Musik und Demenz

Die Musikerin und Autorin Sarah Straub

17. März 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Sarah Straub ist eine deutsche Liedermacherin und Autorin. Ihr drittes Album Alles das und mehr erschien 2019 – darauf Songs von Konstantin Wecker aus weiblicher Sicht, mit denen sie Aufmerksamkeit, Achtung und dessen Freundschaft erlangte. 2021 erregte ihr Buch Wie meine Großmutter ihr ICH verlor: Demenz – Hilfreiches und Wissenswertes für Angehörige Aufsehen, das die promovierte Psychologin aus persönlicher Erfahrung geschrieben hatte. Ein neues Buch ist gerade fertig geworden. Mittlerweile bringt sie beide Themen, Musik und Demenz auf die Bühne. Der folker wollte wissen, wie das geht.
Text: Petra Rieß

Sie sprechen oft von „Popmusik“, wenn es um Ihre Musik geht. Betrachten Sie sich nicht als Singer/Songwriterin?

Jetzt fühle ich mich als Liedermacherin. Aber angefangen habe ich in der Popmusik. Mein Vater ist Musiker, Dirigent und Instrumentallehrer, und ich habe bei ihm schon als Kind Klavier spielen gelernt. Musik war daher in der Familie schon das Wichtigste. Und ich habe so mit elf, zwölf angefangen, Lieder zu schreiben. Das ist auch entstanden, weil mein Vater mich da herangeführt hat, weil er in jungen Jahren auch gerne Singer/Songwriter geworden wäre. Er wollte Bob Dylan nacheifern, und da muss ich immer lachen, weil ich genauso bin wie er! Also, diese Vision, dass man so jemandem nacheifern will.

Ja, man kommt auf die Welt und hat schon ein Paket dabei, oder?

Voll! Er hat mir diese Dylan-Songs natürlich immer vorgespielt und die Storys dahinter erzählt. Das hat mich total fasziniert, dass jemand nicht nur Lieder singt, sondern dass die irgendwie eine zeitgeschichtliche Bedeutung haben. Und dann wollte ich das eben auch. Popmusik war schon das, was mir am besten gefallen hat. Ich habe dann so Leute gehört wie Tori Amos. Popmusik am Klavier! Das fand ich mega und wollte auch unbedingt so was machen. Ich habe mir einfach eine Band zusammengestellt und überall gespielt, wo man mich hat spielen lassen. So bin ich in ganz Deutschland herumgekurvt, was eine ziemlich gute Schule war. 2014 habe ich dann ein englischsprachiges Album veröffentlicht mit dem Titel Red. Und es lief auch recht gut, dafür dass keine große Plattenfirma dahinterstand. Und damit wurde die Musik mein Beruf.

Mittlerweile machen Sie erfolgreich beides: Ihr jüngstes Album heißt Keine Angst, gleichzeitig arbeiten Sie als Psychologin. Wie geht das zusammen?

Ich wollte mich eigentlich für die Musik entscheiden, habe dann aber aus persönlichen Gründen auch dieses Psychologiestudium ernst nehmen wollen und mich auf Demenz spezialisiert, weil meine Oma daran erkrankt war. Ich habe eine halbe Stelle am Universitätsklinikum in Ulm, leite dort eine Demenzsprechstunde, und den Rest der Zeit bin ich auf Tour, mache Konzerte, Konzertlesungen, Vorträge. Ich kombiniere quasi die Leichtigkeit der Musik und das Unterhaltsame, das ich auf der Bühne habe, mit dem vermeintlich schweren Thema. Ich versuche, die Menschen aufzuklären, ihnen Mut zu machen, mit Demenz umzugehen. Es ist mein Sechser im Lotto gewesen, dass ich gemerkt habe, dass ich diese beiden Themen zusammen auf die Bühne bringen kann. Das ist so schön, das fühlt sich an wie ein Lebenssinn.

„Ein Mensch mit Demenz hat ein Recht auf ein gutes Leben.“

Ihr Buch entstand, weil sie eine Demenzpatientin in ihrer Familie hatten. Wie schätzen Sie die Pflegesituation in Deutschland für Betroffene ein?

