Nicht viele Do-it-yourself-Folkmusikerinnen und -musiker schaffen es mit ihren Alben in die britischen Top Forty, aber Grace Petrie ist eine von ihnen. Ihr neues Album Connectivity ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit als unabhängige Künstlerin, wobei die Protestsongs, mit denen sie sich einen Namen gemacht hat, nach wie vor das Herzstück bilden. Im Gespräch ist die aus Leicester stammende Singer/Songwriterin ebenso geistreich und prägnant wie in ihren Texten. Sie stellt ihre Identität als lesbische Butch und ihr sozialistisches Politikverständnis in den Vordergrund, ohne sich Konsumgewohnheiten anzubiedern.
Text: Pip Williams, Übersetzung: Mike Kamp
Zum Erstveröffentlichungstermin war Connectivity nicht über die großen Streamingdienste verfügbar, eine Entscheidung Petries, die möglicherweise das Geheimnis ihres unerwarteten Charterfolgs ist. Sie ist mehr als bereit, ihre Frustration über das Streamingformat und die Bedrohung, die es für Künstlerinnen und Künstler wie sie darstellt, die dort so schlecht für ihre Arbeit bezahlt werden, zu erläutern. „Ich habe mich in einer merkwürdigen Zeit in die Branche geschlichen“, lacht sie. „Die Technologie war erfunden worden, um digitale Musik günstig produzieren und veröffentlichen zu können. Über demokratische Plattformen wie MySpace und Bandcamp baute ich mir ein Basispublikum auf, während ich einen ziemlich traditionellen Weg über Open-Mic-Nächte in meiner Heimatstadt einschlug, die sich zu Buchungen für Auftritte im Vorprogramm entwickelten, die wiederum dazu führten dazu, dass ich als Support bekannter Acts im ganzen Land auf Tour ging. Bei all diesen Gelegenheiten habe ich wirklich billig produzierte CDs verkauft, womit ich meine Miete zahlen konnte. Ich frage mich, was an diese Stelle treten soll. Die Hörerinnen und Hörer haben verlernt, für Musik zu bezahlen, sie haben sich dem Streaming zugewandt, und ich mache mir Sorgen um die Leute, die fünfzehn Jahre nach mir aufwachsen werden. Der einzige Weg, das alles selbst organisiert zu machen, ist, dass die Musik adäquat bezahlt wird, oder wir verlieren die Künstlerinnen und Künstler, denen es nicht in erster Linie um Geld geht.“
„So sichtbar butch wie möglich.“
Petrie spricht offen über die Tatsache, dass es nicht von vornherein ihre eigene Entscheidung gewesen war, sich selbst zu managen, aber sie ist dankbar für die Freiheit, die sie dadurch gewonnen hat. Die aktuelle Single „We’ve Got An Office In Hackney“ bietet eine augenzwinkernde Einschätzung des Zynismus der Branche, den sie – größtenteils – umgehen konnte.
„Letzten Endes ist es umso besser, je weniger Aufpasser zwischen dir und dem Publikum stehen“, erklärt sie die Vorteile ihrer Position. „Ich bin froh, dass ich nicht unter Vertrag genommen wurde, bevor ich wirklich wusste, wer ich bin – bevor ich eine Menge Beziehungen, eine Million Auftritte absolviert, eine Therapie gemacht und mich als Butch akzeptiert hatte. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt wirklich weiß, wer ich bin. Wenn mir mit zwanzig ein großer Manager gesagt hätte: ‚Du musst das und das ändern!‘, wäre ich wohl ziemlich anpassungsfähig gewesen.“
Grace Petrie ist sich sehr wohl bewusst, dass sie als lesbische Butch im Widerspruch zu dem steht, was von Frauen in der Musik erwartet wird. Es ist zwar unbestreitbar, dass in den Zehnerjahren offen lesbische Musikerinnen einen noch nie dagewesenen Erfolg im Mainstream erreicht haben, aber Butch-Lesben sind dort nach wie vor sehr selten. Weibliche Männlichkeit lässt sich nicht in ein bestehendes Modell der vermarktbaren Sexualität pressen. Daher zögert die Industrie, Künstlerinnen wie Petrie zu fördern oder auch nur anzuerkennen. Es ist eine deprimierende Tatsache, dass die Weigerung, Kompromisse bezüglich ihrer Männlichkeit einzugehen, ihren Erfolg so ungewöhnlich macht. Deshalb hält sie es auch für wichtig, von ihrer Plattform aus gegen die überall vorhandene Tendenz zur Auslöschung von Butch-Identität anzukämpfen.
„Es wird für mich immer von größter Bedeutung sein, sichtbar männlich zu sein. Als Kind habe ich mir ältere lesbische Butches angesehen und bin vor Selbsthass aus der Haut gefahren, wenn ich mich in ihnen widergespiegelt sah“, erinnert sich Petrie, die trotz der schmerzhaften Realität sachlich bleibt. „Ich denke daran, was es für mein jugendliches Ich bedeutet hätte, irgendwo eine lesbische Sängerin, Schauspielerin oder Komikerin zu sehen. Die Gesellschaft hat mich dazu gebracht, mich dafür zu schämen, wer ich war, aber als Erwachsene bin ich endlich stolz darauf. Das möchte ich allen vorleben, die es brauchen.“
In den letzten Jahren hat ein weiteres Phänomen begonnen, Grace Petries lobenswertes Bestreben zu erschweren. Aus schwer nachvollziehbaren Gründen ist das Vereinigte Königreich, sind insbesondere die britischen Medien zu einer Brutstätte von Transphobie geworden. Gewalttätige Anti-Trans-Rhetorik ist nun die Norm, die von prominenten Kommentatoren und Kommentatorinnen aus dem gesamten politischen Spektrum verbreitet wird. Viele von ihnen berufen sich in ihren Argumenten häufig auf die lesbische Butch-Identität. Es wurde ein falsches Narrativ geschaffen, in dem die Rechte und die Anerkennung von Transgenderpersonen in direktem Gegensatz zu denen von gleichgeschlechtlichen Frauen dargestellt werden, wobei Butch-Lesben besonders im Fokus stehen.
