Bab L’Bluz

Der wilde Duft von Marrakesch

26. September 2020

Lesezeit: 4 Minute(n)

Marrakesch. Mit diesen drei Silben verbinden sich sagenhafte Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, Bilder vom großen Platz Djemaa el Fna, Düfte aus Moschus, Jasmin und Kaffee, die Klänge der Gnawa-Ensembles, die Schalmeien der Schlangenbeschwörer und die Schreie der Gaukler. Marrakesch, dieses Vielvölkerscharnier zwischen Sahara und Atlas faszinierte Literaten wie Elias Canetti, Modeschöpfer wie Yves Saint Laurent und Musiker von Crosby, Stills & Nash bis Brian Eno. Die Faszination ist ungebrochen und wird von einer Band namens Bab L’Bluz jetzt weitergetragen – ihr Debütalbum ist eine soghafte akustische Droge und nennt sich Nayda!.
Text: Stefan Franzen; Foto: Stephanie Durbic

Nayda ist ein Begriff, der in Marokko spätestens seit der Jahrtausendwende verankert ist. Damals sorgte der Wechsel im Königshaus vom autokratischen Hassan II., der seine Gegner noch in Kerkern dahinsiechen ließ, zum gemäßigteren Sohn Mohammed VI. für gesellschaftliche Lockerungen. Und auch für einen Riesenschub innerhalb der Musikszene. Rapper, Hardrocker und Jazzer vereinten sich in der Nayda-Jugendbewegung, Minderheiten machten sich musikalisch bemerkbar, wie die Berber und die Gnawa, Nachfahren ehemaliger Sklaven, die die Marokkaner aus Schwarzafrika verschleppt hatten. „Nayda heißt im Darija, dem marokkanischen Arabisch, zum einen ‚Party‘, zum anderen steht es für intellektuelles Aufwachen, für eine aufrechte Haltung, dafür, nicht einfach der Schafherde hinterherzulaufen“, sagt Yousra Mansour, Frontfrau von Bab L’Bluz.

Die quirlige Sängerin wuchs in der Küstenstadt El Jadida im libertären Geist von Nayda auf. „In El Jadida hat man ein bisschen von allem gehört. Meine Eltern waren Fans von Janis Joplin, Michael Jackson und Led Zeppelin, aber gleichzeitig war die traditionelle und klassische marokkanische Musik sehr präsent, die Gnawamusik, die araboandalusische. Es gab also zu Hause eine große Spannbreite. El Jadida hat Einflüsse verschiedenster Völker erlebt – die Berber, die Araber, die Portugiesen, die Franzosen waren dort. Aus diesem geschichtlichen Wechsel kommt der kulturelle Reichtum. Ich selbst habe mich auch für brasilianische Musik interessiert, die in den Rhythmen viel Verwandtschaft zur Musik der Gnawa hat.“ Doch es gab noch eine Stadt, die in Mansours Jugend größere Faszination ausübte, das nahe Essaouira. Jedes Jahr pilgerte sie dorthin, um im Team des weltweit bekannten Gnawafestivals mitzuhelfen.

„Ich wurde immer mehr von dieser Musik in den Bann gezogen“, erzählt sie. Was wenig erstaunt bei den kreisenden Beschwörungszeremonien, die für die Gnawa charakteristisch sind. „2017 habe ich das Spiel auf der Gimbri begonnen, der Basslaute der Gnawa, und ich wurde in Marrakesch für ein Gnawa-Jazz-Projekt angefragt.“ Auf der dritten marokkanischen Station ihrer Vita lernte sie den Franzosen Brice Bottin kennen, mit ihm, dem Drummer Hafid Zouaoui und dem Flötisten Jérôme Bartolome formte sie schließlich das Quartett Bab L’Bluz. „Wir verstehen uns als erweitertes Powertrio im Geist der Bands von Jimi Hendrix. Die Grundenergie heißt Rock, aber dann kommen Zutaten aus den marokkanischen Provinzen, aus der Gnawa- und Berbermusik, aus der Poesie der Hassania in Mauretanien dazu“, erläutert sie den Stilmix. Bab L’Bluz bedeutet „Tor zum Blues“, zum afrikanischen freilich, der viel älter ist als sein US-Bruder.

