Gegenwärtig ist es vor allem eine Band, die als musikalische Botschafterin Bosnien-Herzegowinas international beeindruckt und von der Kritik in höchsten Tönen gelobt wird: Divanhana. Ihr aktuelles Album Zavrzlama („Wirrwarr“), das beim deutschen Label CPL-Music erschienen ist, hat sowohl in den World Music Chart Europe als auch in der Transglobal World Music Chart Spitzenpositionen erreicht.
Text: Willi Klopottek; Aufmacherfoto: Cat Norman Tahirović
„Uns kommt es darauf an, die Herzen der Menschen zu erreichen.“
Ab den Sechzigerjahren gehörten Immigranten und Immigrantinnen aus Jugoslawien zum Alltagsbild in Deutschland. Balkanrestaurants erfreuten sich großer Beliebtheit und zu den Topschlagerstars zählten Dunja Rajter und Bata Illic. Man urlaubte gerne an Jugoslawiens Stränden, und die Klänge, die man dort hören konnte, hatten viele als diffusen Hintergrundsoundtrack im Ohr, allerdings ohne ihn bewusst wahrzunehmen. Die furchtbaren Kriege nach dem Tod des diktatorischen Staatschefs Tito und der Zerfall des Vielvölkerstaats setzten alldem ein jähes Ende. Es war der Weltmusikboom, der Ende der Neunziger die Musik aus Südosteuropa förderte. Goran Bregović und Boban Marković brachten die Säle und Clubs Westeuropas zum Tanzen, wobei allerdings der falsche Eindruck entstand, dass auf dem Balkan nichts als Blasmusik existiert. Andere Stile blieben dem Publikum meist verborgen. Dabei gab und gibt es zahlreiche weitere regionale Formen, die in den Nachfolgestaaten wurzeln und eine lange Tradition haben. In Bosnien-Herzegowina ist dies zum Beispiel Sevdalinka, eine Gattung, der sich auch Divanhana verschrieben haben.
Die Gruppe wurde 2009 von Studenten der Musikakademie Sarajevo gegründet und brachte zwei Jahre später ihre erste Platte heraus. Insgesamt hat sie nun sechs Alben veröffentlicht, unter anderem 2018 eines zusammen mit der türkischen Sängerin Suzan Kardeş. Bereits 2014 hatte das Ensemble den offiziellen Song für die Fußballnationalmannschaft Bosnien-Herzegowinas zu deren Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Brasilien vorgestellt. Ausgedehnte Tourneen führten die Band durch viele Länder Europas.
Geleitetet wird Divanhana von Neven Tunjić, der Piano und Orgel spielt. Weiterhin gehören zur aktuellen Besetzung Nedžad Mušović am Akkordeon, Azur Imamović am Bass sowie Irfan Tahirović an der Percussion. Weitere Gastmusiker und -musikerinnen steuern auf dem aktuellen Album Instrumente wie Gitarre, Violine, Flöte oder Trompete bei. Ganz im Vordergrund steht allerdings die neue Sängerin Šejla Grgić, die verschiedene Gesangsstile glänzend beherrscht, egal ob es sich um getragene Lieder oder druckvolle Nummern handelt. Divanhana waren 2018 auf sie aufmerksam geworden, als die Band zusammen mit Grgić das Broadway-Musical The 25th Annual Putnam County Spelling Bee auf die Bühne brachte. Kurz darauf wurde sie als festes Mitglied der Gruppe engagiert.
Auf die Frage, welche künstlerische Entwicklung Divanhana seit der Gründung durchgemacht hat, antwortet Neven Tunjić: „Es hat viele Veränderungen gegeben, was unserer Ansicht nach auch ganz natürlich ist. Wir versuchen immer mit den Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten, die wir auf unseren Reisen um den Globus treffen. Uns hat das jedes Mal inspiriert, und es hat unserer Kreativität neue Perspektiven eröffnet. Zudem ist es uns ein Anliegen, unsere Alben in Studios in unterschiedlichen Ländern aufzunehmen, um die Einflüsse verschiedener Produzenten verarbeiten zu können.“
Foto: Cat Norman Tahirović
Ein wesentlicher Bestandteil der traditionellen Musik Bosnien-Herzegowinas ist die Sevdalinka oder kurz Sevdah, die in der Zeit der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan entstand. Sevda oder auch sawda bedeutet im Arabischen „schwarze Galle“, im Türkischen jedoch „Liebe“. Die Bosnier bezeichnen mit diesem Begriff getragene Lieder, die sich mit Sehnsucht, Leidenschaft und Liebesschmerz befassen und von der Sängerin Amira Medunjanin, dem Musiker Damir Imamović sowie der Gruppe Mostar Sevdah Reunion auch im Westen bekannt gemacht wurden. Welche Rolle spielt die Sevdah-Musik für Divanhana? Neven Tunjić: „Wenn wir auf unsere Anfänge schauen, kann man sicher sagen, dass wir traditionelle Musik aus der gesamten Balkanregion spielten. Im Laufe der Jahre haben wir mit Divanhana jedoch Schritt für Schritt einen eigenen Stil entwickelt, der seine Wurzeln zwar in der traditionellen Musik hat, aber von uns mit Variationen verschiedener musikalischer Formen angereichert wurde, die uns täglich von überallher begegnen. In den letzten zwei Jahren haben wir konsequent daran gearbeitet, unsere eigene Musik zu kreieren, die von Medien auf dem Balkan als ‚Neo-Sevdah‘ bezeichnet wurde. Wir kümmern uns nicht besonders darum, wie andere Leute oder gar die Musikkritik das nennen, was wir machen, sei es ‚Sevdah‘ oder ‚Divanhanas Musik‘. Uns kommt es darauf an, die Herzen der Menschen zu erreichen.“
Das sechste Album Zavrzlama spielt in der Bandgeschichte eine besondere Rolle, weil sich hier die angesprochene Neuorientierung niederschlägt. Aufgenommen wurde es bereits im Februar 2020, genau neun Jahre nach den Studiosessions für das Debüt, und musste wegen der Pandemie zunächst auf Eis gelegt werden. Tunjić erklärt, die Band hatte beschlossen „für die Einspielung der aktuellen CD einen Punkt zu setzen und neu anzufangen. Also haben wir für das Album auch selbst geschriebene Songs aufgenommen. Wir haben vor, in den nächsten Jahren auf diesem Weg weiterzugehen.“
Wie für alle Kulturschaffenden ist auch für Divanhana die Coronapandemie eine schwere Belastungsprobe gewesen. Wegen der sanitären Restriktionen ließ sich die neue Veröffentlichung kaum auf der Bühne live präsentieren. Tunjić freut sich deshalb, dass sie dennoch in den Weltmusikcharts so erfolgreich ist. „Wir haben zudem eine ganze Reihe von Medienanfragen erhalten, was uns zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Jetzt kommt es darauf an, das auch vor dem Konzertpublikum unter Beweis zu stellen. Wir sind begierig, den direkten Kontakt wiederherstellen zu können. In den letzten beiden Jahren haben wir wegen der Beschränkungen nur auf dem Balkan auftreten können. Jetzt aber öffnet sich Europa wieder und wir werden in Norwegen, Ungarn, Österreich, Deutschland, Tschechien, Polen und weiteren Ländern spielen.“
Aktuelles Album:
Zavrzlama (CPL-Music, 2022)
0 Kommentare