„Die transphobe Darstellung besagt tatsächlich, dass das Leben für Butches so unerträglich wäre, dass sie sich alle umwandeln würden“, erklärt Petrie. „Ich erlebe, wie Autorinnen und Autoren die Erfahrungen geschlechtsuntypischer Homosexueller vereinnahmen und als Waffe einsetzen, indem sie behaupten, wir würden ‚transiert‘ werden. Das hat sich zu einer regelrechten moralischen Panik ausgewachsen, und ich habe wieder einmal das Gefühl, dass meine Stimme nicht mehr gehört wird. Es ist erschütternd, dass ich mein ganzes Leben lang nicht präsent war, und jetzt Leute, die sich nie um Butch-Lesben geschert haben, behaupten, wir würden aus der Kultur verschwinden. Wir waren nie da, verdammt noch mal! Meine Antwort darauf? So sichtbar butch wie möglich zu sein“, so Petrie abschließend. „Transjungs und -männer sind real und sollten respektiert werden. Wenn sich jemand so sehr um Butch-Lesben sorgt, dann soll er oder sie herkommen und mir helfen!“
Angesichts dieser Themen ist es überraschend zu hören, dass für viele, die sich Connectivity anhören, das Album weniger politisch wirkt als Petries frühere Platten. Es stimmt, dass ältere Songs wie „Farewell To Welfare“ sehr spezifisch auf die damalige britische Politik Bezug nahmen, während Connectivity mit breiteren Strichen malt. Die Abschlusstracks „Some Days Are Worse Than Others“ und „The Losing Side“ gehen nicht detailliert auf die Resultate der britischen Regierungspolitik ein, aber das Gefühl der Desillusionierung, das sie einfangen, ist unbestreitbar politisch aufgeladen. Beide Lieder sprechen auf ergreifende Weise von der Schwierigkeit, sich angesichts ständiger Rückschläge und Niederlagen weiterhin linkspolitisch zu engagieren – eine Erfahrung, die nicht nur britische Hörerinnen und Hörer machen. Überall auf der Welt sehen viele hilflos zu, wie reaktionäre, populistische Bewegungen an Macht und Einfluss gewinnen, und Connectivity versucht, diejenigen zu einen, die kurz davorstehen, die Hoffnung zu verlieren.
„Das Songwriting auf dieser Platte fühlt sich nachhaltiger an, und ich hoffe, dass diese Lieder zeit- und länderübergreifender sind“, sagt Grace Petrie und fährt fort: „Meine Einstellung zur Politik hat sich in den letzten Jahren verändert. Ich habe die Labour-Partei unter Jeremy Corbyn unterstützt, aber jetzt fühle ich mich nicht mehr besonders repräsentiert. Nach der Wahl 2019 haben wir alle gemerkt, dass es mit Labour als Vertreterin eines Mainstreamsozialismus vorbei ist. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte unter Corbyn eine etablierte Partei über eine radikale Umgestaltung der britischen Gesellschaft gesprochen, die nicht nur den reichen, weißen und elitären ein Prozent zugutekommt. Diese Möglichkeit auf dem Tisch zu haben und dann mit einer skrupellosen Kampagne und einem verheerenden Verlust durch den Dreck gezogen zu werden … Ich klinge, als würde ich Verschwörungstheorien verbreiten, aber ich glaube, es war so geplant, damit wir uns abwenden. In meinen Liedern wie auch in meiner Politik habe ich mich an den Gedanken gewöhnt, dass meine politischen Vorstellungen lebenslange Kämpfe bedeuten. Politiker, Politikerinnen kommen und gehen, aber wer sich für Sozialismus, Feminismus, Antirassismus und die Rechte queerer Menschen einsetzt, muss diese Kämpfe ein ganzes Leben lang führen.“
In der Tat kann sich Petrie nicht von einer politischen Landschaft abkoppeln, die selbst den traditionellsten Liedern der Musikerin subversive Untertöne verleiht. Zum Glück scheint dies keine allzu große Last für sie zu sein. Sie erinnert sich gerne an einen Auftritt bei einer Gewerkschaftsveranstaltung in Belfast. Mit genügend Guinness im Bauch spielte sie so lange, bis ihr die Protestsongs ausgingen. Als sie aufgefordert wurde, weiterzumachen, gab sie zu, dass sie nur noch Liebeslieder im Repertoire habe. Sie erinnert sich: „Am Ende des Abends kam eine Frau zu mir und sagte: ‚Lass dir von niemandem sagen, dass eine Lesbe, die ein Liebeslied singt, nicht politisch ist!‘“
Das ist der springende Punkt: Wenn alles, was man sagt, politisiert wird, sollte man besser etwas Sinnvolles sagen. Zum Glück hat Grace Petrie jede Menge Material in petto.
Aktuelles Album:
Connectivity (Grace Petrie Recordings)
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