Wenn es um ihren Beruf geht, wird sie energisch: „Meine Arbeit ist es, Musik zu machen, die Menschen berührt. Ich will schöne Abende gestalten, die vielleicht auch gesellschaftlich etwas bewegen, mit denen ich Arbeitsplätze schaffe und für die ich ein Team führe. Aber dafür ist es nicht wichtig, schön auszusehen.“ In einer Musikbranche, die aus ihrer Sicht von cisgeschlechtlichen Männern dominiert wird – „cis“ steht für Menschen, die sich mit ihrem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren –, sei das jedoch schwierig. „Ich werde immer zuerst damit konfrontiert, wie ich aussehe. Doch egal, was man über mich schreibt, ob ich klein, blond, schön sei oder als kleine Prinzessin gelte, ich empfinde das alles als verletzend“, macht die in Leipzig lebende Musikerin klar.
Sie erlebe immer wieder, dass der Einstieg für Frauen in den Kulturbereich voller Hindernisse sei. „Von uns wird erwartet, dass wir erst einmal etwas Anständiges machen“, sagt die ausgebildete Erzieherin. Schaffe man dann den Sprung in die Musik, wolle die Männerwelt die Frauen auf Äußerlichkeiten reduzieren und meist kleinhalten sowie nett haben. „Ich habe selbst erlebt, wie schwer es ist, für Festivals engagiert zu werden. Gibt es bereits eine Frau, reicht den Veranstaltern das meist.“ Zudem sei die Zusammenarbeit von Mikroaggressionen und Machtspielen seitens der meisten männlichen Kollegen geprägt. Das gelte vor allem, wenn es um die Organisation von Familie gehe. „Ist man, so wie ich, alleinerziehend, muss man sich als Mutter viel anhören, wenn man das Kind mit auf Tour nimmt. Übernehmen jedoch die Väter diese Rolle, werden sie gelobt und kriegen auf den Spielplätzen gleich Kekse geschenkt“, beklagt Lesch.
Die in Schwaben aufgewachsene Künstlerin hat auch immer wieder Diskriminierung erlebt. Gerade Veranstalter hätten in der Anfangsphase ihrer Karriere ausgenutzt, dass sie von ihnen finanziell abhängig war. Zudem nimmt sie – teils physische – Übergriffe auch heute noch in der Branche wahr. „Es ist allerdings sehr schwer zu sagen, wo die Grenzen liegen, denn Übergriffe sind sehr vielschichtig und meist sehr individuell“, sagt Lesch. Wichtig sei für sie, die Aggressionen nicht wegzudiskutieren. „Wir Frauen müssen anfangen, eigene Maßstäbe zu setzen, und es ablegen, dass alle einen mögen müssen. Wir müssen uns treu bleiben, unseren Selbstwert stärken.“
Aufgrund ihrer Erfahrungen versucht sie, ihr Team sehr divers zusammenzustellen. „Ich bin offen für Queere, BIPoC, FLINTA*-Personen oder auch behinderte Menschen“, so die Liedermacherin. Dabei spricht sie geeignete Kandidatinnen und Kandidaten direkt an oder sucht etwa in Frauennetzwerken wie Music Women* Germany. Letztlich waren es die Frauen, die in ihr Team kamen, die ihr die Selbstzweifel nahmen und sie in ihren Qualitäten bestärkten. Deshalb legt die Autodidaktin Wert auf ein Team, in dem sich alle gegenseitig unterstützen. Aus diesem Grund lehnt sie auch Honorarverhandlungen ab. „Bei uns bekommen alle das Gleiche, und das wird offen kommuniziert.“
Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu Geschlechtergerechtigkeit sieht sie im Gendern. „Sprache ist etwas sehr Prägendes. Wenn wir etwa von Kindern als Rabauken sprechen, meinen wir meist nur Jungen, da damit bestimmte Assoziationen verbunden sind. Es gibt aber auch viele Mädchen, die Rabauken sind“, erläutert die Künstlerin. Gleichzeitig ist Sprache für sie etwas sehr Wandelbares und Kreatives. „Gerade die deutsche Sprache ermöglicht es uns, Dinge und Gefühle sehr präzise auszudrücken. Deshalb müssen wir daran arbeiten, neue Ausdrücke für unterschiedliche Lebenskonzepte zu entwickeln.“ Sie selbst habe bereits absichtlich Liebeslieder geschrieben, in der es ein lyrisches Ich und Du ohne Geschlecht gebe. Aber einfach sei das nicht, weil zum Beispiel nicht genug Pronomen für alle Geschlechterformen existierten.
Weiterhin würde sie über eine Frauenquote hinausgehen und eine FLINTA*-Quote unterstützen. Die häufige Kritik, dass damit mehr inkompetente Personen in Positionen kämen, ist für sie kein Argument. „Es gibt auch heute viele inkompetente Männer in führenden Positionen.“ Ein Hauptproblem sei die Sozialisierung. Die Frauen, mit denen sie zusammenarbeite, seien sehr kompetent. Gleichzeitig liefen sie aber immer mit einer devoten Haltung herum und passten sehr auf, wie sie sich verhalten oder aussehen, um einem Bild zu entsprechen. Aber wenn wir Menschen nur nach Bildern und Normen behandelten, hätten wir ein großes Problem in der Gesellschaft. „Erst wenn alle Verschiedenheiten von Menschen in einem Team Raum haben, ist es ein sicherer Platz, und nur dann ist Wachstum und wirkliches miteinander Lernen möglich“, bringt sie ihre Version von Zusammenarbeit auf den Punkt. „Und das setzt voraus, nicht länger Leute zu schützen, die übergriffig werden, und vor allem sich selbst zu reflektieren, ob man Geschlechtergerechtigkeit im Alltag tatsächlich lebt.“
Erik Prochnow
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