Billy Strings

Der Bluegrasspunk

30. August 2022

Lesezeit: 5 Minute(n)

Er gilt als der heißeste Aufsteiger in der US-Musikbranche – und das als Bluegrasskünstler. Billy Strings mischt nicht nur das Genre auf. Er bringt die Traditionen des gesamten Geschäfts ins Wanken. Was ist dran an dem Hype um den Musiker aus Michigan?
Text: Erik Prochnow

Normalerweise werden bei der prestigeträchtigen Verleihung der Grammys Randgenres jenseits von Pop, Rock oder Hip-Hop von der Öffentlichkeit unbemerkt im Vorprogramm abgehandelt. Doch in diesem Jahr war bei dem Fernsehspektakel alles anders. Nicht nur ging die für alle Aktiven im Musikgeschäft wichtigste Auszeichnung coronabedingt in Las Vegas statt in Los Angeles über die Bühne, mit dem Auftritt von Billy Strings und seiner Band wurde zum ersten Mal auch ein Vertreter des Bluegrassgenres ins Rampenlicht des Millionenpublikums gehoben. Auch wenn Auszüge der fast achtminütigen Darbietung nur als Intro und Outro einer Werbeunterbrechung dienten, lässt sich an seiner Person die derzeit wachsende Bedeutung des Bluegrass in den USA festmachen.

Billy Strings Foto: Emily Butler

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„Strings ist nicht nur ein Virtuose auf der Gitarre, er sprengt den Bluegrassrahmen“, sagt Friedrich Hog, Vorstandsvorsitzender der German Bluegrass Music Association und Radiomoderator bei Radio free FM. In der Tat gilt der knapp dreißigjährige Musiker, der eigentlich William Apostol heißt, derzeit als die dynamischste Attraktion der Szene. „Auch wenn er sich sehr auf die traditionellen Wurzeln besinnt, lässt er es krachen wie ein Punk – und er sieht auch so aus“, schildert die deutsche Bluegrasslegende Rüdiger Helbig seine Wahrnehmung des amerikanischen Aufsteigers. Bereits seit zehn Jahren mischt Strings das Genre auf. In seinen Kompositionen verbindet er die Tradition von Bill Monroe, Earl Scruggs, Del McCoury oder Doc Watson mit Einflüssen von Jimi Hendrix, Led Zeppelin, Pearl Jam und Pink Floyd. Seine Balladen und insbesondere die Up-tempo-Nummern klingen im Gesang schon mal nach Kurt Cobain oder sind mit Verzerrungen, Elektronik und langen Improvisationen bestückt. Vor allem besticht Billy Strings durch seine unglaubliche Geschwindigkeit beim Flatpicking und seine gesellschaftskritischen Texte. Gemeinsam mit seinen exzellenten Bandkollegen Billy Failing am Banjo, Royal Masat am Bass und Jarrod Walker an der Mandoline brachte ihm das bereits 2021 einen ersten Grammy für sein Album Home ein. Zudem wurde er mehrfach zum besten Bluegrassmusiker des Jahres gekürt. Wenn er mit dem hochgelobten Nachfolger Renewal bei den Grammys in diesem Jahr auch leer ausging, so war er dennoch unter den Gewinnern. Denn Strings leistete mit seinem Gitarrenspiel einen wichtigen Beitrag zum Siegeralbum My Bluegrass Heart des Ausnahmebanjospielers Béla Fleck.

„Wenn man die Quelle kennt, kann man davon abzweigen.“

Nicht überall trifft Billy Strings eigener Stil auf Zustimmung. Gerade von Puristen schlägt ihm immer wieder Kritik entgegen. Doch obwohl er das Genre mit neuen Elementen versieht, ist er durchaus ein Bewahrer der Tradition. „Man sollte keine Angst davor haben, den Bluegrass auf seine Art zu verändern. Aber gleichzeitig sollte man die Essenz nicht verlieren“, sagt der Musiker über das Schreiben seiner Songs. „Wenn man die Quelle kennt, kann man davon abzweigen.“ Strings kann weder Noten oder Tabulatur lesen noch hat er jemals Unterricht gehabt. Die Grundlagen für sein herausragendes Können hat ihm sein Stiefvater Terry Barber beigebracht, der in der Bluegrassszene Michigans ein bekannter Multiinstrumentalist ist. „In meiner Kindheit habe ich nur Bluegrass gehört und nichts anderes geübt als Flatpicking“, blickt Strings zurück. Aufgrund seines intuitiven Spiels auch auf dem Banjo oder der Mandoline verlieh ihm seine Tante Mondi schließlich seinen Spitznamen. Inzwischen ist er so mit der Musik und den Instrumenten verwoben, dass er kaum noch übt und seine dreistündigen Konzerte als tägliches Trainingspensum nimmt.

