Zum siebzigsten Geburtstag schenkt Ketil Bjørnstad seinen Fans ein Soloalbum. Siebzig Minuten Klaviermusik vom Feinsten, mit einer Ausnahme alles eigene Kompositionen. Die eine Ausnahme ist ein Fragment aus dem Sandmann-Lied von Wolfgang Richter. Aufgenommen wurde das Album bereits vor zwei Jahren, als nach dem ersten Lockdown ein kurzes Atemholen möglich war und alle dachten, das Schlimmste sei vorbei. Jetzt, zwei Jahre später, macht das Wiederhören große Freude. Oft ist die Stimmung der Stücke nachdenklich, fast als ob der Komponist dem Frieden nicht traut und nicht wagt, seiner Freude freien Lauf zu lassen – sein Bericht über die Vorbereitungen zu dem Konzert damals tragen nicht ohne Grund den Titel „Morgen in einer abgesperrten Stadt“. Die Titelkomposition fängt ganz langsam und vorsichtig an, der neue Morgen zieht nur vorsichtig herauf, und die Hörerin denkt unwillkürlich daran, dass Ketil Bjørnstad seine Karriere als klassisches Wunderkind angefangen hat, das sogar vor dem norwegischen König spielen durfte. Aber er kann auch gewaltig in die Tasten hauen. Dass er die Klassik zunächst aufgegeben hatte, um sich dem Jazz zu widmen, und seine Berührungspunkte mit der traditionellen Musik Norwegens sind deutlich zu hören.
Gabriele Haefs
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