So manches Festival führt ein ausgesprochen glückliches Leben fast im Verborgenen. Farsund ist so ein Fall.
Text: Mike Kamp
Farsund? Oder Farsund Folk Festival, um dem Kind seinen vollständigen Namen zu geben. Nie gehört? Nun, ein Grund dafür könnte sein, dass Farsund nicht in Deutschland, sondern an der norwegischen Südküste liegt. Umsäumt von Tausenden von kleinen und größeren Inseln liegt die idyllische Gemeinde mit knapp zehntausend Menschen relativ geschützt vor den Unbillen der Nordsee. Wikipedia weiß über das jährliche American Festival am letzten Wochenende im Juni zu berichten, nicht jedoch vom Farsund Folk Festival am letzten Wochenende im August. Ein Fehler! Dabei findet die Veranstaltung bereits seit 1998 statt, und zwar mit dem treffenden Motto „Where People Meet Folk!“.
Die nackten Fakten in Sachen Musik. Der Engländer Sam Lee eröffnete mit seinem Trio am Donnerstag. Freitags gab es ein Mittagskonzert (tatsächlich mit Fischsuppe) im gemütlichen Kulturhaus Backes mit Will Pound & Jenn Butterworth, und abends spielten in der Kirche die drei jungen Damen von ULD (die norwegischen Senkrechtstarter, die am gleichen Wochenende auch noch in Tønder spielten) sowie drei Soloacts – der Sänger Martin Steinum Brun, die Akkordeonistin Amalie Kinsarvik Tvilde und der Hardangerfiedelspieler Åsmund Farstad. Das Open-Air-Konzert am Samstag musste wetterbedingt in das Bootsrestaurant Bar Over verlegt werden, was Sam Lee (jetzt solo), das Kalejdoskop Trio, Kenneth Lien & Center of the Universe sowie Pound & Butterworth ebenso wenig störte wie das Publikum. Und dann kam schon das offizielle Abschlusskonzert: Gammeldans mit Madam Jam sowie die Nordic Alehouse Sessions mit Barokksolistene & Mamelukk Dansekompani.
Am Sonntag reisten die Künstler und Künstlerinnen dann in zwei Dörfer außerhalb Farsunds, um die Musik auch dort anzubieten. Ein nackter Fakt ist auch: Die Qualität der Musik war durchgehend sehr hoch. Das zeigt schon die interessante Verbindung mit dem Rudolstadt-Festival: Sam Lee spielte dort 2013, das schwedisch-norwegische Kalejdoskop Trio war dieses Jahr mit der EBU zu Gast, und die Chefin der Mamelukk Dansekompani, Silje Onstad Hålien, tanzte 2024 mit dem Hardangerfiedler Sivert Holmen das Projekt „Óme“. Weitere Beispiele: Pound & Butterworth sind ein unglaublich versiertes (und schnelles!) englisch-schottisches Mundharmonika- und Gitarrenduo, Kenneth Lien & Center of the Univers verbinden sehr sensibel diverse traditionelle norwegische Instrumente und Melodien mit Elektronik, und Barokksolistene sind seit zwanzig Jahren ein ungemein unterhaltsames Quintett, das international mit instrumentellem Können und großer Komik punktet.
Apropos punkten: Natürlich steht die Musik im Zentrum eines Festivals, aber Farsund punktet nicht nur damit. Etliche Events, speziell am Samstag, waren gratis. So heißt das auch auf Norwegisch und ist ideal für Menschen, die einfach mal ins Festival reinschnuppern wollen. Das gilt auch für den populären „Nattsong“, eine informelle, spätabendliche Mischung aus Sessions und arrangierten Darbietungen im Farsund Fjordhotell, sozusagen dem Zentrum des Festivals. Und auch die Besuche in umliegenden Orten am Sonntag dienen sozusagen dem Schnuppern. Im Café des Open-Air-Museums Nordberg Fort gab es ein Programm mit den ewig spielfreudigen dänischen Damen von Pigernes Fornøjelse und dem Kalejdoskop Trio sowie dem Projekt Valle Leikarring, einer Gruppe aus zwölf lokalen Kleinkindern (plus drei Erwachsenen), die süß und ernsthaft traditionelle norwegische Lieder und Tänze präsentierten, während es draußen wie aus Kübeln schüttete.
Das Publikum war gemischt. In manchen Konzerten dominierte eindeutig die graue Haarfarbe des Rentnenalters, während zum Beispiel bei denen in der Kirche oder der Sporthalle die Altersstruktur sehr gemischt war. Apropos Sporthalle der lokalen Schule: Die wurde für das Eröffnungs- und Schlusskonzert absolut überzeugend in eine mittelgroße Konzerthalle umgebaut, inklusive einer Bühne, die modern und großzügig wirkte.
Die letztgenannten Konzerte waren auch mit etlichen hundert Menschen die mit der größten Publikumszahl. Unter diesen Umständen lässt sich ein solch übersichtliches Festival natürlich nur auf die Beine stellen, wenn es Sponsoring gibt und Fördergelder von der Stadt, dem Kreis und der norwegischen Regierung erhält, wie der künstlerische Leiter Lars Jakob Rudjord, selbst Musiker, lächelnd zugab, ohne natürlich Zahlen zu nennen.
Neben dem Geld gibt es eine weitere Komponente, ohne die so ein Festival unmöglich ablaufen könnte: jede Menge höchst engagierte Freiwillige, die überall mit einheitlichem T-Shirt und willkommen heißendem Lächeln hilfreich bereitstanden und alle des Englischen mächtig waren. Sie waren sichtlich stolz auf „ihr“ Festival und wurden am Sonntagabend mit einer eigenen Dankesparty belohnt.
Und schließlich punktet Farsund natürlich (im wahrsten Sinne des Wortes) mit der Landschaft. Die Inselwelt ist bei dem meist sonnigen Wetter ausgesprochen attraktiv auch für das Auge.
Wie also lässt sich das Farsund Folk Festival am besten beschreiben? Farsund ist klein, überschaubar, intim, perfekt organisiert und definitiv familienfreundlich. Immer und überall ist der Festivalgast nah am Geschehen.
Nun hat es der Zufall so gewollt, dass Farsund zumeist am selben Datum wie das ungleich berühmtere dänische Tønder Festival stattfindet (am letzten Wochenende im August). Ist das nicht eine erdrückende Konkurrenz? Keinesfalls, ist die einhellige Meinung in Farsund. Die beiden Festivals könnten unterschiedlicher nicht sein. Hier das schnuckelige Event mit ein paar Hundert Besuchenden, wo man spätestens am zweiten Tag so gut wie jeden kennt, dort die Megaveranstaltung mit Tausenden Menschen und unzähligen hochkarätigen Parallelkonzerten. Farsund will nicht größer werden und nicht mehr Konzerte anbieten. Okay, einige zusätzliche Gäste könnte man schon noch willkommen heißen, gerne auch aus Deutschland.
Wir alle wissen, welche Art von Festivals wir bevorzugen. Ich jedenfalls weiß, wohin meine Reise gehen würde.












Das klingt auf jeden Fall alles sehr sympathisch, lieber Mike. Danke für den Bericht!
LG, Michael