Mestizo
Mestizo
Mais Um/Mambo Negro
Mestizo/ Kolumbien, Großbritannien
n die Musikwelt einer anderen Kultur hinein zu tauchen, kann recht inspirierend sein. Im Fall von Mestizo haben sich der britisch-karibische Bandleader und Saxophonist Ahnansé und der kolumbianische Labelchef und Multiinstrumentalist Daniel Michel zu einem gemeinsamen Projekt zusammengetan, welches gegenseitige neue Erfahrungen produzieren sollte. Im Mai 2022 brachte Ahnansé vier Musiker aus der Londoner Jazz- und Hip-Hop-Community nach Bogotá für eine einwöchige Kompositions- und Aufnahmesession zusammen mit Daniel Michels Auswahl kolumbianischer Musiker. Stilistisch trafen kolumbianischer Currulao und Cumbia mit entsprechend traditionellem Instrumentarium wie auch Salsa auf Rap, elektronische Musik und Jazz-Improvisationen. Der Musik merkt man an, dass viel probiert wurde und die Freude an der außergewöhnlichen Begegnung mit Temperament umgesetzt wurde. Doch dass zwei unterschiedliche Musikkulturen nach einer Woche Zusammenarbeit einen Geniestreich hinbekommen, ist eher unwahrscheinlich. Zu sehr dominiert der Jamsession-Charakter. Die Stücke wirken wie eine demokratische Abfolge der Beteiligten und dabei geriet die Qualität der Melodien und Songs in den Hintergrund. Insbesondere wirken die Bläser zu plärrig im Klang und dienen meist nur zur Wiedergabe des Riffs – von einigen akzeptablen Soli abgesehen. Musik muss einen berühren, sie ist nicht allein deswegen gut, weil man Ungewöhnliches kombiniert. Das war aber schon immer das Problem des Mestizo-Stils, den sich die Formation ultimativ auf die Fahne geschrieben hat.
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Canto Do Sol
Avant L’Équinoxe
Jaboticaba/ InOuie Distribution
Crossover/ Frankreich, Brasilien, Kapverden
Eine völlig andere Art musikalischem Crossover bietet die in Frankreich gegründete Band Canto Do Sol um Sängerin Sophie Magnani. Äußerst entspannte akustische Musik, in der sich Melodien und Rhythmen Brasiliens und der Kapverden mit Chansons auf wunderbare Weise vermischen. Cavaquinho und Perkussion sorgen für ein bisschen Choro-Touch. Die Melodien gehen nicht mehr aus dem Ohr und sogar ein Ragtime mischt sich drunter. Gesungen wird in Französisch und Portugiesisch. Der Wechsel zwischen beiden musikalischen Welten geschieht fast unmerklich. Federleichte Songs, die einem den Sommer erhalten, selbst wenn es regnen sollte.
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As Madalenas
As Madalenas
Millesuoni/ Galileo
MPB/ Italien, Brasilien
Immer wieder ist es verblüffend, dass es einheimische MusikerInnen in anderen Ländern oft gelingt, brasilianische Musik vorzüglich zu komponieren und zu spielen wie auch authentisch klingen zu lassen. Das Duo As Madalenas ist so ein Beispiel. Cristina Renzetti und Tati Valle sind zwei Italienerinnen, die seit 2013 sogar Aufmerksamkeit in Brasilien erzeugen und den großen brasilianischen Komponisten Guinga für sich gewinnen konnten. Die beiden harmonieren aber auch perfekt in ihrem besinnlichen Satzgesang und liefern Melodien ab, die meist gut ins Ohr gehen und sofort zum Mitsingen verführen. Vielleicht half hier die Tatsache, dass die italienischen Cantautori und die brasilianische Musik ähnliche Höhenflüge zu produzieren in der Lage sind, was man besonders im (italienischen) Schlussstück „Vecchio Amore“ nachvollziehen kann. Beim Anspieltipp „Fogo Gelo“ wiegt man sich im sanft hingehauchten Reggae in die Hängematte, bevor man vom quirligen „Baião De Lacan“ wieder geweckt wird. Ein beeindruckendes Duo.
