MARCOS VALLE
Túnel Acústico
Far Out Recordings
Brasilien / MPB, Brasil Jazz
Brasiliens Altstar Marcos Valle hat sich in letzter Zeit mit einer Tournee zu seinem 80. Geburtstag zurückgemeldet, nun gibt es auch ein neues Album. Mit dabei sind zwei Mitglieder der Jazz-Funk-Gruppe Azymuth: Alex Malheiros am Bass und Renato Massa am Schlagzeug. Diese Besetzung könnte man als eine Art Supergroup des Far Out-Labels bezeichnen, doch ist von den entsprechenden Qualitäten leider nicht viel zu hören. Trotz leicht funkigem Groove und brasilianischer Perkussion wirkt die Musik allzu loungig und damit driftet die Aufmerksamkeit schnell ab. Der flauschige Sound mag zwar für die Strandbar funktionieren, aber die Stücke unterscheiden sich in Akkordfolgen, Rhythmik und dem hauchigen Gesang kaum. Einzig das schnelle „Tem Se Quer Feliz“ sticht etwas hervor. Wer Valle live kennt, käme bestimmt auf die Idee, dass ein Konzert-Album die bessere Lösung gewesen wäre.
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ROSA MORENA RUSSA
Chora Berlim
Bayla Records/ Galileo MC
Deutschland, Brasilien / Choro
Kateryna Ostrovska a.k.a. Rosa Morena Russa ist eine deutsch-ukrainische Musikerin, die ihr Herz an die brasilianische Musik verloren hat und in den letzten Jahren immer wieder überraschend gute Alben veröffentlicht hat, die auch ihren osteuropäischen Background mit einbezogen. Hier singt sie allerdings nicht, sondern spielt das Cavaquinho und hat fast alle Titel komponiert. Der brasilianische Choro ist ein melodiöser Musikstil, der aber auf Dauer etwas brav wirkt. Choro ist eine Mischung aus europäischer Klassik, Salonmusik und afrikanischen Rhythmen und wird gerne in Jamsessions (Rodas) gespielt. Bandolim, Cavaquinho, Flöte oder Klarinette sind im Choro oft benutzte Instrumente.
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THE BONGO HOP
La Pata Coja
Broken Silence (physisch)/ Believe (digital)
Kolumbien, Frankreich / Afro-Latin
Etienne Sevet a.k.a. The Bongo Hop wuchs in Frankreich auf, lebte einige Zeit in Kolumbien, wo er aber eher westafrikanische Musik hörte, und tauchte danach in die World-Music-Scene von Lyon ein. Dieser Lebenslauf verursacht in seiner Musik eine Mischung aus meist Afro Beat und lateinamerikanischen Stilelementen von Martinique bis Kolumbien mit poppigen Versatzstücken. Damit liegt Sevet im Trend. Hierbei unterstützen ihn gesanglich bekannte Gäste von der haitianischen Dunkelstimme Moonlight Benjamin bis Brasiliens Innovator Lucas Santtana. Gesungen wird in vier Sprachen, was den stilistischen Patchworkcharakter noch unterstreicht. Trotz dieser interessanten Voraussetzungen und eingängigen Melodien wirken die Stücke jedoch zu gleichmäßig. Nach einer Minute weiß man, wie der Rest klingt. Es fehlen Höhepunkte und dynamische Steigerungen. Am ehesten überzeugt noch das jamaikanische Mento-Stück „meMento“.
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ADRIAN YOUNGE & ALI SHAHEED MUHAMMAD
Jazz Is Dead 021
Jazz Is Dead/ Cargo
USA, Brasilien / Loungejazz, MPB
Schon 21 Ausgaben haben der amerikanische Pianist und Multiinstrumentalist Adrian Younge und der Bassist Ali Shaheed Muhammad in ihrer Albumreihe Jazz Is Dead veröffentlicht, darunter viele mit brasilianischen Musikern. Beide stammen aus dem Hip Hop, in denen Jazzveteranen aus den 1960er und 1970er Jahren öfter gesampelt werden. Sie wollten diese Musiker würdigen und mit ihnen zusammenarbeiten. Das Konzept beinhaltet ebenfalls, musikalische Ideen schnell und ohne viel Aufwand gemeinsam zu entwickeln und aufzunehmen. Also eher eine Jam Session zwischen unterschiedlichen Genres und auf keinen Fall ein Aufpolieren von altem Jazz durch Remixen oder mit Zeitgeistelementen. Mit dem provokativen Namen der Reihe Jazz Is Dead hat man tatsächlich eine gewisse Aufmerksamkeit bei unterschiedlich orientiertem jüngeren Publikum erzeugen können und das „Kassengift“ Jazz wieder etwas hip gemacht. Die Begegnung mit ständig wechselnden Gastmusikern und damit neuen Einflüssen aus anderen Genres könnte für den Jazz tatsächlich eine kleine Frischkur ergeben. Die eher etwas lounge-mäßige Spielweise der beiden Musiker hat bislang aber nur bedingt qualitative Highlights erreicht.
