Ein Livealbum ist oftmals eine Verlegenheitslösung in der Diskografie. Wenn ein Künstler schon nichts Neues zu vermelden hat, so bietet er seinem Publikum zumindest neue Versionen altbekannter Songs an. Für An Evening Of New York Songs And Stories trifft das allerdings nur bedingt zu. Die Singer/Songwriterin Suzanne Vega identifiziert man dermaßen mit ihrer Wahlheimat New York, dass dieses Livealbum aus dem berühmten Café Carlyle zu einer ganz besonderen Angelegenheit wird.
Text: Rolf Thomas; Titelfoto: George Holz
Mit dem Gitarristen Gerry Leonard, dem ehemaligen musikalischen Direktor David Bowies, hat Suzanne Vega sich außerdem einen illustren Begleiter an Bord geholt, der eine kleine, aber feine Band anführt, zu der außer ihm noch der Bassist Jeff Allen und der Keyboarder Jamie Edwards – der zum Beispiel auch oft bei Aimee Mann zu hören ist – gehören. Es sind natürlich vornehmlich ihre eigenen Songs, die Suzanne Vega auf diesem Livealbum zum Besten gibt, darunter mit „Tom’s Diner“, „Luka“ und „Marlene On The Wall“ auch ihre größten Hits. Eigenwillig klingt das Album dennoch, denn Vega hat es im berühmten Café Carlyle aufgenommen, jenem Ort, an dem bis vor der Coronapandemie 23 Jahre lang jeden Montag Woody Allen mit Klarinette und Dixieland-Truppe auftrat. Legenden wie Eartha Kitt oder Judy Collins haben dort schon Konzerte gegeben, legendär ist das Café außerdem als der Ort, an dem Jackie Kennedy und Audrey Hepburn sich begegnet sind. „Es ist ein sehr altes, sehr schönes und sehr teures Café an der Upper East Side“, erzählt Suzanne Vega. „Es ist ein wunderbarer Ort mit einer tollen Atmosphäre und gehört einfach zu New York. Es ist natürlich auch ein toller Ort für Konzerte, weil es voller Geschichte steckt. An den Wänden hängen diese ganzen Bilder und Fotografien, das macht es sehr ‚arty‘. Ich liebe diesen europäischen Bohemian-Glamour einfach.“
Mit „New York Is A Woman“, „Ludlow Street“ und „Frank And Ava“ – über einen berühmten Streit zwischen Frank Sinatra und Ava Gardner, den Vega auf dem Livealbum sehr witzig schildert – sind auch Songs aus ihrem Blue-Note-Album Beauty & Crime enthalten, einer CD von 2007, die in ihrer Diskografie immer ein wenig übersehen wird, obwohl die Platte immerhin einen Grammy in der leicht skurrilen Kategorie „Best Engineered Album“ bekam. „Jedes Konzert, bei dem es darum geht, New York City zu feiern, muss natürlich auch Songs von Beauty & Crime enthalten“, findet Suzanne Vega, „weil das Album sehr New-York-zentriert ist. Es ist eine Art Liebeserklärung an New York nach dem elften September.“
„Ich liebe diesen europäischen Bohemian-Glamour einfach.“
Mit „New York Is My Destination“ enthält das neue Album auch einen Song aus ihrem Liederabend, den Suzanne Vega einst über die Schriftstellerin Carson McCullers (Das Herz ist ein einsamer Jäger, Die Ballade vom traurigen Café) geschrieben hat. Daraus ist ihr Album Lover, Beloved: Songs From An Evening With Carson McCullers hervorgegangen. „Sie ist eine sehr interessante Frau und war wirklich ihrer Zeit voraus“, findet die Sängerin. „Als ich Collegestudentin war, habe ich ihre Bücher geliebt, denn sie schreibt sehr tapfer und quasi unzensiert. Ich mag aber auch ihre Persönlichkeit, sie war sehr schrullig und individuell. Sie hatte eine Menge Empathie für Außenseiter.“
