Überraschungen bei der 28. Hoyschrecke

Berliner Punk und Sehnsucht nach menschlicher Wärme / Kulturfabrik, Hoyerswerda, 28.-29.11.2025

10. Dezember 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Im Vergleich zum Vorjahr hielt sich die Zahl der Bewerbungen beim 28. Liederfest Hoyschrecke Ende November 2025 in der Kulturfabrik Hoyerswerda in Grenzen. Trotzdem zeichnete sich bereits bei der Auswahl eine erstaunliche stilistische Vielfalt ab.

Text: Reinhard „Pfeffi“ Ständer
Melvin Haak tritt auf und erreicht den zweiten Platz der Jurywertung.

Foto: Katrin Demczenko

Mit der „Hoyte Show“ begann das Liederfest am Freitagabend mit acht Songpoeten und -poetinnen. Der Gewinner oder die Gewinnerin der Publikumswertung des Abends würde dann am Samstag im Wettbewerb dabei sein. Vor allem musikalisch konnte die Anwesenden Irena Montara aus Baden-Württemberg mit Wurzeln in Tschechien und Montenegro überzeugen. Platz zwei ging an das Christian Lötters Duo aus Greven (NRW), wobei besonders deren Lied „Sehr geehrter Kriegsherr“ unter die Haut ging. Von den weiteren Teilnehmenden sind vor allem Pistiak & Adam sowie Sebastian Drogan zu erwähnen.

Die Traumvagabunden

Foto: Gernot Menzel

Den mit Spannung erwarteten Hauptwettbewerb vor vollem Haus musste laut Losentscheid Melvin Haack beginnen. Der Geheimfavorit vieler aus dem Publikum hatte als langjähriger Moderator der „Hoyte Show“ eine Art Heimvorteil. Haacks Lieder voller schräger Einfälle und Wortakrobatik begeisterten die Zuhörenden erwartungsgemäß. Dass es am Ende aber nicht für eine Hoyschrecke reichte, überraschte doch. Er wurde Zweiter der Jurywertung. (Mehr über Melvin Haack in folker #1.26).

Paul Geigerzähler

Foto: Gernot Menzel

Auffällig beim Auszählen der Stimmen: die knappe Entscheidung. Mehrere Teilnehmende lagen fast gleichauf. Nach Haack stellten sich Linda und die lange Leitung vor – die drei jungen Frauen waren bereits im Vorjahr erfolgreich dabei gewesen. In einem ihrer berührenden Texte sangen sie über ostdeutsche Befindlichkeiten. „Was hier war, wird fleißig ausradiert, / Und im Fernsehen, da wer’n die Glatzen hochpoliert.“ Damit knüpft die namensgebende Linda an das große Vorbild ihres Vaters Gerhard Gundermann an – und überzeugte auch die Jury: Platz drei.

Luise Letsch vom Duo BlauViolett

Foto: Gernot Menzel

Anja Herold vom Duo BlauViolett

Foto: Gernot Menzel

Das Dresdener Duo Traumvagabunden hatten sicher die wenigsten auf dem Zettel. Yiannis Brauweiler am Flügel und Dörte Drieschner am Cello boten jedoch einen perfekten Auftritt mit Elementen aus Klassik und Chanson sowie melancholischen Liedern wie „Glühwürmchen“ oder „Platz im Herzen“. Wahrscheinlich sehnen sich viele in Zeiten von Krieg und Katastrophen zunehmend nach Songs über menschliche Wärme. Wohl darum honorierte das Publikum diesen Auftritt mit Platz eins und einer Hoyschrecke.

Irena Montara

Foto: Gernot Menzel

Völlig anders dann der nächste Beitrag: Paul Geigerzähler, ein bekennender Berliner Punk, der überhaupt nicht wie ein Punk aussieht und der aus der sorbischen Lausitz stammt, bearbeitete seine Geige mit einer so extremen Geschwindigkeit und Intensität, dass einem als Beobachtender fast schwindlig werden konnte. In seinen Texten ging es oft um gescheiterte Hoffnungen wie beispielsweise zur friedlichen Revolution 1989, als danach nicht ein besseres Land, sondern der Kapitalismus mit allen Negativseiten auch den Osten Deutschlands erreichte. Damit konnte er die Jury voll und ganz überzeugen, die ihm den Jurypreis und eine Hoyschrecke zuerkannte. In der Publikumswertung belegte er den zweiten Platz.

Karo Nero

Foto: Gernot Menzel

Neben der Freitagssiegerin Irena Montara waren zudem Michael Günther, der bereits in frühen Hoyschrecken-Jahren erfolgreich aufgetreten war, sowie die Leipziger Band Karo Nero mit liedrockigen Tönen zu erleben. Den Abschluss bildete das Duo BlauViolett mit chansonhaft-kabarettistischen Songs an Piano, Saxofon und Querflöte. Die beiden Frauen wurden vom Publikum auf Platz drei gewählt.

Michael Günther

Foto: Gernot Menzel

Neben den beiden Abendveranstaltungen standen am Samstag weitere Programmpunkte an, zum Beispiel der „PdSK-Talk“, eine Gesprächsrunde des Vereins Preis der deutschen Schallplattenkritik unter der Leitung von Jurymitglied und Moderatorin Petra Schwarz mit den Gästen Peggy Luck (Profolk), Melvin Haack (Liedermacher) und Uwe Proksch (Kulturfabrik) sowie einem interessierten Publikum, darunter Conny Gundermann. Es ging um die aktuelle Situation von Liedermachern und -macheirnnen in Zeiten von Streamingplattformen und daraus resultierender finanzieller Probleme. Aber auch um die Situation im Veranstaltungsbereich. Dazu Uwe Proksch: „Ich erhalte jährlich bis zu dreitausend Angebote von Künstlern – wann soll ich die alle bei uns auftreten lassen?“ Zumal das Publikum heute Unsummen an Eintrittsgeld für Großevents ausgibt, statt Konzerte im Kleinkunstbereich zu besuchen. In einer Sendung am 26. Dezember 2025 um 14.00 Uhr geht es beim Sender ALEX Berlin sowie auf https://radio.rockradio.de um die Hoyschrecke inklusive des PdSK-Talk.

Publikumspreis für die Traumvagabunden

Foto: Gernot Menzel

Einen Workshop zum Thema „Wie werden fremde Stücke zu eigenen? – Die verschiedenen Ebenen der Adaption von Liedern anderer Autoren“ gestalteten Sabine Kühnrich und Ludwig Streng von der Chemnitzer Gruppe Quijote, anschließend gaben sie ein sehr gut besuchtes Cafékonzert mit Liedern nach Texten von Bertolt Brecht, Stefan Heym, Volker Braun und anderen sowie Mikis Theodorakis, der 2025 hundert Jahre alt geworden wäre.

Neben den Mitgliedern des Kulturfabrik-Vereins muss der Verein Gundermanns Seilschaft hervorgehoben werden, der das Liederfest unter anderem durch die Betreuung der Musikschaffenden tatkräftig unterstützte.

Alle Beteiligten zum Finale auf der Bühne

Foto: Gernot Menzel

Die 29. Hoyschrecke findet am 27. und 28. November 2026 an gleicher Stelle statt (Bewerbungsschluss ist der 30. September 2026), dann bereits mit der neuen Kufa-Geschäftsführerin Heidi Pinkepank, die den verdienstvollen Uwe Proksch ablöst.

www.hoyschrecke.de

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Aufmacher:
Hoyschrecken-Gewinner 2025 – Paul Geigerzähler

Foto: Gernot Menzel

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