beschreibt die Musikerin die Entstehung ihrer Lieder. „Ich benutze alles als Treibstoff, und besonders, wenn es um Schmerz oder schwierige Situationen geht, liebe ich es, daraus etwas Schönes zu kreieren.“ Die neun intensiven Stücke ihres neuen Albums Lila sind daher auch nur der Start für eine Reihe von anstehenden Veröffentlichungen. „Wir haben insgesamt achtzehn Lieder aufgenommen. Für Lila habe ich die neun ausgewählt, die aus meiner Sicht zusammengehören. Der Rest wird wahrscheinlich auf einem Album im nächsten Jahr erscheinen“, kündigt Irglová an. Darüber hinaus warten noch 27 weitere Stücke, die sie für ein Musical geschrieben hat, auf Veröffentlichung.

Irglová ist eine Reisende in der Musik wie im privaten Leben. Lila ist dabei der Abschluss einer Trilogie, die 2011 mit ihrem ersten Solodebüt, Anar, begann. Während sie sich darauf mit der Trennung von Hansard auseinandersetzte, wirkte das 2014 erschienene zweite Album, Muna, wie ein fortlaufendes Gebet. „Dabei ging es für mich um die Frage, warum wir hier auf der Erde sind und was Liebe für mich bedeutet“, blickt Irglová zurück. Mit Lila scheint sie nun ihren Platz in der Welt gefunden zu haben, musikalisch wie privat. Alle Stücke des Albums befassen sich mit ihrem Herzensthema Liebe aus den verschiedensten Perspektiven von Jung und Alt, Eltern und Kindern, Mann und Frau. „Ich schreibe hier nicht über romantische Liebe, sondern über das grundlegende Prinzip des Universums“, erläutert sie ihre Kompositionen. „Liebe ist eine Lebenskraft, die man nicht erzwingen oder besitzen kann. Sie hat keinen Anfang und kein Ende und sie verwandelt sich laufend“, fährt sie fort. Ihr drittes Solowerk ist wie eine harmonische Integration von Intellekt und Gefühl, von Freude und Melancholie, die das alltägliche Leben ausmachen. „Auf dem Album geht es viel um Aufgeben. Man kann nicht etwas auf Dauer aufrechterhalten, sondern nur Liebe hineinbringen, um es erblühen zu lassen“, spricht die Musikerin aus eigener Erfahrung. Den Albumtitel hat sie dem Hinduismus entlehnt, wo der Begriff „Lila“ für eine höhere Kraft steht, die eine unerklärliche Synchronizität von Ereignissen bewirkt.

Markéta Irglová

Foto: Sion Fullana

Zu einer solchen Erfahrung würde sie auch die Begegnung mit ihrem Mann, dem Musikproduzenten Sturla Mio Thórisson zählen, der zu dem Gespräch dazustößt. „Die Zusammenarbeit mit Mio bedeutet alles für mich – allein kann man nicht viel erreichen“, sagt Irglová. Nicht viele Paare, vor allem unter Musikschaffenden, arbeiten und leben so eng und leidenschaftlich zusammen wie die Tschechin und der Isländer. „Es ist schwer zu erklären, aber für uns ist es ein Seinszustand. Wir kennen unsere Stärken und Schwächen und formen daraus eine Einheit“, erklärt Thorisson. Und Irglová ergänzt: „Mio ist nicht nur ein exzellenter Tontechniker, er ist vor allem sehr intuitiv. Man denkt an etwas und er arbeitet bereits daran.“ Für beide steht der musikalische Ausdruck an erster Stelle. „In meiner Arbeit strebe ich nie eine Richtung an. Mir geht es immer darum, die Geschichte zu begleiten, damit sie so klingt, wie sie gehört werden soll. Ich muss mich daher mit den Künstlern, Künstlerinnen und ihrer Musik verbinden, und diese müssen mir völlig vertrauen“, sagt der 44-jährige Produzent.