Die 21. Ausgabe von Jazz Is Dead weist gleich eine Vielzahl an meist brasilianischen Musikern auf. Bei den Stücken sind nur wenige Highlights dabei und die Untermalung mit flauschigen Orchesterklängen wirkt verzichtbar. Auch sind die Titel relativ kurz. Hervorzuheben ist der Beitrag des brasilianischen Pianisten und Sängers Dom Salvador, der aus der Samba-Funk-/ Black Rio-Bewegung stammt. Er ahmt mit seinem Gesang die quietschige Cuica nach und gibt dem eher loungigen Track dadurch etwas Ausgeflipptes. Brasiliens Diva Joyce Moreno glänzt mit perfektem Bossa Nova-Rhythmus und textlosem Gesang, während die Titel mit den weniger bekannten brasilianischen Sängern Antonio Carlos e Jocafi sowie Hyldon recht hausbacken wirken. Dass dann der ghanaische Highlife-Musiker Ebo Taylor noch auftaucht, ist konzeptionell zwar nur bedingt nachvollziehbar, sein schwungvoller bis federnder Rhythmus gibt dem Album dennoch einen Kick. Dies aber nur knapp vier Minuten lang, was für afrikanische Musiker eher einer Aufwärmübung gleichkommt. So begrüßenswert das Konzept der Reihe ist, so sehr überzeugen nach wie vor nur einzelne Stücke und kein gesamtes Album.
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HENRIQUE GOMIDE & DAPHNE OLTHETEN
Brasis – Sonho de Lá
Challenge Records
Brasilien, Niederlande / Kammermusik
Kammermusik aus Brasilien? Ja und Nein. Wer Liebhaber von Kammermusik und auf neue Erfahrungen aus ist, dem sei dieses Duo-Album, empfohlen. Der Pianist Henrique Gomide und die Violinistin Daphne Oltheten präsentieren brasilianische Musik in kammermusikalischen Arrangements. Nicht gemeint ist dabei Musik brasilianischer klassischer Komponisten, die es durchaus gibt, wie Heitor Villa-Lobos oder Hans-Joachim Koellreutter. Es geht vielmehr um Stücke von Musikern wie Pixinguinha, Moacir Santos, Chico Buarque, Sivuca, Baden Powell oder Egberto Gismonti. Sie sind „Klassiker“ der anspruchsvollen populären brasilianischen Musik oder stilbildend für musikalische Genres wie Choro oder Afro-Samba, doch die Kombination von Klavier und Violine spielte in ihrer Musik keine Rolle. „Brasilien ist ein Land, das sich weiterhin neu erfindet“, sagt aber das Duo und in diesem Sinne entwickelten sie ihre anders klingenden Interpretationen. Nun erwartet man von Kammermusik eine gediegene, ernste Atmosphäre, die den Klischees brasilianischer Musik eher entgegengesetzt ist. Diese Bipolarität macht jedoch den Reiz des Albums aus. Wer die Stücke im Original kennt, wird sie hier völlig neu erleben. Aber weil dabei andere Rhythmen, Melodien und Harmonien als in der klassischen Kammermusik eine Rolle spielen, werden auch Liebhaber dieses Genres ungewohnte Eindrücke bekommen. Manchmal swingt es sogar oder entwickelt durch einige Gastmusiker einen Jazztouch. Den ungestümem Improvisationsrausch eines Egberto Gismonti, der ja Tradition, Jazz und Klassik virtuos zu verbinden weiß, darf man hier allerdings nicht erwarten. Man kann sich dazu fein anziehen, wird sich aber beim Mitwippen erwischen.
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Abschiede
Die Einschläge werden dichter. Deshalb hat es sich inzwischen von alleine ergeben, hier eine Kategorie einzuführen, die auf jüngst verstorbene Stars der Latin Music Szene eingeht, sofern das hier bekannt wurde, und sie kurz zu würdigen.
