Klimawandel, MeToo, Impfpflicht – eine Songwriterin lebt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einer aufgeheizten Stimmung. Apathie? Kann sich niemand erlauben, der sein Geld mit öffentlicher Wirkung verdient. Der Titel von Aoife O’Donovans neuem Album Age of Apathy ist daher ein klares Signal von Einmischung.
Text: Martin Wimmer
„Unbeschwerte Erinnerungen an das Heimkommen sind das nicht.“
Wenn Aoife O’Donovan „die Ära der Gleichgültigkeit“ oder simpel „stumpfsinnige Zeiten“ ausruft, ist das sowohl Zeitdiagnose als auch Anklage. Sie kommt von einer Ostküstenintellektuellen. Geboren wurde O’Donovan in Newton, Massachusetts. Wer dort aufwächst, hat als Ansporn vor Augen, dass frühere Ansässige wie Ralph Waldo Emerson, Timothy Leary oder Matt Damon es zu etwas gebracht haben.
Gleich nebenan in Boston studierte sie auf dem weltweit renommierten New England Conservatory Musik. Um die Art von gediegener Bildung einordnen zu können, die man auf diesem privaten College erhält, hilft die Geschichte, dass das Spiel von Jazzlegende Cecil Taylor dort stark von Béla Bartók und Karlheinz Stockhausen beeinflusst wurde. Heute lebt sie mit ihrem Mann, dem klassischen Cellisten und Stardirigenten Eric Jacobsen, und ihrer Tochter in Brooklyn.
Der folkige Name täuscht also. O’Donovans Vision wurzelt in hochmusikalischen Ansprüchen und großstädtischen, europäischen Traditionen. Im Studio setzt sie das auch auf dem neuen Album mit von Produzent Joe Henry rekrutierten Koryphäen an Saiten und Tasten in kunstvoll arrangierte Sounds um. Große Dynamiken, dichte Atmosphäre.
Die studierte, berufstätige Mutter kurz vor dem vierzigsten Geburtstag in der Millionenstadt repräsentiert ein sehr viel moderneres Frauenbild als die Stiefel-Hut-Mädchen Nashvilles. In pragmatischen weißen Sneakern zeigte sie sich auf dem Cover. Auf Spotify stellt sie sich ihren 650.000 monatlichen Hörern im glitzernden Paillettenkleid vor, Abendgarderobe fürs Theater, nicht fürs Rodeo. Nicht Landmusik, Bergmusik, Volksmusik werden evoziert, urbane Tracks gibt es auf dem erst dritten Soloalbum seit 2013 zu hören.
Produziert wurde es, während O’Donovan unter Coronabedingungen eine Art Gastprofessur an einer Hochschule in Florida abhielt. Studierende konnten live per Zoom dabei sein, wie sie mit ihrem Technikteam und ihren Mitmusizierenden virtuell an den Arrangements feilte. Die Singer/Songwriterin kokettiert immer wieder mit ihren irischen Wurzeln. Im Studio ist der Ansatz aber nicht rootsorientiert im Sinne von „einsamer Held mit Gitarre bedient simples Strophe-Refrain-Schema“. Ihre Modernität zeigt sich auch darin, dass sie eher auf Stimmungen zielt, in die sie ihre Vocals effektvoll einbettet.
Ganz Frau des 21. Jahrhunderts ist sie auch in ihrer Fähigkeit, sich breit zu vernetzen und agil in Projekten zu denken. Dazu zählen Sometymes Why, Crooked Still und die weibliche Superband I’m With Her mit den Kolleginnen Sara Watkins und Sarah Jarosz. Das Trio erhielt 2019 einen Americana Music Association Award als Gruppe des Jahres und 2020 einen Grammy für den besten amerikanischen Rootssong. Ein Erfolgsmodell, mit dem derzeit auch The Highwomen, die Pistol Annies oder die Texicana Mamas in die Fußstapfen emanzipatorischer Projekte wie Harris/Parton /Ronstadt oder Case/Lang/Veirs treten.
Allein in den letzten zwei Jahren veröffentlichte O’Donovan zwei Livealben. Spielte solo akustisch das komplette Album Nebraska von Bruce Springsteen ein. Vertonte für eine EP mit einem Streichquartett Gedichte von Peter Sears. Dazu gab es Gastauftritte auf dem Pete-Seeger-Tribute des Kronos Quartet, bei den Klassik-trifft-Newgrass-Sessions von Goat Rodeo sowie bei den australischen Folkrockern The Paper Kites. Eine vielbeschäftigte Geschäftsfrau also. Soll keiner sagen, man könne Familie und Beruf nicht vereinen.
Höhepunkt ihrer feministischen Aktivitäten war eine Auftragsarbeit zum hundertsten Jahrestag des Frauenwahlrechts in Amerika für das Orlando Philharmonic Orchestra. O’Donovan entschied sich, den Liederzyklus America, Come über Carrie Chapman Catt zu schreiben. Diese wurde bekannt als erste Präsidentin der 1904 in Berlin gegründeten und bis heute als NGO einflussreichen International Alliance of Women. Catt war die Schlüsselfigur der Suffragettenbewegung, die mit ihrem Marsch auf Tennessee den letzten für eine Mehrheit noch nötigen Bundesstaat so unter Druck setzte, dass 1920 endlich der 19. Zusatzartikel zur Verfassung in Kraft treten konnte.
Das neue Album endet karibisch-fröhlich mit „Passengers“. „Lucky Star“ setzt mit psychedelischem Geplinker ein, steigert sich in von E-Gitarren getriebenen Folkrock. Atmosphärische Nummern wie „Sister Starling“ und „What Do You Want From Yourself“ erinnern an Joni Mitchell und Laura Nyro. O’Donovan beschwört Nächte am Hudson River und den Ritter Galahad. Doch richtig idyllisch wird es nie. Immer drohen da ein San-Andreas-Graben, ein 9/11. Natürlich ist die besungene „B61“ eine Buslinie in Brooklyn, aber es schwingt eben auch mit, dass das die Bezeichnung für die gefährliche Wasserstoffbombe ist.
Schon in ihrem Song „Briar Rose“ vom Album Fossils besang O’Donovan sexuellen Missbrauch in ungewöhnlicher Deutlichkeit. Es ist vielleicht kein Zufall, dass sie diesmal als Gastsängerin Allison Russell an Bord holte, die 2021 mit Outside Child selbst ein bedrückendes Konzeptalbum zum Thema veröffentlichte. „Prodigal daughter, returns like a lamb to the slaughter, / Looking for something in the water / to wash away the pain“, singen sie gemeinsam. Nein, unbeschwerte Erinnerungen an das Heimkommen sind das nicht.
Von Gleichgültigkeit ist da also keine Spur. Aoife O’Donovan hat mit ihrem engagierten neuen Album Age Of Apathy ihr bisher bestes Soloalbum auf den Markt gebracht, lyrisch anspruchsvoll, auf der Höhe der Zeit produziert und mit klar vernehmbarer weiblicher Stimme.
Tourdaten siehe folkerkalender.de
Aktuelles Album:
Age Of Apathy (Yep Roc Records, 2022)
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