Michaela Anne

Wüstentaube

14. November 2019

Lesezeit: 5 Minute(n)

Die „Desert Dove“, die dem neuen Album der amerikanischen Countrysängerin Michaela Anne den Titel gegeben hat, ist ein schönes Bild für die Karriere der in New York aufgewachsenen Musikerin, die Nashville verlassen musste, um in Kalifornien das Album ihres Lebens einzuspielen.
Text: Rolf Thomas

„Es war wie eine Wette“, sagt Michaela Anne über ihren Entschluss, alles auf eine Karte zu setzen und Desert Dove, ihr Debütalbum für das amerikanische Yep-Roc-Label (Aoife O’Donovan, Jim Lauderdale, Eleni Mandell), in Kalifornien einzuspielen. „Hinter den Kulissen sah es nicht gut für mich aus, und die einzige Möglichkeit, Musik aufzunehmen, war, mich auf meine Kreditkarte zu verlassen. Das war zwar Furcht einflößend. Aber ich glaubte genügend an meine Songs, um das Risiko einzugehen.“

Dabei hatte zunächst alles gut ausgesehen für das sogenannte „army brat“ aus Brooklyn, das aufgrund der militärischen Karriere seines Vaters schon in Washington, Kalifornien, Virginia, Michigan und Italien gelebt hatte. Das unstete Leben führte allerdings auch dazu, dass Michaela schon jung einer Masse an musikalischen Genres ausgesetzt war. „Als Kind fühlte ich mich wie ein Chamäleon“, erinnert sich die Sängerin. „Ich wollte immer möglichst schnell in die Umgebung passen, in der ich mich befand. Also habe ich mich umgesehen und nach Freunden Ausschau gehalten, die mir dabei geholfen haben zu überleben. Das hat sich auch in meinem Musikgeschmack niedergeschlagen – ich mochte alles.“

Bereits im Alter von sieben Jahren schrieb die kleine Michaela ihr erstes Lied – ausgerechnet einen Rap-Song. „Ich wurde schon früh wegen meine große Klappe kritisiert“, grinst die Sängerin. „Und ich fühlte mich auch schon immer zu Kindern hingezogen, die Ärger bekamen. Später wurde mir vorgeworfen, immer nur Rendezvous mit ‚bad boys‘ zu haben.“ Über zehn Jahre hat Michaela Anne in Brooklyn, New York, gelebt, wo sie auch studiert hat – und zwar Jazz an der renommierten New School of Music in Manhattan. „Ich fühle mich immer noch ein bisschen wie eine New Yorkerin“, sagt die Sängerin nachdenklich, „aber viele Dinge in New York waren auch sehr stressig für mich. Vielleicht dominieren so viele introspektive, mich selbst reflektierende Songs auf meinen Platten, weil das etwas ist, was mich schon in New York stark beschäftigt hat.“

Noch in New York erhielt sie jedenfalls einen Plattenvertrag, und das erste Album Ease My Mind für das kleine, aber feine Kingswood-Label, das amerikanischen Musiklegenden wie Jim Kweskin oder Bobby Ingram eine Heimat bietet, aber auch junge Künstlerinnen wie Kaia Kater und Alana Amran unter Vertrag hat, war 2014 ein Kritiker-Erfolg. Die New York Times lobte die „direkten Songs über romantische Reue und kleinstädtische Sehnsucht“, die Village Voice feierte das Album als eins der besten Countryalben des Jahres. Nach dem Umzug nach Nashville erschien zwei Jahre später Kingswood-Album Nummer zwei, Bright Lights And The Fame, mit Gastauftritten von Rodney Crowell und dem Punch Brother Noam Pikelny. Songs daraus konnten sich in der Fernsehserie Divorce mit Sarah Jessica Parker und Thomas Haden Church platzieren. Zu Rodney Crowell, dem Ex-Mann von Rosanne Cash, der als Countrysänger selbst fünf Nummer-eins-Hits hatte und der auf dem Song „Luisa“ dabei ist, hatte Michaela Anne schon lange eine musikalische Beziehung. „Ich liebe seine Songs“, gesteht die Sängerin. „Oft gefällt mir ein Song und ich schaue nach, wer ihn geschrieben hat, und in den meisten Fällen ist es Rodney.“

Wer verstehen will, warum der Vice-Musikkanal Noisey „Bright Lights And The Fame“ als „die Antwort auf Bro-Country“ feierte, muss erst einmal wissen, für was dieses neue Countrygenre eigentlich steht. Bro-Country schildert – meist aus männlicher Perspektive, eben der der „Bros“ – die Freuden einer Freitagnacht, den Konsum von Alkohol und die Anziehungskraft attraktiver junger Frauen und ist in den letzten zehn Jahren in den USA entstanden. Zu den erfolgreichsten Interpreten des jungen Subgenres zählen Jason Aldean, Luke Bryan und Blake Shelton. Die Musik ist laut und poppig, und schon bald wurde Bro-Country von Künstlern wie Willie Nelson, Brad Paisley und Kacey Musgrave vor allem für den Ausschluss von Künstlerinnen kritisiert. Kein Wunder also, dass die eher zurückhaltende Musik und die feminine Perspektive von „Bright Lights And The Fame“ – der Titelsong versteht sich explizit als Antwort auf Hank Williams’ Countryklassiker „Ramblin’ Man“ aus weiblicher Sicht – als willkommenes Statement verstanden wurde.