Was aber vor allem junge Fans in den Bann zieht, ist der Umgang mit seiner Vergangenheit – und die war alles andere als einfach. Denn Michigan, wo Strings aufwuchs, ist der Hotspot der seit Jahrzehnten grassierenden Opioidkrise der USA. Sein Vater starb an einer Heroinüberdosis als der kleine William zwei war. Aber auch seine Mutter und sein Stiefvater waren schwer drogenabhängig. „Es gibt nichts Schlimmeres als das Gefühl, dass du der Erste in der Schlange bist, der verliert“, beginnt Strings „This Old World“ von seinem Album Renewal, auf dem er sich endlich bereit fühlt, nicht länger zurück, sondern nach vorn zu schauen. Mit vierzehn verließ er sein Elternhaus, um sich nur noch der Musik zu widmen. Er lebte auf der Straße und geriet selbst in den Drogensumpf. Er sah Freunde sterben oder ins Gefängnis wandern. Erst die Mutter eines Freundes half ihm heraus und die Schule zu beenden. Zwar konsumiert Strings immer noch Cannabis und Psychedelika, aber schweren Drogen geht er aus dem Weg und seit seinem 23. Lebensjahr trinkt er keinen Alkohol mehr. Dennoch ist das Thema Sucht allgegenwärtig in seinen Liedern, etwa in „Hide And Seek“, das er bei der Grammy-Verleihung live spielte, oder dem ebenfalls vom neuen Album stammenden „Heartbeat Of America“, in dem er beschreibt, was die Drogen im Körper bewirken.

Foto: Shane Timm

Seinen Wandel zu einem der gefragtesten Liveacts zeigt am besten „In The Morning Light“, in dem er die Liebe seines Lebens beschreibt, die ihm endlich Halt gibt. Durch sie findet er die Kraft, auch während der Konzerte ganz offen mit seiner Vergangenheit und Problemen wie etwa seinen Panikattacken umzugehen. „Auch andere sollen die Hilfe und Hoffnung erhalten, die ich fand“, erklärt Strings seine Offenheit. Die Fans lieben ihn dafür. Aber auch, weil er völlig unkonventionelle Richtungen einschlägt wie etwa in der sechsminütigen Improvisation in „Hide And Seek“. Seine Erfahrungen in Metalbands als Teenager lehrten ihn, wie man ein größeres Publikum begeistern kann. Rasend schnelle Rhythmen, virtuose Soli, In-die-Menge-Laufen oder auch Headbanging gehören zu seinem Liveprogramm. Bluegrassexperte Hog sieht es daher auch sehr positiv, dass Strings Einflüsse der Grateful Dead oder sogar aus dem Death Metal integriert. „Schon Bill Monroe hat sich nicht an traditionelle Regeln gehalten, und Strings bringt damit junge Leute zum Bluegrass, die das Genre bislang gar nicht auf dem Schirm hatten.“

Auch wenn Strings einfach zulässt, in welcher Form seine Lieder aus ihm aufsteigen, so finden sich darin doch immer seine Bluegrasswurzeln. „Die Gitarre hat mein Leben gerettet, und trotz all der progressiven Sachen, die ich mache, gibt es nichts Besseres als Bill Monroe, Flatt and Scruggs, Larry Sparks oder J. D. Crowe“, sagt er über seine Kunst. Zuallererst ist die Musik für ihn Therapie. „Ich kann über ganz persönliche Dinge schreiben, es veröffentlichen und verletzlich sein. Das ist nicht nur gesund, daran kann ich wachsen.“ Das scheint ihm beispiellos zu gelingen. Mit seinem Auftritt bei den Grammy Awards auf dem Dach der MGM Grand Garden Arena in Las Vegas ist Strings ganz oben angekommen.

billystrings.com

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Aktuelles Album:

Renewal (Rounder Records, 2021)

Videolinks:

Aufmacher Foto:

Billy Strings

Foto: Jesse Faatz

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