White Man’s World?

Moderner Country zwischen MAGA und Protest

2. Dezember 2025

Lesezeit: 3 Minute(n)

Country gilt gemeinhin als rechtskonservatives Genre. Darum, warum diese Beschreibung zwar zu guten Teilen stimmt, aber doch nur an der Oberfläche kratzt, geht es in der Honky Tonk Post im Dezember 2025.

Text: Ralf Grabuschnig

Spätestens seit 2016 gilt Country als rechts, konservativ und das Genre, das Donald Trump und der MAGA-Bewegung wohl am treuesten zur Seite steht. Nach zumindest oberflächlichen Belegen für diese These muss man auch nicht lange suchen.

Jason Aldean etwa singt von „Try That In A Small Town”, beschwört dabei wilde Law-and-Order-Fantasien und begeistert damit Millionen. Und auch wenn man sich auf einem durchschnittlichen Countryfestival umschaut, sieht man inzwischen ähnlich viele MAGA-Caps wie Cowboyhüte.

Das ergibt auf den ersten Blick auch Sinn. Das Countrypublikum der USA ist eben zu weiten Teilen weiß und ländlich geprägt und pflegt tendenziell ein Selbstbild, das Tradition, Familie und Nation in den Mittelpunkt stellt. Überlappungen mit der Trump-Wählerschaft lassen sich da kaum übersehen.

Aber: Dieses Bild ist trotzdem unvollständig. Denn Country ist ein riesiges Genre und war als solches – wie alle großen Musikgenres und Bewegungen – noch nie ein Monolith. Die Geschichte der Musik ist auch eine Geschichte der Arbeiterklasse, eine Geschichte von Armut und sozial Außenstehenden.

Daher gibt es auch heutzutage Nischen in der Countryszene, die sich explizit links oder liberal verorten. Und es gibt Artists, die damit ein riesiges Publikum erreichen.

Jason Isbell – „White Man’s World“

Jason Isbell and the 400 Unit – The Nashville Sound. © 2017 Southeastern Records

 

Jason Isbell ist wahrscheinlich einer der einfluss- und erfolgreichsten Songwriter in der aktuellen Indieszene der Vereinigten Staaten und gleichzeitig einer der politisch klarsten.

Im Jahr 2021 etwa veröffentlichte er das Album Georgia Blue. Darauf coverte er ausschließlich Songs von Musikschaffenden aus Georgia. Eine Hommage an den Staat, der im Jahr davor wie eine Insel im tief konservativen US-Süden mehrheitlich demokratisch gewählt hatte.

Das war für Jason Isbell jedoch keine Premiere. „White Man’s World“ aus dem Jahr 2017 ist ein auffallend selbstkritischer Song über weiße Privilegien und die Verantwortung, die mit ihnen einhergeht. Isbell singt darin aus der Perspektive eines weißen Mannes, der erkennt, dass die Welt für ihn schlicht einfacher ist als für andere. Und dass das kein Zufall ist.

American Acquarium – „A Better South“

American Acquarium – A Better South. © 2020 New West Records, LLC

 

Diesen Song habe ich in der „Honky Tonk Post“ hier schon einmal erwähnt – damals im Zusammenhang mit dem in der Countrymusik praktizierten Umgang mit Geschichte. Aber er ist auch ein perfektes Beispiel für Bands, die sich kritisch mit der aktuellen Politik der USA auseinandersetzen, ganz besonders im Süden.

„A Better South“ rechnet ab mit der noch immer vorherrschenden Verklärung der konföderierten Südstaaten, mit der Weigerung, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen und mit dem daraus resultierenden Alltagsrassismus. Sänger BJ Barham singt darin:

I’m sick and tired of listening to Daddy’s generation

The byproduct of war and segregation

Still thinking they can tell us of what to do

Who can live where and who can love who

Klare Worte.

Margo Price – „Lydia“

Margo Price – Strays. © 2022 Margo Price., Under exclusive license to Loma Vista Recordings. Distributed by Concord.

 

Dann gibt es da noch Artists wie Margo Price. Sie gehört zur neuesten Generation des Outlaw Country – Kulturschaffende, die sich nicht nur musikalisch, sondern auch politisch deutlich positionieren.

Auf ihrem Album Strays aus dem Jahr 2023 thematisiert sie unter anderem das Zurückfahren von Abtreibungsrechten, Fälle von Polizeigewalt und soziale Ungleichheit. Ein besonders starkes Beispiel für all das ist der Song „Lydia“.

In ihm erzählt Price von einer Frau, die ungewollt schwanger wird und keine Wahl hat. Der Song ist wütend, empathisch und politisch unmissverständlich. Und auch stilistisch fällt es nicht schwer, ihn in eine Reihe mit klassischen Protestsongs der Sechzigerjahre zu stellen.

Man sieht: Country ist vielfältiger, als es das Klischee will. Eine Tatsache, die ohnehin auf fast alles im Leben zutrifft.

 

Aufmacherfoto: Jason Isbell (© Robert Rausch)

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