Es gehört sicher zu den tragischen Fakten des Lebens von Karen Dalton, dass ihr gesamter Nachlass – Tagebücher, Gedichte, Briefe, Songskizzen – 2018 bei einem Hausbrand vernichtet wurde. Zum Glück war zu diesem Zeitpunkt der Film Karen Dalton – In My Own Time bereits abgedreht. Somit sind ihre Lebenszeugnisse, von denen viele im Film zu sehen sind, wenigstens digital erhalten geblieben.
Mit ihren nur zwei regulär veröffentlichten Alben gehört Dalton seit jeher zu den großen Außenseitern der Folkmusikszene. Dabei war sie eine der wenigen, die tatsächlich über einen entsprechenden Familienhintergrund verfügte, hatte sie doch Musik und einen reichhaltigen Schatz an Folksongs von ihrer Mutter gelernt. Mit fünfzehn heiratete sie das erste Mal, und mit 20 war sie das zweite Mal geschieden und Mutter zweier Kinder. Dann entschied sie sich, Musikerin zu werden, und ging Anfang der Sechzigerjahre nach New York, ins Greenwich Village. Dort gelang es ihr allerdings kaum, richtig Fuß zu fassen. Zu eigenwillig war ihre Stimme, und zu introspektiv waren ihre Auftritte. Nachdem sie einige Jahre in New York gelebt hatte, zog sie Mitte der Sechziger ins ländliche Amerika, wo sie im Kreis enger Freunde ständig weiter musizierte. Tim Hardin war dort zeitweise ihr Nachbar. Erst 1969 erschien ihr erstes Album und 1971 ein zweites. Da war der Folkboom bereits vorbei. Elektrisch verstärkte Gitarren dominierten nun den Musikmarkt. An diesen konnte sich Dalton nicht anpassen. So faserte ihre Karriere langsam aus, auch weil sie durch Alkohol- und Drogenmissbrauch zu unberechenbar geworden war. Schließlich gab sie ihr Kommunikationsmittel, die Musik, ganz auf und starb vollkommen vergessen 1993.
Mithilfe vieler Bilddokumente und Interviews mit Zeitzeugen zeichnet dieser Film das Leben und die Lebensumstände von Karen Dalton detailreich ab. Auch für ihre Musik ist ausreichend Platz, sodass ein facettenreiches, durchaus interessantes Porträt dieser Ausnahmekünstlerin am Rande der Gesellschaft entsteht.
Michael Freerix
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