Die ambitionierteste Veröffentlichung des irischen Singer/Songwriters bisher, sein „Opus magnum“, wie er es nennt, dessen Aufnahmen fast zwei Jahre in Anspruch nahmen. Aus dem von Thomas Crofton Croker 1828 in seinen Fairy Legends and Traditions of the South of Ireland festgehaltenen Märchenstoff (den auch die Brüder Grimm übersetzten) rund um die vermeintliche Entstehung des mitten in der südirischen Stadt Cork gelegenen Cork Lough spinnt Spillane eine archaisch und modern zugleich klingende Folkoper, wie es sie bisher noch nicht gegeben haben dürfte.
Anspruchsvoll und facettenreich, ist dieses zweistündige, dreiaktige Werk, an dessen Komposition Spillane über drei Jahre arbeitete, mit den üblichen Maßstäben an ein Folkalbum kaum zu messen. Auf der Basis gälischsprachiger Erzähltraditionen katapultiert der Singer/Songwriter die dahinterliegende Geschichte zurück in eine von englischen Einflüssen noch unberührte antike gälische Welt und greift dabei geschickt zurück auf zahlreiche typische Elemente des irischen Storytellings. Gleichzeitig entsteht eine Verbindung zur heutigen Zeit, wenn der kriegssüchtige, Machterhalt und patriarchalen Gesetzen folgende König die Vorahnungen seiner „hübschen, aber törichten“ Tochter, der Prinzessin Fioruisce („Quellwasser“), dass sie alle in einer Flut ertrinken werden, als Verschwörungserzählung abtut und sich auch nicht von seiner Frau, der an die Vernunft appellierenden Königin beeinflussen lässt. Eine spannende Parabel auf Zeiten, wo Klimakatastrophen narzisstische Machtbesessene nicht davon abhalten, weiter Kriege zu führen und ihre Pfründe zu sichern.
Auch wenn man des Irischen nicht mächtig ist, bekommt man etwas mit von den Stimmungen, zwischendurch gibt es einleitende oder zusammenfassende Liedpassagen in Englisch. Spillane selbst übernimmt dabei unter anderem die Rolle des Barden, für weitere Parts konnte er einige hochrangige Sean-Nós-Sängerinnen und -Sänger der irischen Szene gewinnen wie Niamh Farrell, Ríoghnach Connolly, Eoghan Ó Ceannabháin oder Nell Ní Chróinín.
Wer Irish Folk kennt, wie er hierzulande in der Regel präsentiert wird, dürfte sich die Augen beziehungsweise Ohren reiben: Fast durchgehend wird gesungen, typische irische Folkinstrumente wie Fiddle oder Uilleann Pipes spielen keine Rolle. Dafür – neben viel Percussion, ab und an Gitarre oder Flute – immer wieder das Nationalinstrument Irlands, die Harfe, was dem Ganzen das Anmuten eines Epos verleiht. Weitere Klangkörper und Gesänge verbinden mit anderen indigenen Kulturen und unterstreichen den universalen Charakter von Fioruisce.
Fazit: Buchstäblich wie das Wasser der in der Legende beschriebenen Quelle sprudeln Fantasie und Kreativität John Spillanes hier in ein monumentales Konzeptalbum, das vermeintlich Unvereinbares zusammenbringt – Vergangenheit und Gegenwart, Mythologie und Realität, traditionelle, indigene, klassische, theatralische oder sogar Hip-Hop-Elemente.
Zwei Dinge sind etwas schade: Offenbar ist (vermutlich wegen des Aufwands) bisher keine Liveaufführung geplant, und für nicht des Gälischen Mächtige dürfte wenig hilfreich sein, dass weder der CD noch der Onlineveröffentlichung die gesungenen Texte oder gar deren Übersetzung beigegeben sind. Ausführliche Informationen zu Inspiration, Entstehung und Inhalten finden sich jedoch auf der eigens erstellten Website www.fioruisce.ie.
Stefan Backes
Foto: Promo
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