Auf den PunktĀ #4: Sarah Lesch

ā€žWir Frauen mĆ¼ssen anfangen, eigene MaƟstƤbe zu setzen.ā€œ

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10. Mai 2022

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Lesezeit: 3 Minute(n)

Wenn es um ihren Beruf geht, wird sie energisch: ā€žMeine Arbeit ist es, Musik zu machen, die Menschen berĆ¼hrt. Ich will schƶne Abende gestalten, die vielleicht auch gesellschaftlich etwas bewegen, mit denen ich ArbeitsplƤtze schaffe und fĆ¼r die ich ein Team fĆ¼hre. Aber dafĆ¼r ist es nicht wichtig, schƶn auszusehen.ā€œ In einer Musikbranche, die aus ihrer Sicht von cisgeschlechtlichen MƤnnern dominiert wird ā€“ ā€žcisā€œ steht fĆ¼r Menschen, die sich mit ihrem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren ā€“, sei das jedoch schwierig. ā€žIch werde immer zuerst damit konfrontiert, wie ich aussehe. Doch egal, was man Ć¼ber mich schreibt, ob ich klein, blond, schƶn sei oder als kleine Prinzessin gelte, ich empfinde das alles als verletzendā€œ, macht die in Leipzig lebende Musikerin klar.

Sie erlebe immer wieder, dass der Einstieg fĆ¼r Frauen in den Kulturbereich voller Hindernisse sei. ā€žVon uns wird erwartet, dass wir erst einmal etwas AnstƤndiges machenā€œ, sagt die ausgebildete Erzieherin. Schaffe man dann den Sprung in die Musik, wolle die MƤnnerwelt die Frauen auf ƄuƟerlichkeiten reduzieren und meist kleinhalten sowie nett haben. ā€žIch habe selbst erlebt, wie schwer es ist, fĆ¼r Festivals engagiert zu werden. Gibt es bereits eine Frau, reicht den Veranstaltern das meist.ā€œ Zudem sei die Zusammenarbeit von Mikroaggressionen und Machtspielen seitens der meisten mƤnnlichen Kollegen geprƤgt. Das gelte vor allem, wenn es um die Organisation von Familie gehe. ā€žIst man, so wie ich, alleinerziehend, muss man sich als Mutter viel anhƶren, wenn man das Kind mit auf Tour nimmt. Ɯbernehmen jedoch die VƤter diese Rolle, werden sie gelobt und kriegen auf den SpielplƤtzen gleich Kekse geschenktā€œ, beklagt Lesch.

Die in Schwaben aufgewachsene KĆ¼nstlerin hat auch immer wieder Diskriminierung erlebt. Gerade Veranstalter hƤtten in der Anfangsphase ihrer Karriere ausgenutzt, dass sie von ihnen finanziell abhƤngig war. Zudem nimmt sie ā€“ teils physische ā€“ Ɯbergriffe auch heute noch in der Branche wahr. ā€žEs ist allerdings sehr schwer zu sagen, wo die Grenzen liegen, denn Ɯbergriffe sind sehr vielschichtig und meist sehr individuellā€œ, sagt Lesch. Wichtig sei fĆ¼r sie, die Aggressionen nicht wegzudiskutieren. ā€žWir Frauen mĆ¼ssen anfangen, eigene MaƟstƤbe zu setzen, und es ablegen, dass alle einen mƶgen mĆ¼ssen. Wir mĆ¼ssen uns treu bleiben, unseren Selbstwert stƤrken.ā€œ

Aufgrund ihrer Erfahrungen versucht sie, ihr Team sehr divers zusammenzustellen. ā€žIch bin offen fĆ¼r Queere, BIPoC, FLINTA*-Personen oder auch behinderte Menschenā€œ, so die Liedermacherin. Dabei spricht sie geeignete Kandidatinnen und Kandidaten direkt an oder sucht etwa in Frauennetzwerken wie Music Women* Germany. Letztlich waren es die Frauen, die in ihr Team kamen, die ihr die Selbstzweifel nahmen und sie in ihren QualitƤten bestƤrkten. Deshalb legt die Autodidaktin Wert auf ein Team, in dem sich alle gegenseitig unterstĆ¼tzen. Aus diesem Grund lehnt sie auch Honorarverhandlungen ab. ā€žBei uns bekommen alle das Gleiche, und das wird offen kommuniziert.ā€œ

Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu Geschlechtergerechtigkeit sieht sie im Gendern. ā€žSprache ist etwas sehr PrƤgendes. Wenn wir etwa von Kindern als Rabauken sprechen, meinen wir meist nur Jungen, da damit bestimmte Assoziationen verbunden sind. Es gibt aber auch viele MƤdchen, die Rabauken sindā€œ, erlƤutert die KĆ¼nstlerin. Gleichzeitig ist Sprache fĆ¼r sie etwas sehr Wandelbares und Kreatives. ā€žGerade die deutsche Sprache ermƶglicht es uns, Dinge und GefĆ¼hle sehr prƤzise auszudrĆ¼cken. Deshalb mĆ¼ssen wir daran arbeiten, neue AusdrĆ¼cke fĆ¼r unterschiedliche Lebenskonzepte zu entwickeln.ā€œ Sie selbst habe bereits absichtlich Liebeslieder geschrieben, in der es ein lyrisches Ich und Du ohne Geschlecht gebe. Aber einfach sei das nicht, weil zum Beispiel nicht genug Pronomen fĆ¼r alle Geschlechterformen existierten.

Weiterhin wĆ¼rde sie Ć¼ber eine Frauenquote hinausgehen und eine FLINTA*-Quote unterstĆ¼tzen. Die hƤufige Kritik, dass damit mehr inkompetente Personen in Positionen kƤmen, ist fĆ¼r sie kein Argument. ā€žEs gibt auch heute viele inkompetente MƤnner in fĆ¼hrenden Positionen.ā€œ Ein Hauptproblem sei die Sozialisierung. Die Frauen, mit denen sie zusammenarbeite, seien sehr kompetent. Gleichzeitig liefen sie aber immer mit einer devoten Haltung herum und passten sehr auf, wie sie sich verhalten oder aussehen, um einem Bild zu entsprechen. Aber wenn wir Menschen nur nach Bildern und Normen behandelten, hƤtten wir ein groƟes Problem in der Gesellschaft. ā€žErst wenn alle Verschiedenheiten von Menschen in einem Team Raum haben, ist es ein sicherer Platz, und nur dann ist Wachstum und wirkliches miteinander Lernen mƶglichā€œ, bringt sie ihre Version von Zusammenarbeit auf den Punkt. ā€žUnd das setzt voraus, nicht lƤnger Leute zu schĆ¼tzen, die Ć¼bergriffig werden, und vor allem sich selbst zu reflektieren, ob man Geschlechtergerechtigkeit im Alltag tatsƤchlich lebt.ā€œ

Ā Erik Prochnow

sarahlesch.de

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