Lieder, die wie Falken sind
Unbestechlich, scharfen Blicks
Ehrlich kämpfend, ohne Tricks
Die in lebensnahen Bildern
Weg und Licht und Wahrheit schildern
Lieder ohne Schmalz und Prosa …
Peter Horton
Schon die allerersten in deutscher Sprache überlieferten Lieder des ältesten bekannten Dichters des Minnesangs, des von Kürenberg, spielten mit der Symbolkraft des Falken: „Ich zoch mir einen valken …“ Auch der unvergessene Peter Horton hat die einzigartigen Vögel in seinem einschlägigen Bossa-Folk-Klassiker verewigt. Kein Wunder, dass auch Dietmar Leibecke, der Impresario des Static Roots Festivals, sich für das Poster dessen siebter Ausgabe von den Turmfalken an seinem Wohnort Mülheim an der Ruhr inspirieren ließ. „Sein scharfer Blick und seine Geschicklichkeit beim Rüttelflug symbolisieren den Geist der Americana-Musik. So wie der Turmfalke die Welt mit untrüglichem Blick beobachtet, erzählt die Americana-Musik mit Klarheit und Ehrlichkeit vom wahren Leben. Ihre aufstrebenden Melodien und rhythmische Energie spiegeln den anmutigen Flug des Turmfalken wider.“
Text: Martin Wimmer
Das Static Roots Festival wird am 12. und 13. Juli 2024 im Zentrum Altenberg in Oberhausen stattfinden, und war schon im April wieder ausverkauft. Das diesjährige Line-up konzentriert sich erneut auf Musikschaffende aus dem Americana-Spektrum, die für ordentlich Dynamik auf der Bühne sorgen, darunter The Sadies, The Delines, Chris Cacavas, David Newbould, Suzie Ungerleider, Jenny Don’t And The Spurs, Louis Brennan und Ole Kirkeng. Dieses Erfolgsrezept funktioniert schon seit der Gründung 2016. Leibecke schloss mit dem Fokus auf lautere, erdigere, aber immer noch songorientierte Sounds eine Lücke im Festivalkalender, der sich zwischen der Weltmusik in Rudolstadt und dem Indierock des Orange Blossom Special auftat.
Wer es dieses Jahr nicht ins Ruhrgebiet schafft, kann sich dennoch vom Festivalprogramm inspirieren lassen: Aus folker-Sicht besonders spannende internationale Acts der zwei Tage sind Hannah White, David Keenan, Louien und Prinz Grizzley.
„Umgeben von Bergen, Wäldern, Starrsinn, Herzenswärme, Religiosität und teils sehr einfachem Leben“, findet Christoph Comper aus Westösterreich Inspiration zu seinen Liedern. Der Maler aus dem Bregenzerwald tourt als Prinz Grizzley & His Beargaroos und rockt authentisch mit unter die Haut gehenden Texten.
Die Norwegerin Live Miranda Solberg nennt sich auf Bühne und Tonträger Louien und legte 2024 mit Every Dream I Ever Had ihr drittes Album vor. Elegisch und melodientrunken ragt es berghoch aus der Vielfalt an Veröffentlichungen heraus.
David Keenan ist ein irischer Songwriter, dessen wortreiche Texte jederzeit als Gedichte durchgehen. Musikalisch wurzelt er tief in Traditionen der Britischen Inseln. Wer Nick Drake vermisst, wird mit Keenans bisher vier Alben bestens bedient.
Hannah White gewann mit ihrem autobiografischen „Car Crash“ bei den UK Americana Awards 2023 den Preis als „Song of The Year“. Darin erzählt sie herzzerreißend davon, wie eine im Frauenhaus gestrandete Mutter nach dem Ladendiebstahl von Lebensmitteln für ihr Baby in Panik gerät, dass man ihr das Kind wegnimmt. Sweet Revolution, das aktuelle Album der Londonerin, setzt diese radikal feministische Perspektive fort: „Being all woman in a man’s world is an act of revolution“, singt sie in „Clementine“.
Nicht nur der Erfolg des Festivals ist ein Indiz dafür, wie sehr sich der relativ junge Gattungsbegriff „Americana“ mittlerweile in Europa durchgesetzt hat. Dieser feiert dieses Jahr sein offizielles 25-jähriges Jubiläum: Erst 1999 wurde die Americana Music Association gegründet. Auch zahlreiche Ableitungen belegen, wie das Genre von europäischen Kulturschaffenden fruchtbar gemacht wird: Prinz Grizzley nennt seine Musik „Alpicana“, für Louien und nordische Verwandte wie Sofia Talvik (siehe folker #1.24) oder Vilma Flood liest man immer öfter von „Skandenamericana“, und sicher erinnern sich noch einige an das Germanicana Folk Festival rund um den hessischen Songwriter Wolf Schubert-K.
Static Roots in Oberhausen ist derzeit das Nonplusultra für Americana-Fans in Deutschland. Gleichzeitig steht es am Scheideweg: dem bisherigen Festivalmotto „non-commercial, non-funded, independent“ treu zu bleiben oder doch zu wachsen, um mehr Raum für mehr Bands und mehr Zuschauende zu ermöglichen. Wir hoffen mal auf letzteres: „Lieder, die wie Falken sind“ kann man ja eigentlich gar nicht genug hören.
0 Kommentare