Angesichts der politischen Situation, die in den Ländern der Sahara, aus denen Tamikrest stammen, so brisant und verzweifelt ist, ist Tamotaït mehr als nur ein Musikalbum. Der Titel bedeutet „Hoffnung auf eine positive Veränderung“. Veränderung wie ein Ende der Kämpfe, die den Norden Malis und die gesamte Region seit Jahren plagen.
Text: Olaf Maikopf; Titelfoto: Ishida Masataka
Die geistige Heimat des nordamerikanischen Blues ist der glühende Wüstenblues-Sound der Saharavölker. Vor mehr als dreißig Jahren formierte sich dort in den Tuareg-Flüchtlingslagern in Algerien eine neue Musikerszene, die diese alten Formen auffrischen wollten. Bald wurde ihr Desert Blues auch außerhalb Afrikas zu einem viel beachteten neuen Musikgenre.
Tamikrests inzwischen sechstes Album ist das weitläufigste und abenteuerlichste, das die fünf Musiker bisher aufgenommen haben. Mit ihren elektrischen Gitarren erkunden sie hier jeden Winkel ihres Sounds, kooperieren auch mit der renommierten marokkanischen Sängerin Hindi Zahra und reisten sogar nach Japan, um das Saiteninstrument Tonkori des Ainu Oki zu integrieren. Plus diese Innovationen, zu den von ihnen gewohnten Spuren aus Blues, Psychedelia und Rock, bestätigen sich Tamikrest hier als die innovativste Band westafrikanischer Wüstenmusik. „Unsere Musik basiert auf Tradition, dabei sind Instrumente wie die Flöte und die Tuareg-Violine sehr wichtig. Es ist Musik, die von Hirten gemacht wird. Aber unsere Musik, die von Tamikrest, tendiert zur Moderne, wir lassen uns auch von äußeren Einflüssen inspirieren, benutzen moderne Instrumente. All dies ist kein Zufall, wir wollen, dass unsere Musik von vielen Menschen gehört wird. Wir suchen den Übergang zwischen Modernität und Tradition, wollen wirklich eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen schlagen, damit jeder in unserer Musik etwas Erkennbares findet“, erklärt Ousmane Ag Mossa, Gitarrist und Sänger von Tamikrest im Interview.
Die Kindheit und Jugend der fünf Bandmitglieder war vom Bürgerkrieg in ihrer Heimat geprägt, einige verloren Familienmitglieder und Freunde während der Tuareg-Aufstände zwischen 1990 und 1995, in denen die Volksgruppe größere Autonomie einforderte. Als 2006 wieder Unruhen ausbrachen, beschlossen Ousmane Ag Mossa und sein Schulfreund Cheikh Ag Tiglia, sich nicht dem bewaffneten Kampf anzuschließen, sondern stattdessen mit musikalischen Mitteln auf die Anliegen der Tuareg aufmerksam zu machen, und gründeten Tamikrest. Wegen des fortwährend giftigen regionalen Konflikts, bei dem Rebellen und Armee große Teile ihrer Heimatregion kontrollieren, lebt die Band nun seit bald zehn Jahren nicht mehr in der nordmalischen Wüstenstadt Kidal, wo sie 2007 starteten, sondern im algerischen Tamanrasset, in Paris und zeitweise auch entlang der trostlosen algerisch-malischen Grenzgebiete.
Doch Exil kann auch die Hoffnung auf Rückkehr bedeuten, und auf „Amzagh“ und „As Sastnan Hidjan“, den beiden Titeln, die die Gruppe als entscheidend für das Verständnis der Themen von Tamotaït ansieht, singen Tamikrest von den Möglichkeiten, die ihrem Nomadenvolk der Tuareg (sie selbst nennen sich Kel Tamashek) bevorstehen. „Wir wollen endlich in Freiheit leben, wollen unsere Identität, unsere Kultur fortsetzen und verbreiten. Nach der Kolonialzeit wurde unser Volk auf fünf Staaten verteilt, die Grenzen wurden künstlich gezogen, und wir werden von Menschen regiert, die nichts von unserer Tradition wissen. Als Künstler sehe ich nur eine Lösung, nämlich unser eigenes Entscheidungsrecht und Territorium für unser Volk zu erwerben. Das ist meine Hoffnung nach fünfzig bis sechzig Jahren der Unterdrückung. Ich sage Ihnen nur, wie ich das sehe. Ich glaube nicht mehr an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, an die internationalen Verträge und so weiter. Meiner Meinung nach verteidigen sie ihre eigenen Interessen. Wenn sie in einem Konflikt Interessen haben, verteidigen sie nur diese. Meine Hoffnung ist, dass wir eines Tages aus dieser Situation herauskommen werden“, sagt Ag Mossa mit entschlossenem Blick.