McCullers hatte eine Affäre mit Annemarie Schwarzenbach, einer schillernden Persönlichkeit aus dem Umfeld Erika Manns, über die sie zeitlebens nur wenig geschrieben hat. „Sie hat nur davon geschrieben, dass sie sie einmal geküsst habe – das sei alles gewesen“, weiß Vega. „Es scheint sich um eine Art unerwiderte Liebe gehandelt zu haben, die sie für Annemarie Schwarzenbach empfunden hat.“
Wie der Zufall es will, ist vor Kurzem ein bislang unentdeckter Brief im Nachlass der Schauspielerin und Schriftstellerin Ruth Landshoff-Yorck aufgetaucht, indem sich McCullers erstmals ausführlich über ihre Beziehung zu Schwarzenbach auslässt, zu finden in der Zeitschrift Sinn und Form, Ausgabe 5/2019. Annemarie Schwarzenbach war eine Schweizer Journalistin und Schriftstellerin, die sich nicht nur gegen die Nazis engagierte, sondern außerdem mit Erika Mann – der Tochter Thomas Manns – befreundet war. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog es sie nach New York, wo sie Carson McCullers kennenlernte. Die verliebte sich Hals über Kopf in die Schweizerin, die die Liebe jedoch nicht erwiderte. Dafür schrieb Schwarzenbach aber mehrere wohlwollende Rezensionen über Das Herz ist ein einsamer Jäger, McCullers Debütroman. In dem nun aufgetauchten Brief beschreibt sie Schwarzenbach sehr liebevoll, bemerkt aber auch kritisch, dass die Schweizerin sie wie ein kleines Kind behandelt habe. „Das hört sich ziemlich ehrlich an“, sagt Suzanne Vega grinsend, die von dieser Entdeckung zum Zeitpunkt unseres Interviews noch nichts gehört hat und dementsprechend interessiert ist.
An Evening Of New York Songs And Stories enthält mit „Walk On The Wild Side“ auch einen gecoverten Song. Dass Suzanne Vega Lou Reeds größten und im Prinzip einzigen Hit singt, hat einen bestimmten Grund. Sie war nicht nur mit ihm befreundet, sie hat ihm auch als Teenagerin Ende der Siebzigerjahre ein beeindruckendes Konzerterlebnis zu verdanken. „Es war das erste Konzert, das ich überhaupt jemals besucht habe“, erzählt sie enthusiastisch. „Das war 1979, und ich erinnere mich sehr genau daran. Er küsste seinen Leadgitarristen auf den Mund, tat so, als ob er sich Heroin in den Arm schießen würde, und machte überhaupt eine Menge verstörendes Zeug. Die Musik war sehr laut und auch sehr irritierend. Er sang ein paar Songs aus seinem Album Berlin, die sehr beunruhigend klangen, gleichzeitig aber auch unvergesslich. Am nächsten Tag besorgte ich mir das Album.“
Man kann also sagen, dass Lou Reed zumindest mitverantwortlich für die musikalische Karriere Suzanne Vegas gewesen ist. Ohne diese Konzerterfahrung hätte sie sich sicher nicht so eingehend mit der damaligen Rockmusik beschäftigt, auch wenn sie selbst eine völlig andere musikalische Richtung eingeschlagen hat. Mit dem etwas düsteren und ebenfalls für New York stehenden Rockstar hat Vega sich dann in den Neunzigerjahren angefreundet.
Zu einer Zusammenarbeit zwischen den beiden so gegensätzlichen Musikern ist es leider nie gekommen, der ehemalige Sänger der Kultband Velvet Underground ist vor sieben Jahren gestorben. „Ich hatte ihm mal den Text meines Songs ‚I Never Wear White‘ geschickt“, erinnert Vega sich, „in dem es heißt: ‚White is for virgins / … / Black is for secrets / Outlaws and dancers / For the poet of the dark.‘ Ich dachte, das würde ihm vielleicht gefallen. Wie cool wäre das gewesen, wenn Lou Reed diese Zeilen gesungen hätte – und sei es nur als Backgroundsänger. Er starb leider, bevor es dazu hätte kommen können.“
Cover An Evening of New York Songs and Stories
Aktuelles Album: An Evening Of New York Songs And Stories (Cooking Vinyl/Sony, 2020)
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