Vor vierzig Jahren gründeten junge Griechen in Frankfurt am Main Prosechòs, die erste Rembetikoband Deutschlands. Ihre Musik klang für Deutsche zu orientalisch und nicht nach Sirtaki. Jannis Karis, Bouzoukispieler, Sänger und zentrale Figur des Ensembles, wollte solchen Klischees entgegenwirken und spielte lieber die Lieder aus der Subkultur der Hafenstädte wie Piräus aus den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren.
Text: Hans-Jürgen Lenhart
Inzwischen ist Jannis Karis das einzige Urmitglied der Band, die in ihrer Geschichte tief in das gesamte Spektrum des in der Diktaturzeit verbotenen Rembetiko eindrang. Über den Namen der Band grinst Karis: „Nach ersten öffentlichen Auftritten 1982 planten wir ein Album, das wir immer wieder aufschoben, weshalb wir uns 1984 ironisch Prosechòs – ‚demnächst‘ – nannten.“ Rembetiko war damals in Deutschland kaum bekannt. Der Inbegriff griechischer Musik war vielmehr Anthony Quinns Sirtaki-Tanz aus dem Film Alexis Sorbas von 1964. Tatsächlich ist Sirtaki aber eine eigens für den Dreh entworfene, einfache Kombination regionaler griechischer Tänze, die in Griechenland als solche unbekannt war.
»Manche Lieder handelten von Haschischrauchern und verhinderten lange Zeit die Akzeptanz des Rembetiko.«
Prosechos Ende der Achtziger, v. l. n. r. Jannis Karis, Stefan Hantel (Shantel), Kostas Tsapakidis.
Foto: Archiv Jannis Karis
Bis 1993 spielten Prosechòs Rembetiko der männlich dominierten Piräus-Schule. Deren rebellische Lieder handeln von Vertreibung, Weltschmerz oder Gefängnis. Es sind die Lieder griechischer Flüchtlinge, die 1922 vom türkischen Festland vertrieben wurden, sie beschreiben deren harte Realität in den griechischen Hafenstädten wie Piräus. Karis erklärt: „Manche Lieder handelten von Haschischrauchern und verhinderten lange Zeit die Akzeptanz des Rembetiko.“ Karis stammt aus der antiken Stadt Philippi in Nordgriechenland. Dort kam er schon als Kind über eine Kneipe in der Nähe mit Rembetiko in Berührung. Bis zum achtzehnten Lebensjahr wuchs er ohne seine Eltern bei seiner Großmutter in Griechenland auf und kam 1975 als Kind griechischer Gastarbeiter nach Deutschland. Hier studierte er Psychologie und arbeitet er heute als Musiktherapeut. Rembetiko galt bis zum internationalen Erfolg des Films Rembetiko von Kostas Ferris im Jahr 1983 auch in Griechenland als veraltet, war aber nie ganz verschwunden. Dies erklärt, warum Prosechòs relativ spät Deutschlands erste Rembetikoband wurde.
1985 lernte die Gruppe in Köln Michalis Jenitsaris kennen, eine Legende jener Piräus-Schule. „Er war jemand, der mehrfach im Gefängnis landete und hart im Verhandeln war. Ich telefonierte monatelang wegen einer Tournee mit ihm“, erinnert sich Jannis Karis. „Jenitsaris schrieb das Lied ‚Saltadoros‘, eine Art Hymne des griechischen Widerstandes. Es handelt vom Diebstahl von Benzinkanistern aus Lastwagen der deutschen Besatzerarmee im Zweiten Weltkrieg, die dann verkauft werden, um sich mit dem Erlös zu betrinken. 1990 kam es zur gemeinsamen Tournee und der Aufnahme des Livealbums Saltadoros. In dieser Zeit, von 1988 bis 1993, war auch Stefan Hantel Percussionist bei uns, der später als Shantel mit Balkanpop große Karriere machte und dessen Großvater Grieche war.“ Vor Kurzem moderierte Shantel einen Film auf Arte zur heutigen Rembetikoszene und trat 2021 bei einem Reunionkonzert von Prosechòs auf.
Doch ab 1993 änderte sich die Musik der Band. Karis erzählt: „Viele der im Osmanischen Reich vertriebenen Griechen kamen aus Smyrna, dem heutigen türkischen Izmir. Dort pflegte man einen offeneren, orientalisch geprägten Musikstil mit Geige und Santur. Wir begannen, uns dieser Richtung des Rembetiko mit dem Album Salto Orientale zu widmen.“ Seitdem kamen auch Sängerinnen zum Einsatz und sogar ein Percussionist aus Bangladesh. Die heutige Besetzung mit dem türkischen Spieler der Nay-Flöte Ibrahim Ardiç und dem marokkanischen Percussionisten Ahmed Hattach gibt dieser Orientierung immer noch Ausdruck. Jannis Karis an der Bouzouki und der deutsch-griechische Gitarrist René Orfanidis vervollständigen Prosechòs, wobei Karis immer wieder auch mit Gastmusikern wie Urmitglied Kostas Tsapakidis an der Baglamás (Miniaturbouzouki) auftritt.
In der griechischen Musikszene Deutschlands stehen Prosechòs neben typischen Hochzeitsbands, die Gruppe hat aber mehrheitlich ein interessiertes deutsches Publikum. Karis ist das nicht unrecht. „Dadurch können wir unsere Musik so spielen, wie wir sie wollen. Ein rein griechisches Publikum erwartet manchmal eine Art Wunschkonzert mit Stücken, die in Richtung Partymusik gehen. Auch wenn wir schon in Athens Amphitheater des Herodes Atticus gespielt haben, bevorzugen wir dennoch die Intimität kleinerer Bühnen.“
Auswahldiskografie:
- Songs of Gastarbeiter Vol. 2, (Sampler, 2 Tracks; Trikont/Indigo, 2022)
- Salto Orientale (Tanit Records, 1993)
- Saltadoros (als Michaelis Jenitsaris & Prosechòs mit Maria Nalbandi; Trikont/Indigo, 1991)
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