„In Nashville darf die Frau in einem Countrysong niemals das Opfer sein, aber erst recht nicht der Täter.“

Anstrengende Touren durch die USA und Europa schlossen sich für Michaela Anne an. „Die letzten Jahre gehörten zu den schwersten meines Lebens“, seufzt die zierliche Sängerin. „Mir wurde immer klarer, dass die Balance zwischen meiner Karriere und meinen persönlichen Beziehungen viel komplexer ist, als ich es mir bislang vorgestellt hatte.“ Gleichzeitig gefielen ihre neuen Songs ihrer Plattenfirma nicht mehr so wie bisher. „In Nashville gibt es so eine Art ungeschriebene Regeln des Songwritings“, erzählt Michaela Anne. „Mir wurde gesagt, dass die Frau in einem Countrysong niemals das Opfer sein darf, aber erst recht nicht der Täter. Aber das ist doch nicht das wahre Leben! Als Frau ist man manchmal alles auf einmal, und über diese Erfahrungen wollte ich schreiben.“ Im Titelsong des neuen Albums Desert Dove geht es zum Beispiel um eine Prostituierte, und deren Rolle als Dienstleisterin und Komfortquelle für Männer wird von der Sängerin deutlich in Frage gestellt: „You love them all the way they want and they need / But tell me who does your heart wish to please?“, während das geistreiche „If I Wanted Your Opinion“ – Stichwort „Mansplaining“ – schon im Titel alles sagt.

Schließlich hatte Michaela Anne das Gefühl, die Enge von Nashville verlassen zu müssen. Ihr Songwriting klingt immer noch nach klassischer Countrymusik, aber ihre neuen Produzenten Sam Outlaw und Kelly Winrich – er spielt Keyboards und Drums in der kalifornischen Rockband Delta Spirit – hatten eine Menge frische Ideen für die Arrangements. Angefangen von dem üppigen, aber niemals kitschigen Geigenarrangement des Openers „By Our Design“ bis zu Indierock-Einflüssen auf „Somebody New“. „Etwas in Kalifornien hat sich richtig angefühlt“, freut sich die Sängerin. „Die Musik wurde von der Wüste und der Westküste inspiriert, und in manchen Songs habe ich sogar Anspielungen auf den Staat versteckt.“ Zur Seite standen ihr Musiker wie der Gitarrist Brian Whelan, der schon für Dwight Yoakam gespielt hat, die Kacey-Musgraves-Geigerin Kristin Weber und die Schlagzeuger Mark Stepro und Daniel Bailey. Stepro hat bereits für Musiker wie Ben Kweller und Butch Walker gespielt, zu Baileys Arbeitgebern zählten unter anderem Everest und Father John Misty. Sie alle füllen die zeitlosen Songs von Michaela Anne mit Leben. Und wer es weiterhin lieber traditionell mag, für den spielt die Sängerin ganz am Schluss noch „Be Easy“ – lediglich begleitet von einer akustischen Gitarre.

3

michaelaanne.com

Aktuelles Album:
Desert Dove (Yep Roc/Cargo, 2019)

3

Aufmacher Foto:

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat der Artikel gefallen?

Dieser Artikel ist für Dich kostenlos. Unabhängiger Musikjournalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Du uns einmalig unterstützt oder sogar Teil unser folker-Gemeinschaft wirst. Egal wie, du hilfst dabei, gemeinsam diese Plattform wachsen zu lassen sowie eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür jetzt schon herzlichen Dank!

Um unsere Arbeit zu honorieren, kannst du auch eine klassische Überweisung auf folgende Bankverbindung tätigen:

fortes medien GmbH
Verwendungszweck: »folker.world einmalig«
IBAN DE44 7016 9351 0104 3310 01
BIC GENODEF1ELB

* Eine von der Steuer absetzbare Spendenquittung über den Betrag können wir Ihnen leider nicht ausstellen. folker.world wird nicht als gemeinnützige Organisation gelistet, sondern als Zeitung bzw. Verlag. Beiträge zu folker.world sind daher keine Spenden im steuerrechtlichen Sinne.

Werbung

L