Geschmeidig und ohne Zugeständnisse an modische Strömungen präsentierte Brasiliens weiblicher Superstar Marisa Monte ihre Musik im hessischen Bad Vilbel.
Text und Fotos: Hans-Jürgen Lenhart
Montes Konzert im November war eine der seltenen Gelegenheiten, die brasilianische Gemeinde Deutschlands bei einem der Stars ihres Heimatlandes zu erleben. Man sang vom ersten bis zum letzten Titel laut mit und schrie beständig begeisterte Kommentare zur Bühne. Dass deutsches Publikum eher die Minderheit darstellte, war zwar vorhersehbar gewesen, aber schade, denn Marisa Monte vermittelt ein anderes Bild von brasilianischer Musik, als man es hierzulande üblicherweise hat. Ihre Kompositionen sind gefühlvoll und sinnlich, prädestiniert, Ohrwürmer zu werden, die man schnell mitsummt. Rhythmisch ist das eher zum Mitwippen als zum schweißtreibenden Durchtanzen. Dennoch hört man hier Sambas und Choros neben poppigen Stücken, die wie aus einem wohltemperierten Guss wirken. Das liegt auch an Montes warmem Mezzosopran, der etwas Genießerisches ausstrahlt.
Montes Alben erreichten bisher so gut wie alle Platz eins der brasilianischen Charts. Das Geheimnis ihres Erfolges liegt mit darin, dass sie bei allen Generationen beliebt ist und sich zwischen vielen Stilen der Tradition und Moderne bewegt. So sang sie in Bad Vilbel auch ein 107 Jahre altes Lied von Pixinguinha. Man stelle sich vor, eine aktuelle Popsängerin würde hierzulande bei einem Konzert Operettenmelodien singen, was von Art und Alter der Liedquelle her vergleichbar wäre. Auch die Qualität von Montes Songlyrik ist um Lichtjahre dem voraus, was man bei uns im Deutschpop und Schlager geliefert bekommt. Manche Texte wie „Diariamente“ erinnern gar an konkrete Poesie. Kein Wunder, lässt sie sich trotz ihrer ungeheuren Erfolge doch immer von der musikalischen Avantgarde inspirieren, in Brasilien etwa von Arnaldo Antunes oder in New York von Arto Lindsay. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sie zudem als Gitarristin auftritt, weil sie auch damit nicht alltäglich ist.
Die 57-Jährige, die immer noch wie Anfang dreißig wirkt, weiß seit jeher, was sie will. Schon mit neunzehn Jahren schlug sie reihenweise Angebote von Plattenfirmen aus, bis man ihr völlige künstlerische Unabhängigkeit garantierte. Außerdem sieht sie sich als Beispiel einer besonderen Fähigkeit der brasilianischen Musik, Stile zu mischen und Einflüsse der internationalen Musik aufzunehmen. „Wir Brasilianer … haben [keine] Angst, dass wir unsere Identität dabei verlieren könnten. […] Neue Informationen werden nicht als etwas Bedrohliches angesehen, sondern als Energieträger. […] Das ist der Grund, weshalb in Brasilien so viele neue Stile entstehen“, wie sie bereits 2006 in einem Interview mit der Taz feststellte.
Montes Sätze wirken wie ein Statement gegen kulturellen Chauvinismus, was sich zumindest die deutsche Radio- und TV-Landschaft hinter die Ohren schreiben sollte, denn musikalisch scheint diese kaum noch über den nationalen Tellerrand hinausschauen zu wollen.
Aktuelles Album: Portas (Sony, 2021)
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