Leipzig galt zu DDR-Zeiten als heimliche Folkhauptstadt. Danach folgten magere Jahre. Inzwischen hat sich die Stadt zu einem spannenden Zentrum in Sachen Lied und Chanson entwickelt – mit Namen wie Nadine Maria Schmidt, Peggy Luck, Masha Potempa, Maria Schüritz und Paula Linke. Auffällig ist die weibliche Dominanz, mit Sarah Lesch zog sogar eine Größe der Szene in die Messestadt. Der folker stellt mit Paula Linke, die sich inzwischen zur Organisatorin der Szene der Stadt entwickelt hat, eine der zentralen Vertreterinnen vor.
Text: Reinhard „Pfeffi“ Ständer
Während die meisten der erwähnten Songpoetinnen nicht aus Leipzig stammen, wurde Paula Linke hier geboren, und zwar im historischen November 1989. Mehr noch: Ihre Taufe fand in der Nikolaikirche statt, dem Symbol der friedlichen Revolution. Ihr Vater Robert Weinkauf gehörte zur Folkszene, bei den Ioculatores spielte er Renaissancemusik. Kein Wunder, dass Linke an der Musikschule eine rundum musikalische Bühnenausbildung erfuhr: Gesang, Klavier, Klarinette, Tanztheater bis hin zum Ballett. Später studierte sie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Als wichtigste Lehrjahre sieht Paula ihre Anstellungen an den Theatern in Ansbach und Münster an. „Dort habe ich alles gelernt, um zur selbständigen Künstlerin zu werden und über den eigenen Tellerrand zu schauen, von Soziologie bis Dramaturgie und vor allem Organisation. Das nützt mir jetzt sehr.“
Trotzdem wandte sie sich 2019 vom Theater ab und zog zurück nach Leipzig. Inzwischen stand sie gelegentlich bei Poetry-Slams, in Cafés und Kneipen mit eigenen Liedern auf der Bühne, es gab die ersten Alben. Das Gitarrenspiel hatte sie sich selbst beigebracht, die ersten eigenen Lieder entstanden bereits 2003. Nun also das Wagnis freischaffende Liedermacherin und die Frage, ob man davon leben kann. Seit drei Jahren beweist, dass es geht. Sie gab Konzerte und wurde in der Liedszene der Stadt aktiv.
„Ich bin mein eigenes kleines Theater.“
Auch die ersten Erfolge stellten sich ein: 2020 gewann Paula Linke beim Liederfest in Hoyerswerda unter schwierigen Lockdown-Umständen den Hoyschrecke-Publikumspreis. Im Jahr darauf schaffte sie es auf die Shortlist des Rio-Reiser-Songpreises, 2022 ins Finale des Dieter-Wasilke-Folk-Förderpreises beim Venner Folk Frühling und im letzten Jahr auf Platz eins in der Kategorie „Einzelsänger:innen“ beim Peter-Rohland-Singewettstreit auf Burg Waldeck. Auf die Frage nach Vorbildern nennt sie die Chansonsängerin Édith Piaf, die große Marlene Dietrich, aber auch die Literaturschaffenden Virginia Woolf, Rafik Schami und Jostein Gaarder sowie Liedermacher Gerhard Schöne.
Auffällig ist, dass sich Linke auf allen ihrer vier Alben bisher allein mit der Akustikgitarre selbst begleitet, während ihre Liedkolleginnen im Aufnahmekontext zumeist auf Begleitmusiker, -musikerinnen oder gar Bands setzen. Sie sagt dazu, dass sie ihre Lieder im Studio genauso interpretieren möchte wie im Konzert, da dann mehr auf die Texte geachtet wird.
Allerdings arbeitet die Liedermacherin nebenbei an mehreren Projekten mit anderen Kulturschaffenden zusammen. Dazu zählen das Duo Adriana mit der Geigerin Thekla Apitz, die auch in der Frauenband Einzelteile aktiv ist, die musikalisch-literarische Reihe „Lax & Lux“ mit dem Autor Daniel Baierl in einem Leipziger Café und neuerdings ein Duoprojekt mit ihrem Vater, welches 2024 Premiere haben wird.
Im Juni tritt sie beim Treffen des Vereins Gundermanns Seilschaft in Hoyerswerda gemeinsam mit der Maria Schüritz und Merle Weißbach beim „Frauen-Power-Abend“ auf. Zudem ist sie im Juli Cheforganisatorin der Sommerwerkstatt Lied in Hohenbüssow in Mecklenburg-Vorpommern. Beim Verein Leipziger Liederszene hat sie die Organisation des „Liederladens“ übernommen, und für den November sind wieder „Leipziger Liedernächte“ geplant. Auf die Frage, ob der immense Bürokram nicht zu nervend und anstrengend sei, antwortet Linke: „Nein, mir macht das Spaß. Ich bin mein eigenes kleines Theater mit allen Rollen.“
Vor Kurzem ist ihr viertes Album erschienen – im November digital, im Januar als CD –, es trägt den Titel Schön durcheinander, welches in poetischer Art weltpolitische wie persönliche Themen behandelt. Dabei ist mit dem Durcheinander eher die problematische Situation in der Welt als die im eigenen Kopf gemeint, und es lässt sich wohl auch „Schön durch einander“ hineindeuten. Da heißt es im Lied „In mir wird es hell“: „Es gibt Tage, an denen ich denke: / Das ist alles viel zu viel! / Und ich wünsch’ mir, es wär’ um mich her / Schwerelos, leer und bloß still.“ In „Undine“ thematisiert sie den Klimawandel, in „Im Walde von Bialowieza“ das Thema Migration und Menschlichkeit und in „Raumschiff Erde“ den Erhalt der Welt in ihrer Zerbrechlichkeit. Über unerreichte Lebensziele handelt „Allein fällt Träumen schwer“.
Trotzig singt sie in einem anderen Lied: „Und drumherum die ganze Welt / Ist Chaos, wir haben’s vorbestellt … / Wir sollten öfter bei Regen nackt am Strand zu Evergreens tanzen.“ Paula Linke weiß auf diesem Album – wie übrigens auch auf den Alben davor – mit glasklarer, frischer Stimme, sympathischer Ausstrahlung und feinfühligem Gitarrenspiel zu überzeugen. Es wurde überwiegend per Crowdfunding finanziert, wo sich ebenfalls ihr Organisationstalent bewährte.
Auch Linkes frühere Alben sind hörenswert. Beispielsweise Das war das von 2020 mit dem Lied „Weltuntergangsparties“ zum Ausfall unzähliger Kulturveranstaltungen in der unsäglichen Zeit der Pandemie. Oder das unter die Haut gehende „Der Krake“ auf Ich will noch runder werden, in dem ein trauriger Krake sich das Ertrinken flüchtender Menschen im Mittelmeer ansehen muss. In „Sie irren“, Bonusmaterial auf demselben Album, wird der Rechtsruck thematisiert und dass man sich einander zuhören muss. Ein für Paula Linke wichtiges Thema, da in drei ostdeutschen Bundesländern 2024 Landtagswahlen stattfinden, die nichts Gutes erahnen lassen. Darum möchte sie gerade in diesem Jahr dort so oft wie möglich auftreten und sich für Demokratie einsetzen. Überhaupt ist der Terminkalender für dieses Jahr voll, es gibt zahlreiche Konzerte bis in die Schweiz und viele weitere Projekte. Dafür ist der gut organisierten Musikerin größtmöglicher Erfolg und Durchhaltevermögen zu wünschen.
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