SÉRGIO SANTOS MENDES
* 11. Februar 1941 in Niterói, Brasilien;
† 5. September 2024 in Los Angeles, USA
Zu den erfolgreichsten brasilianischen Songs überhaupt gehört gewiss das von Sérgio Mendes bekannt gemachte Stück „Mas, Que Nada“. Damit hat der brasilianische Pianist, Komponist und Arrangeur sich unsterblich gemacht und war für viele der Einstieg in die brasilianische Musik. Mendes gelang es damit, 1966 in die internationalen Charts vorzudringen und in den nächsten Jahren Coverversionen bekannter Pophits mit seinem Samba-gefärbten Sound zu etablieren. Brasilianische Musik wurde dadurch Teil des Mainstreampops. Mendes war 1964 vor der Militärdiktatur in Brasilien nach Los Angeles geflüchtet, hatte etliche Jahre zuvor aber schon als Jazzpianist großen Erfolg. Mit seinem Ensemble Sérgio Mendes & Brasil ’66 setzte er ab 1966 durch Sängerinnen wie Lani Hall und Gracinha Leporace neue Standards für den Satzgesang. Im Laufe seiner über 60-jährigen Karriere veröffentlichte er mehr als 35 Musikalben. Ähnlich wie Carlos Santana wusste er sich dabei immer wieder mit Gaststars wie Stevie Wonder und Nachwuchsmusikern im jeweiligen musikalischen Zeitgeist zu erneuern. Dadurch wurde er stets für neue Generationen interessant. Seine Alben waren zwar kommerziell und in viele Geschmacksrichtungen orientiert, wiesen aber immer den höchsten Produktionsstandard auf. Dabei vergaß er nie, brasilianische Kollegen wie Carlinhos Brown einzuladen, und nutzte deren Kompositionen oder Genres. 2006 gelang es Mendes mit einer Rap-Version von „Mas, Que Nada“ mit Hilfe der Black Eyed Peas den Song erneut zum Superhit zu machen. Und schließlich sagte sich Mendes „Mas, Que Nada“ (Ach, was soll’s?) und nahm eine dritte erfolgreiche Version 2011 für den Animationsfilm Rio auf. Kein Wunder, dass er da längst als der international erfolgreichste brasilianische Musiker aller Zeiten galt. Mit seiner Verbindung von Samba und Bossa Nova mit Easy Listening, Pop, Jazz und Funk hat er jahrzehntelang Maßstäbe gesetzt. Im September starb er mit 83 Jahren an den Folgen einer Corona-Infektion.
CATERINA GERMAINE MARIA VALENTE
* 14. Januar 1931 in Paris;
† 9. September 2024 in Lugano
Und noch eine Legende ist nicht mehr. Was war sie alles: Sängerin, Tänzerin, Gitarristin, Schauspielerin, Showmasterin und Sprachtalent. Für die Hörerschaft des Folker besonders interessant: Es gibt bis heute keine Musikerin, die so viel für das Kennenlernen lateinamerikanischer Musik und Weltmusik in Deutschland getan hat wie Caterina Valente. Schon seit 1959 führte sie Bossa Nova-Stücke in ihren Programmen auf. Und bereits 1955 bekam sie in Brasilien den O Globo-Award als beste ausländische Interpretin lateinamerikanischer Musik und 1956 einen weiteren Preis in Mexiko. Auf Alben und in ihren TV-Shows vermittelte sie schon früh und beständig dem deutschen Durchschnittshörer Latin Music. So holte sie 1963 den brasilianischen Gitarristen Luiz Bonfá in ihre Fernsehshow Bonjour, Cathrin! Es sollte bis heute (!) der einzige brasilianische Musikstar in einer publikumsträchtigen deutschen Fernsehshow bleiben! Allein diese Tatsache zeigt die Ignoranz anderer Musikkulturen im deutschen Fernsehen und gleichzeitig die Weltoffenheit und den Mut von Valente. Mit ihrem Bruder Silvio Francesco entwickelte sie sogar über etliche Alben hinweg ein weltmusikalisches Duo-Projekt als Club Argentina, Club Indonesia usw. Selbst ihr letzter Hit hatte etwas mit Lateinamerika zu tun: Ihr „Bongo Cha Cha Cha“ aus dem Jahr 1959 wurde 2019 zum Hit auf TikTok. Jetzt starb sie im Alter von 93 Jahren. Mit Caterina Valente ist wohl die letzte große und allerseits anerkannte Vermittlerin anderer Musikwelten von uns gegangen.
JOSÉ MAURO
1948–2024
Der Sänger, Gitarrist und Komponist José Mauro aus Rio de Janeiro ist im Alter von 75 Jahren gestorben. Nur zwei Alben ließen ihn bei Brasil-Sammlern in Erinnerung bleiben. 1970 nahm er „Obnoxious“ auf, 1976 „A Viagem Das Horas“. Beide Platten sind psychedelisch bis spirituell geprägt, beeinflusst von Samba und Candomblé-Motiven. Mauros kurze Karriere führte zu weitverbreiteten Gerüchten, Mauro sei von der Militärjunta entführt worden oder bei einem Verkehrsunfall gestorben. Die Realität war einfacher: Er hatte beschlossen, seine Karriere als Plattenkünstler aufgrund mangelnden kommerziellen Erfolgs einzustellen. Mauro schrieb danach Musik für das Theater, während er gleichzeitig Gitarre unterrichtete. Doch nach einigen Jahren wurde bei Mauro Parkinson diagnostiziert und er musste ganz mit dem Musizieren aufhören.
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