Aus dem höchsten Norden des europäischen Festlandes stammt Torgeir Vassvik, genauer aus Sápmi, vielen immer noch besser als „Lappland“ bekannt. Vassvik kommt aus dem norwegischen Teil desselben, wo es an das Arktische Meer grenzt. Schon seit Jahrzehnten wohnt er aber in Oslo, sodass der Kontrast zu den Städten Nordrhein-Westfalens nicht ganz so groß ausfallen dürfte. Durch die tourte er nämlich im Januar und Februar dieses Jahres, zusammen mit seinem aus der Gegend von Lillehammer nördlich von Oslo stammenden Landsmann Rasmus Kjorstad, im Rahmen der von Birgit Ellinghaus von Alba Kultur organisierten Konzertreihe Klangkosmos NRW.
Text und Fotos: Michael A. Schmiedel
Während dieser Zeit wohnten die beiden in Wuppertal, von wo aus sie die Auftrittsorte zwischen Ostwestfalen-Lippe und Rheinland anfuhren. Auch Workshops hielten sie mit Kindern und Studierenden der Uni Köln. Und nun fand das Abschlusskonzert in Wuppertal statt, in Kooperation mit dem Verein Schwebeklang e. V. – Musikkultur in Wuppertal. Spielort war die Färberei, ein zu einem Inklusionsbegegnungszentrum umgebautes gewerbliches Gebäude direkt an der Wupper und damit an der Schwebebahn.
Der Saal verriet seine Werkhallenvergangenheit vor allem durch das giebelförmige Dachfenster und war locker mit Tischen und Stühlen vor der kleinen Bühne versehen. Etwa fünfzig Zuhörende stellten sich an diesem Weiberfastnachtsabend zu dem Alternativprogramm ein. Nach der Begrüßung und Einführung durch das Vereinsmitglied Heidrun Monsma platzierten sich auf der Bühne aus Publikumsperspektive links auf einem Stuhl Rasmus Kjorstad mit Geige und rechts Torgeir Vassvik stehend mit Gitarre. Nein, er trug keine samische Tracht. Dazu befragt, meinte er, die sei wunderschön, seine Schwester trage sie gerne, aber sie sei mit vielen traditionellen Regeln verbunden, und er mache ja keine Folklore, sondern Avantgardemusik, da passe die Tracht nicht dazu.
Ja, Avantgarde, so kann man diese Musik empfinden und bezeichnen. Vassvik spielte seine Gitarre fast ohne Akkorde und manchmal auch ohne Melodie im engeren Sinn, reihte eher minimal einzelne Töne aneinander und deckte dabei das gesamte Klangspektrum des etwa hundert Jahre alten Instruments aus deutscher Produktion ab. Man mochte sich in einem Jazzkonzert wähnen. Auch Kjorstads Geigenspiel verstärkte diesen Eindruck, wie die Geige gestrichen und gezupft wurde, oft absichtlich den klaren Klang vermeidend und eher quietschende und kratzige Töne hevorbringend. Es gab jedoch auch Partien, die an Volkstänze erinnerten. Die Stücke selbst, so erklärte Kjordstad, seien keineswegs durchkomponiert, sondern vielfach improvisiert.
Herzstück der Musik war allerdings nicht das Instrumentenspiel, sondern Vassviks Gesang, genauer gesagt, der Joik. Auch der hatte selten klare Töne, war eher guttural, kehlig, mal hoch, mal tief, mit langgedehnten Umlauten, vor allem Variationen des Diphthongs „Au“. Zudem bestand er nicht aus Text, sondern rein aus Lauten, ähnlich dem Jodeln und doch ganz anders. Der Joik sei ein traditioneller samischer Gesangsstil, den – wie Vassvik betonte – jeder anders singe. Er habe schamanische Wurzeln und transportiere eine Naturspiritualität, bei der nicht über etwas gesungen werde, wie der Sänger weiterhin erläuterte, sondern das Wesen von Tieren, Pflanzen, Gewässern, Bergen und anderen Naturphänomenen selbst zur Sprache komme. Noch vor dieser Erklärung konnten einem Bilder in den Kopf kommen von Felsen, Sonnenstrahlen auf Schneeresten, Wind, der über Flechten streicht, einem Menschen, der in der Landschaft sitzt und das alles still betrachtet, dessen Teil er ist.
Die Färberei wurde zur Tundra und zum Fjell. Der Spirit kam also rüber. Dabei gab es auch Geschichten, die erzählt wurden, wie die einer Bärenjagd, bei welcher der Penisknochen des erlegten Bären eigentlich vergraben werden sollte, aber doch heimlich entwendet als Trommelstock dieser eine besondere Kraft verlieh. Neben dem samischen Joik knüpfte Torgeir Vassvik mongolischen Obertongesang in seine Darbietung mit ein, der ebenfalls schamanischen Ursprungs ist – sein Gitarrenspiel wurde dabei rhythmisch, als ritte er auf einem Pferd. Zwischendurch kam zudem eine litauische Birbynè-Flöte zum Einsatz und bei der Zugabe die Rahmentrommel, auf der er zu einem Rhythmus, der an ein Powwow der nordamerikanischen Indigenen erinnerte, gegen die arktische Ölförderung ansang. Sápmi wurde wieder zu Wuppertal, indes ein wenig verwandelt.
www.vassvik.com
www.klangkosmos-nrw.de
www.schwebeklang.de
www.faerberei-wuppertal.de
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