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Bixiga 70
Vapor
Glitterbeat Records
Brasilien/ Jazz-Crossover
„Die Afro-Brazilian-Groove-Visionäre Bixiga 70 aus São Paulo melden sich mit einem ekstatischen fünften Album zurück…“ So steht es im Promotext von „Vapor“, doch mag man weder ekstatische Grooves noch visionäre Musik darauf erkennen. Und auch vom hier beschworenen Neuanfang ist kaum etwas zu merken. Die Musik von Bixiga 70 besteht aus simplen Bläsersätzen mit simplen Melodien. Riff und Melodie ist hier fast das Gleiche. Lediglich die Arrangements, die wechselnde Instrumentaleinsätze veranlassen, sind etwas komplexer. Der Ensemblesound der Bläser bestimmt das Geschehen, solistische Einlagen spielen kaum eine Rolle. Oft ist die Atmosphäre der Stücke eher getragen, behäbig, pathetisch. Sie changiert zwischen Zirkusmusik und Filmmusik inklusive retromäßiger Blubberelektronik. Oft weiß man nach zehn Sekunden, wie das Stück endet. Wird es einmal dynamisch, wirkt es künstlich betriebsam. Nichts wirklich Aufregendes also.
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Andrés Cepeda
Décimo Cuarto
Sony Music Colombia,
Kolumbien/ Latin Pop
Gar nicht so einfach ist es, religiöse Gesänge des brasilianischen Candomblé in unsere heutige Zeit annehmbar zu übertragen. Der Sängerin Irma Ferreira ist das mit einfachsten Mitteln gelungen. Sie erschafft eine intensive Atmosphäre, die hypnotisch und spirituell wirkt. Auf Trommelorgien und pathetische Chorgesänge wurde zum Glück verzichtet. Manchmal hört man zu ihrem Gesang nur ein leises Dröhnen. Ergreifend.
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Alfredo Rodriguez
Coral Way
Mack Avenue Records/in-akustik
Kuba, USA/ Latin Fusion
Die jüngere Generation kubanisch-stämmiger Latin-Jazzer wandelt in letzter Zeit zunehmend den seit Jahrzehnten vorhandenen Eklektizismus des Stils in eine neue Form. Jazz, lateinamerikanische Rhythmen sowie stilistische Zitate und Effekte der Popmusik geraten zu einem zeitgemäßen, teilweise sehr persönlichen Sound. Dies merkt man auch dem kubanischen Pianisten Alfredo Rodriguez an, der inzwischen wie so manche Kollegen in Miami wohnt. Dort strömte vieles auf ihn ein, was er mit Jazz verbinden wollte: Latin-Pop, Timba, Salsa, Bachata, Tango, Reggaeton, Bolero, aber auch seine Klassik-Ausbildung schimmert durch. Temporeich und knackig sind seine Arrangements, insbesondere die funkigen Bläsersätze, die sehr an Earth, Wind & Fire erinnern. Die spanische Soulsängerin Alana Sinkëy und Hip Hopper Cimafunk ergänzen diese Modernisierung. Ein besonderer Genuss ist es, am Schluss Beethovens „Für Elise“ als funkigen Tango zu hören, der dann eine Reise in verschiedene kubanische Rhythmen antritt.
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Eliades Ochoa
Guajiro
(World Circuit)
Kuba/ Son
26 Jahre ist es inzwischen her, dass der Buena Vista Social Club seinen Welterfolg startete. Seitdem versucht man diese Goldgrube mit Unveröffentlichtem, Edelausgaben und Soloalben der Beteiligten am Leben zu erhalten. Gründungsmitglied, Sänger und Gitarrist Eliades Ochoa setzt diese Tradition nun mit einem Soloalbum für ungebrochene Dauerfans fort, auch wenn die Stimme schon etwas gebrochen wirkt. Er wollte immerhin Neues bieten, lud Gäste wie Rubén Blades, die Indie-Rockerin Joan As Policeman oder Bluesharpspieler Charlie Musselwhite ein. Entscheidender sind aber die dezenten stilistischen Ausflüge mit Flamenco-, Tango- oder Boleroklängen oder wenn die Bläser etwas nach Ranchero wirken. Am besten kommt Ochoa in flotten Titeln wie „Anita Tun Tun“ rüber. Eine durchdachte Produktion mit zudem sehr persönlichen Texten Ochoas. Ihn werbemäßig gleich zum kubanischen Johnny Cash zu erheben, scheint jedoch arg weit hergeholt.
