Divanhana

Sevdah aus Bosnien in all seiner Vielfalt Kesselhaus, Berlin, 26.11.2025

21. Dezember 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Dit is Berlin: Während an einem Mittwochabend auf einem wuseligen skandinavischen Weihnachtsmarkt Elchfleisch und nordische Lakritze über den Tresen geschoben werden und dann in irgendwelchen Hipstermündern verschwinden, versammeln sich nur wenige Meter weiter – im Kesselhaus der Kulturbrauerei im Bezirk Prenzlauer Berg – hälftig Balkanesen und Nichtbalkanesen, um dem musikalischen Vortrag der bosnischen Band Divanhana zu lauschen. Die Gruppe firmiert aktuell als Sextett und besucht die deutsche Hauptstadt zum Abschluss einer Tournee, die durch Österreich, Liechtenstein, Luxemburg und fünf bundesdeutsche Städte führte: Tübingen, Aachen, Dresden, Hannover und Berlin. Anlass der Konzertreise ist das neue Album Radio Sevdah. Es ist das insgesamt siebte (sechs Studioalben, ein Livealbum) und das erste regelrechte Konzeptalbum der im Jahr 2009 gegründeten Formation um den Keyboarder Neven Tunjić.

Text: Ines Körver; Fotos: Lara Tomasic (Aufnahmen vom Konzert im Dom im Berg, Graz, Österreich)
Selma Droce

 

Schwerpunkt des Albums ist wie üblich Sevdah, eine insbesondere in Bosnien verwurzelte Musikrichtung, die stark vom osmanischen Erbe geprägt ist und meist mit sehnsuchtsvollen Liedern aufwartet. In diesen geht es um unerfüllte Liebe, die Behaglichkeit der Vergangenheit, die Schönheit der Natur und manch anderes tendenziell Nostalgische. Doch Divanhana wären nicht Divanhana, hätten sie es dabei belassen. Schon auf früheren Alben mischten sie das Genre mächtig auf, nun aber präsentieren sie die verschiedenen Spielarten im Stil einer Radioshow, mit Ansagen, Jingles und allem, was dazugehört. Vorbild von Radio Sevdah ist Radio Sarajevo. Das war nicht einfach ein Sender, sondern ab den 1940er-Jahren eine regelrechte Institution mit großem Archiv und ein Treffpunkt für Musikschaffende. Radio Sarajevo ging 1991 in einer Radio- und Fernsehanstalt auf, die inzwischen BHRT heißt.

Neven Tunjić

 

Fast pünktlich, kurz nach 20.00 Uhr, hüpft das Sextett auf die Bühne. Hinten links steht zu Beginn des Konzerts Neven Tunjić, mittig Azur Hajdarević (Akustikbass und später noch Tamburica) sowie rechts der Percussionist Irfan Tahirović, der sein Instrumentarium fast wie ein Schlagzeug aufgebaut hat und lässig auf einer Cajon sitzt, die er im Laufe des Abends oft bedient. Vorne links steht die Geigerin Larisa-Lejla Droce, daneben ihre Schwester, die Sängerin Selma Droce, und rechts von dieser der Akkordeonist Nedžad Mušović. Alle sind schwarz gewandet. Die Kleidung mutet an wie eine dezente Mischung aus Raumschiff-Orion-Uniform, Western-Style und Rocker-Outfit. 

Azur Hajdarević (Mitte)

 

Wer nun erwartet, das Konzeptalbum von Anfang bis Ende vorgespielt zu bekommen, muss umlernen. Zwar geht der Auftritt mit dem siebten Albumtrack, „Miri Samo Miri, Kaloperu Mili“ los, das paradigmatisch für das Album orientalische Wurzeln und modernere Klänge (hier: Progressive Rock) kombiniert, doch im Laufe des fast zweistündigen Konzerts folgen Nummern aus allen Alben der Band – mit Ausnahme des ersten Tonträgers, Dert (2011). Für Selma Droce könnte dies eine Herausforderung sein, schließlich ist Radio Sevdah die erste Tonträgerproduktion, an der sie beteiligt ist, doch die Sängerin meistert professionell alle Stücke und scheint auch am Ende der Tournee noch bestens bei Stimme zu sein, obwohl sie – wie im Übrigen auch ihre Mitstreiter – erkennbar alles gibt.

Larisa-Lejla Droce

 

Das Publikum, das Tunjić und Droce zwischendurch immer wieder auf Bosnisch und manchmal auch auf Englisch ansprechen, zeigt sich nicht nur begeistert, es singt auch bei den bekannteren Nummern mit. Im Laufe des Konzerts wird im unbestuhlten Zuschauerraum zudem Kolo getanzt, ein schneller Reigentanz im Zwei-Viertel-Takt. Einer der Tanzenden wird sogar auf die Bühne gebeten und darf ein Stück mitsingen. 

Nedžad Mušović

Während des ohne Schnickschnack, aber dennoch interessant beleuchteten und gelegentlich mit Nebel atmosphärisch untermalten Konzerts zeigen Divanhana eindrucksvoll, dass sie alle Spielarten des Sevdah beherrschen und immer wieder Lust auf Neues haben. Im Konzert und auf dem Tonträger Radio Sevdah wird unter anderem gerappt, es werden Elektronik und Naturklänge eingebaut. Mit „Primitivo“ ist sogar ein Stück im Stil des Turbofolk dabei. Das ist ein Genre, das jahrelang wegen seiner Partytauglichkeit auf dem Balkan sehr beliebt war, aber auch immer wieder heftig kritisiert wird, weil es billige Klischees von toxischer Männlichkeit und mode- und schönheitsfixierter Weiblichkeit perpetuiert. Divanhana nutzen bei Primitivo zwar die musikalische Sprache des Genres, unterlegen das Ganze aber mit einem höchst kritischen, wenn auch humorvollen Porträt der Balkanmentalität. Auch andere Stücke des Konzertprogramms haben ernste Anliegen. So ist im Konzert das Stück „Emina“ vom zweiten Album Bilješke Iz Šestice (2013) dabei, eines der ältesten Sevdah-Stücke überhaupt, mit dem Neven Tunjić und seine Mitstreiter auf die vergleichsweise hohe Anzahl an Femiziden auf dem Balkan aufmerksam machen wollen.

Divanhana

 

Insgesamt bekommen wohl alle im Publikum, was sie sich erhofft haben: Zwei Dutzend (auf höchstem Niveau vorgetragene) Musikstücke, Tiefgang, Partystimmung und Abwechslung. Alles in allem sicher um ein Vielfaches stimulierender als das Elchsteak und die Lakritztüten vor der Eingangstür.

www.divanhana.ba

www.kesselhaus.net

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Aufmacher:
Divanhana

Foto: Lara Tomasic

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