„Nirgendwo gibt es die absolute Freiheit. Überall wird man geleitet durch bestimmte Mechanismen der Manipulation.“

Es packt einen beim Hören der Band, etwa beim ekstatischen Mondlied „El Gamra“, dem rockigsten Moment des ganzen Albums, Welten entfernt von den romantischen Nachtballaden an den Erdtrabanten, wie wir sie oft kennen. „Ich weiß nicht, warum man den Mond immer mit allem in Verbindung bringt, was ruhig ist“, lacht Mansour. „Der Mond kann auf manche Menschen eine verrückte Wirkung haben. Auch ich zähle zu denen, die etwas seltsam auf den Mond reagieren. Es stimmt, dass dieses Stück einen sehr rockigen Touch hat. Für uns ist die Nacht etwas sehr Feierliches, mit Leuten, die tanzen – eine Trance, die alle mitreißt unter dem Mond, der das alles kontrolliert.“ In Songs wie „El Gamra“ oder der psychedelischen Singleauskopplung „Ila Mata“ wird besonders deutlich, wie sich Bab L’Bluz aus der Fülle der oft behäbigen, ewig in Fünftonskalen kreisenden Desert-Blues-Bands knackig herausheben. Es liegt an der Kombination der Gimbri und der kleineren, eine Oktave höher gestimmten Awicha. Sie übernehmen die Rollen von E-Bass und Stromgitarre, tönen aber weitaus ruppiger, trockener. Darüber legt Yousra Mansour ihre melismatischen Vocals, rauchige Flötengirlanden umschweben sie.

„Man hört dem Album eine gewisse Schizophrenie an“, lacht Mansour. „Ausgearbeitet wird das Rohmaterial im modernen Lyon, unserer zweiten Heimat, aber die Entwürfe der Songs entstehen in Marrakesch, dieser sehr traditionellen und touristischen Stadt.“ Marrakesch mit seinem verwirrenden Gemisch aus Volksgruppen, Klängen und Düften gilt ja als „Tor zur Wüste“, und der Saharawind weht ständig hinein in die Songs von Bab L’Bluz. „Ich empfinde eine große Verehrung für die Kultur der Hassania in Mauretanien“, sagt die Sängerin. „Ein Song geht auf die Tebraa-Poesie der mauretanischen Frauen zurück, die in einer sehr konservativen und patriarchalen Gesellschaft ihre eigene Liebeslyrik als Geheimbotschaften an die Verehrten entwickelt haben.“ Außerdem covern Bab L’Bluz das Stück „Waydelel“ aus der Feder von Dimi Mint Abba, der größten Diva Mauretaniens aller Zeiten, für die Mansour schwärmt.

Die Frauen, so die Einschätzung der Musikerin, haben sich generell in den letzten Jahren ihren Platz in der marokkanischen Musikindustrie erobert. Doch bei aller Imagepflege in Richtung Europa, in anderen Belangen hat die Staatsführung im Inneren wieder den Rückwärtsgang eingelegt. Konnte der als Versöhner geltende König Proteste während des Arabischen Frühlings 2011 noch mit Verfassungsreformen im Zaum halten, hat sich seit 2016 ein neuer Widerstandsgeist in der Bewegung Hirak ash-Shaabi formiert – als Antwort auf die Unterdrückung der Berber im Rif-Gebirge, auf Polizeigewalt, Korruption und auf die Beschneidung einer regierungskritischen Presse bis hin zur Inhaftierung von Aktivisten und Journalisten.

Yousra Mansour äußert sich vorsichtig und differenziert: „Ich glaube nicht, dass es der König ist, der den Ausdruck künstlerischer Freiheit verbietet. Diese Verbote gibt es nicht in Marokko. Man muss seinen Ärger aber höflich ausdrücken, darf niemanden beleidigen, wenn er oder sie einem nichts getan hat, man darf nicht zur Gewalt aufrufen. Das ist ja auf der ganzen Welt so, nirgendwo gibt es die absolute Freiheit. Überall wird man geleitet durch bestimmte Mechanismen der Manipulation. Zu behaupten, dass man in westlichen Ländern freier ist, stimmt nicht. Natürlich sind einige Punkte in den Gesetzen, in denen die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks festgelegt wird, in Europa und Afrika verschieden.“

Und so sind auch die Zeilen ihrer Single „Ila Mata“ heute beileibe nicht nur auf Marokko anwendbar: „Eine Furcht ist in uns gewachsen, unsere Gehirne sind Gefangene geworden und unsere Unterschiede werden kriminalisiert. Wie lange noch wird Ungerechtigkeit herrschen? Wie lange noch wird Gewalt glorifiziert?“

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facebook.com/bablbluz

Aktuelles Album: Nayda! (Real World Records/Indigo, 2020)

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