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MARCOS VALLE
Nova Bossa Nova
Far Out Recordings
Brasilien/ Bossa Nova, Fusionjazz
Wiederveröffentlichung des Comebackalbums von 1998 zum 80. Geburtstags von Marcos Valle, der zur zweiten Generation der Bossa Nova mit Kollegen wie Deodato oder Airto gehört. Hier mischte der Meister brasilianische Rhythmik mit Acid-Jazz und Funk, machte eine recht tanzbare Musik aus dem Bossa Nova und wurde damit zum Vorbild für Brazilectro und zeitgemäßem Brasiljazz. Die 25 Jahre merkt man dem Album kein bisschen an. 1998 hatte Marcos Valle weit über ein Jahrzehnt lang kein Album veröffentlicht. Nach 1983 ärgerte er sich über die Art und Weise, wie sich die Musikindustrie durch die Kommerzialisierung und neue Anforderungen verändert hatte, die seine kreative Freiheit einschränkten. 1994 holte Far Out-Chef Joe Davis Valle zu seinem Label. Der richtige Moment, als die Acid-Jazz-Bewegung zu einer neuen Nachfrage nach brasilianischer Musik auf den Tanzflächen führte. Das Album enthält tanzbare Rhythmen von Bossa Nova bis House; dominierendes Instrument ist das Fender Rhodes Piano. Die meisten Stücke haben einfache Akkordwechsel mit programmierten Rhythmus und Perkussion. Die Relaxness der Bossa Nova hört man am ehesten noch in den Gesangsstücken heraus. Aber auch schöne Songs mit textlosem Gesang wie „Nordeste“ sind dabei. Ab August ist Valle auf Europa-Tour.
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Die Einschläge werden dichter. Deshalb hat es sich inzwischen von alleine ergeben, hier eine Kategorie einzuführen, die auf jüngst verstorbene Stars der Latin Music Szene eingeht, sofern das hier bekannt wurde, und sie kurz zu würdigen.
ABSCHIEDE
Astrud Gilberto
* 30. März 1940 Salvador da Bahia, Brasilien
† 5. Juni 2023 Philadelphia, Pennsylvania, USA
Wenn es je eine Stimme gab, die Coolness vermittelte, dann Astrud Gilberto. Für immer verbindet man sie mit der Single „The Girl From Ipanema“, die Fluch und Segen zugleich für sie war. Noch heute ist sie das Maß der Dinge, wie man diese relaxte Atmosphäre des Gesangs im Bossa Nova hinbekommt und die Single ist immer noch in der Liste der am meisten gecoverten Songs Nummer zwei. Ehemann João Gilberto verdiente sich eine goldene Nase damit, Astrud hat bis heute nur 120 Dollar dafür bekommen. Die meisten Brasilianer mochten ihre Stimme nicht und so wurde kolportiert, sie wäre nur zufällig als Sängerin eingesprungen. Zudem war João Gilberto sauer, dass sein Gesang in der US-Version gegen den seiner Frau ausgetauscht wurde. Ihre Art zu singen setzte sich dennoch durch und ließ sogar 1998 George Michael anfragen, mit ihr ein Duett aufzunehmen. Die Tochter eines deutschen Einwanderers schuf es auch ohne die psychisch angeknacksten Stan Getz und João Gilberto, zur weiblichen Gesangsikone mit 19 Alben zu werden. Jetzt starb sie 83-jährig an einem Herzleiden.
Foto (Ron Kroon/Anefo): Astrud Gilberto, Amsterdam 1966; Fotograf: Ron Kroon/Anefo, Wikimedia CC0 1.0
João Donato
* 17. August 1934 in Rio Branco, Acre, Brasilien
† 17. Juli 2023 in Rio de Janeiro, Brasilien
„Wenn dich João Donato zu einem Termin bat, dann musst du andere Dates sofort verschieben. Das geht nicht anders“, sagte mir einst Gilberto Gil über den brasilianischen Pianisten, der jetzt verstarb. Er hat mit fast jedem kooperiert, der in Sachen Bossa Nova bekannt wurde, band aber immer Jazz und lateinamerikanische Musik in sein Werk ein, zuletzt sogar Disco. Einen Großteil der 1960er lebte er ebenso wie in den frühen 1970er Jahren in den USA, spielte dort mit vielen Jazzern zusammen. 2010 gewann er noch bei den 11. Latin Grammy Awards einen Grammy für Sambolero in der Kategorie „Best Latin Jazz Album“. Sein großer Hit „A Rá“ sollte ebenso nicht unerwähnt bleiben.
Foto Thiago Piccoli , Wikipedia CC BY 3.0
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