In ihrem Masterkey-Studio bei Reykjavík feilen und experimentieren die beiden mitunter endlos an einzelnen Songs. „Da kommen schon mal über hundert Aufnahmen zusammen“, sagt Thorisson. Während Irglovás ersten beiden Alben noch von ihren Klavierarrangements geprägt waren, klingt Lila sinfonischer wie etwa auf den ersten beiden Singleauskoppelungen „My Roots Go Deep“ und „The Season“ zu hören. Auch wechselt die Musikerin in ihren eingängigen Melodien immer wieder Tempo und Rhythmus. Zudem ist Markéta Irglovás Gesang über die Jahre deutlich kräftiger und ausdrucksstärker geworden.

„Ich kann mich nicht an eine Erfahrung erinnern, die ich nicht in Musik verwandeln konnte.“

Was für die Musik gilt, trifft auch auf die Inhalte zu. „Ich arbeite permanent an den Texten, bis sie fertig sind. Auch wenn ich etwas anderes tue, wälzen meine Gedanken Ideen und Zeilen. Ob beim Fernsehen oder Kochen, immer liegt ein Buch bereit, und ich finde erst inneren Frieden, wenn ein Lied perfekt ist“, beschreibt sie ihren kreativen Arbeitsprozess. Während sie die Liedtexte aufschreibt, notiert sie sich jedoch keine Akkorde oder Noten für die Melodie. „Vor Liveauftritten muss ich dann alle Lieder von meinen Aufnahmen neu erlernen“, sagt Irglová. Für Lila hat sie allerdings zum ersten Mal die Streicherarrangements notieren können. „Durch Mio habe ich Computersampling gelernt und bin somit jetzt in der Lage, die einzelnen Stimmen für die unterschiedlichen Instrumente auf dem Keyboard zu entwickeln.“

Obwohl die Tschechin längst ihren ganz eigenen Stil gefunden hat, fasziniert sie weiterhin die Zusammenarbeit mit Hansard. Im Frühjahr 2022 ließen die beiden ihr Duoprojekt The Swell Seaon für eine kurze US-Tour wiederaufleben. „Glen war etwas nervös, die Songs mit mir wieder live zu spielen, und unsicher, wie das Publikum reagieren würde“, sagt Irglová. Aber sowohl die Fans als auch Hansard und Irglová waren begeistert. „Glen hat mich immer als gleichberechtigt behandelt, aber erst bei dieser Tour konnte ich dieses Vertrauen in mich selbst empfinden.“ Deshalb planen die beiden nicht nur eine Europatournee für nächstes Jahr, sondern auch ein drittes Swell-Season-Album.

Es wäre nicht überraschend, wenn es Markéta Irglová durch die neuen Projekte nicht auch wieder an einen neuen Lebensort ziehen würde. Schließlich hat sie das Gefühl, auch wenn sie sich mit ihrer Familie in Island heimisch fühlt, nicht für immer dort leben zu wollen. Das liege nicht nur an der reservierten Art der Isländer und dem nie aufhörenden kalten Wind, wie sie sagt, sondern auch an ihrer Offenheit für Neues. „Wo man einen Teil von sich selbst lässt und Wurzeln schlägt, ist man zu Hause. Aber ich suche immer nach Menschen, die mit einem und der eigenen Entwicklung mitschwingen – und das ist nicht an physische Grenzen gebunden.“

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marketairglova.com

 

Aktuelles Album:

Lila (Marketa Irglova Music 2022)

 

Videolinks:

„My Roots Go Deep“: www.youtube.com/watch?v=temSiI9BMOY

„Season“: www.youtube.com/watch?v=rfux6NeeWbA

„The Girl From A Movie“: www.youtube.com/watch?v=tgjxtAQL4CA

„Quintessence“, mit Emiliana Torrini und Aukai: www.youtube.com/watch?v=X3KKH1tTbUw

„Falling Slowly“, mit Glen Hansard, live bei The Interface: www.youtube.com/watch?v=koPjCqb3igw

Aufmacher Foto:

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