Tamikrest ist ein passender Name für eine Band, die so erfolgreich die Werte ihrer zeitlosen Kultur mit den Klängen und Visionen, die sie bei ihren Reisen auf den Konzertbühnen dieser Welt kennengelernt hat, zu einer heilenden Musik mit spirituellem Charakter verbindet. Dass speziell elektrische Gitarren die Basis dieses Sounds sind, kommt nicht von ungefähr. Denn es sind typische Instrumente ihrer Kultur, die oft bei traditionellen Festen eingesetzt werden, was aber außerhalb ihres Wirkungskreises nicht wirklich bekannt ist. Vielleicht erstaunt im ersten Moment auch, welche Musik die Tuareg hören und besonders welche Gitarristen sie verehren, nämlich Mark Knopfler, Eric Clapton, B. B. King, David Gilmour und Stevie Ray Vaughan. „Mir persönlich gefallen diese Künstler, weil sie mich immer wieder überraschen. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Stil, schöne Kompositionen und eine perfekte Technik. Immer wenn ich diesen Gitarristen zuhöre, bin ich begeistert.“
Foto: Aarón S. Ramos
Genauso wie ihre Kollegen von Tinariwen, der Sänger Bombino oder die Newcomer Alkibar Junior haben auch Tamikrest mittlerweile sehr viel internationale Anerkennung unter den Fans grenzüberschreitender Musik erreicht. Trotzdem ist die Band der Ansicht, dass dieser Erfolg kein Selbstzweck ist. So findet ihr Leiter Ousmane Ag Mossa, dass die eigentliche Frage weit über den Begriff der künstlerischen Leistung hinausgeht. „Selbst wenn unsere Musik den Mitgliedern ein besseres Leben und ein wenig Trost gibt, solange mein Volk an den Rand gedrängt und verfolgt wird, hat sie keinen wirklichen Wert. Im Laufe der vergangenen Jahre wurde in Kidal nichts wirklich besser. Schauen Sie sich an, wie wir leben. Dies ist nicht Bamako, es ist eine andere Welt. Niemand investiert in die Entwicklung dieser Stadt. Neunzig Prozent der jungen Menschen sind arbeitslos.“
Auf Tamotaït kooperieren Tamikrest zweimal mit Gästen, einmal, wie gesagt, mit der bekannten marokkanischen Sängerin Hindi Zarah und zum anderen mit den Japanern Oki Kano und Atsushi Sakta. So erweitert die Band ihren hypnotisch archaischen Sound gleich um zwei faszinierende Elemente, die so noch nicht im Tuareg-Blues zu hören waren. „Hindi Zahra ist eine ganz wunderbare Sängerin. Ich habe sie über unseren Gitarristen Paul Salvagnac kennengelernt, der auch in ihrer Band spielt. Als wir in Belgien ein gemeinsames Konzert mit Hindi gaben, verliebten wir uns sofort in ihre Stimme und luden sie gleich dazu ein, gemeinsam an unserem Album zu arbeiten.“ 2017 tourten Tamikrest erstmals in Japan. Dort trafen sie auf einem Festival in Toyota City den Musiker Oki. Er gehört dem Volk der Ainu an, das sind die indigenen Ureinwohner des nördlichen Japan, die bis circa 300 vor Christus in ganz Japan lebten. Oki spielt die alte drei- oder auch fünfsaitige Tonkori. „Ich liebte ihn! Sein Instrument kannte ich zuvor überhaupt nicht. Ein Jahr nach unserem ersten Treffen kehrte ich nach Japan zurück, um das Land zu entdecken, ein Land weit weg von allem, was ich kenne, der Wüste. In dieser Zeit habe ich auch viel mit japanischen Musikern zusammengespielt. Diesen Einfluss wollte ich unbedingt auf dem neuen Album von Tamikrest präsent haben. Es ist sehr wichtig für mich zu zeigen, dass Musik universell ist. Es gibt jetzt japanische Einflüsse in unserer Tuareg-Musik, das ist doch fantastisch, oder? Musik kennt keine Grenzen. Ich habe diese Erfahrung wirklich genossen. Wer weiß, was die nächste Zukunft bringen wird?“
Cover Tamotaït
Aktuelles Album:
Tamotaït (Glitterbeat/Indigo, 2020)
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