Leise und doch intensiv beginnt das Konzert in der Hamburger Laeiszhalle. Mit zarten Klängen von Cello und Piano, die immer wieder das Zwiegespräch mit der Laute, der Oud, suchen, die Anouar Brahem so unnachahmlich beherrscht. Der Musiker aus Tunesien ist seit seiner Kindheit vertraut mit den Traditionen der klassischen arabischen Musik, zeigt sich aber immer auch offen für Einflüsse aus anderen Kulturen.
Text: Gerd Döring
Das intensive Miteinander von Cello, Piano und Oud begleitet am Kontrabass der Brite Dave Holland. Dessen kraftvolles Spiel kennt Brahem seit langen Jahren, schon 1998 für die Aufnahmen zum Album Thimar standen die beiden gemeinsam im Studio. Auf Blue Maqams, Brahems vorletzten Album, war Holland dann der markante Pulsgeber eines Trios aus Jazzmusikern, das mit Brahems Oud eine Reise durch den vorderen Orient unternahm. Wie eng verzahnt Kontrabass und Oud klingen können, das zeigen die beiden dann auch in einem fulminanten Duett: „The Eternal Olive Tree“.
Auch Django Bates war Teil des Maqam-Ensembles, und er zeigt sich im Konzert als aufmerksamer Mittler, der bemerkenswert souverän zwischen sachter Melancholie und perlenden Notenketten wechselt. Ganz neu im Ensemble ist die Cellistin Anja Lechner. Wirkliches Neuland auch für Brahem, denn in all seinen Aufnahmen war ein Cello bislang nicht zu hören. Nun übernimmt Lechner gleich eine prominente Rolle im Quartett. Sie ist seit Langem mit den Kompositionen Brahems vertraut und hat sie auch in ihr eigenes Konzertrepertoire aufgenommen. Ihr Cellospiel gibt den Werken eine bittersüße, zuweilen gar pathetische Note.
After The Last Sky, den Titel seines aktuellen Albums, hat Anouar Brahem einem Gedicht des palästinensischen Poeten Mahmud Darwisch (1941-2008) entnommen. Im Konzert rezitiert er die ersten Verse auf Englisch: „Where should we go after the last frontiers? / Where should the birds fly after the last sky?” – „Wohin gehen wir, wenn die den letzten Grenzen hinter uns liegen? / Wohin fliegen die Vögel, wenn sie den letzten Himmel erreicht haben?“ Die Zeilen Darwischs werden hier nicht gesungen, liefern den vier Musikschaffenden aber einen wichtigen Impuls. Die Stücke des Albums – allesamt Kompositionen des Oudspielers – entstanden wohl zum Teil noch vor dem Massaker der Hamas und der darauf folgenden Tragödie in Gaza. In all seinen eindringlichen Werken verarbeitet Brahem die Geschehnisse in Palästina, erzählt vom Leben im Exil oder ruft Erinnerungen wach an eine Welt vor diesem nicht enden wollenden Krieg.
„Remembering Hind“, eine ergreifenden Trauermusik, vorgetragen von Lechner und Bates, erinnert an den tragischen Tod eines fünfjährigen palästinensischen Mädchens, das 2024 während der israelischen Invasion des Gazastreifens getötet wurde. Auch dem Palästina-Aktivisten Edward Said ist ein Stück des Abends gewidmet: „Edward Said’s Reverie“. Said gründete 1999 zusammen mit Daniel Barenboim das West-Eastern Divan Orchestra, in dem arabische und israelische Musiker gemeinsam auftreten. Leitgedanke war, dass militärisches Vorgehen nicht zum Frieden im Nahen Osten beiträgt, sondern alternative Wege zu einer politischen Lösung gefunden werden müssen. Wie fern derzeit, 26 Jahre später, eine Lösung ist, klingt nicht zuletzt an in den melancholischen Stücken, die Brahem hier mit seinem Quartett vorstellt.
Anouar Brahems Kompositionen klingen auf seinem altorientalischen Instrument wie achtsame Meditationen, fein ziseliert die Ornamente, faszinierend vielfarbig die Klangfarben. Der Virtuose ist ein Souverän, der sich seinen musikalischen Partnern und Partnerinnen mit elegantem Spiel anbietet, ob sie nun aus dem Folk, dem Jazz oder aus der (westlichen) Klassik kommen.








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