Grundsätzlich muss man sagen: Es gibt viele unterschiedliche Demenzerkrankungen. Wenn wir jetzt darüber sprechen, sind fortschreitende, hirnbedingte Demenzerkrankungen wie Alzheimer gemeint. Das ist die häufigste Demenzform. Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, steigt per se durch das zunehmende Lebensalter. Ein großes Thema ist jetzt die Babyboomer-Generation, die älter wird – das waren einfach die geburtenstärksten Jahrgänge. Wer wird sich um die alten Kranken in unserer Gesellschaft kümmern? Wir werden in ein paar Jahren Hunderttausende Pflegekräfte zu wenig haben. Das ist die große gesamtgesellschaftliche, auch politische Herausforderung. Und das ist auch ein Grund, warum ich mit diesem Thema auf die Bühne gehe. Weil ich davon überzeugt bin, dass wir in der Pflicht sein werden, unsere kranken Angehörigen selbst zu begleiten.

Jeder von uns muss Demenzexperte werden, damit er, wenn es in der Familie auftritt, einfach handlungsfähig bleibt und Lebensqualität erhalten kann. Was viele Jahre das große Problem in der Begleitung von Menschen mit Demenz war, ist, dass man sie in den Pflegeheimen verwahrt und gar nicht geschaut hat, was diese Menschen brauchen. Ich bin ganz arg davon überzeugt, dass ein Mensch mit Demenz ein Recht auf ein gutes Leben hat, trotz seiner Erkrankung. Und das bedeutet Teilhabe. Sie müssen Teil unserer Lebenswelt bleiben. Das schaffen Angehörige aber nur, wenn sie ganz viel darüber wissen, damit sie die Möglichkeit haben, nicht in eine Überforderung zu gelangen. Die Begleitung von Menschen mit Demenz ist anstrengend, und wir müssen einfach aufgeklärt sein. Deswegen gehe ich auf die Bühne. Ich singe darüber, ich schreibe darüber. Ich spreche darüber, um den Menschen dieses Wissen zu geben und ihnen Mut zu machen.

Foto: André Gleisberg

Was macht Musik mit dem Gehirn dementer Menschen?

Musik wird wahnsinnig komplex in unserem Gehirn abgespeichert. Da sind so viele unterschiedliche Hirnregionen beteiligt, auch Hirnregionen, die ganz tief liegen, an die eine Alzheimer-Demenz nicht rankommt. Das bedeutet, selbst wenn jemand auf diese Weise schon eine massive Hirnschädigung erlitten hat, sind immer noch Erinnerungspunkte, bestimmte Gedächtnisinhalte da, die man hervorholen kann, wenn man den Betroffenen ermöglicht, mit diesem Reiz in Berührung zu kommen. Zum Beispiel mit einem Musikstück, das der Person etwas bedeutet hat. Ich habe einen Patienten, der nicht mehr sprechen kann und nicht mehr weiß, wie viele Kinder er hat. Der spielt immer noch unfassbar schön Geige, kann mir aber nicht mehr sagen, wie das Instrument heißt, geschweige denn, wie die Noten heißen, die da auf dem Blatt stehen. Er weiß gar nicht, was er da tut, aber es ist so in seinem System, es ist so wichtig für sein Leben gewesen, es ist so abgespeichert in seinem Gehirn – und dann verändert sich alles. Die Körperhaltung, seine Mimik. Plötzlich ist er wieder der Mann, der er früher war! Das ist einfach die Magie der Musik. Das lässt sich wissenschaftlich nachweisen. Das Gehirn kann sich ein bisschen gegen die Demenz wehren, und das macht mir Hoffnung.

www.sarah-straub.de
www.youtube.com/@sarahstraubmusic

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Aufmacherbild:

Sarah Straub

Foto: Thomas Melcher

Aktuelles Album:

Musik und Demenz

Even For A Shadow (Westpark Music, 2024)

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