Wenn man der Pandemie und den Lockdowns zumindest etwas Positives abgewinnen möchte, dann ist es die Möglichkeit, die im Internet statt bei Konzerten zugebrachte Zeit dazu nutzen zu können, bestehende und neue Websites zu bearbeiten. Im Hinblick auf das Genre Deutschfolk sind so in der Zeit drei Portale entstanden oder ausgebaut worden, alle drei nahezu parallel im Osten des Landes und mit dem Ziel, einen Beitrag zur Förderung der Folkmusik in Deutschland zu leisten. Eines legt besonderes Gewicht auf Historisches, während die beiden anderen sich eher auf Gegenwart und Zukunft der Szene konzentrieren.
Text: Reinhard „Pfeffi“ Ständer
Ostfolk.de entstand zwar erst im Frühjahr 2021, hatte aber bereits einen Vorgänger in der Website folkszene-ddr.de, die 2016 im Zusammenhang mit dem Buch Volkes Lied und Vater Staat von Wolfgang Leyn ins Netz gestellt wurde und auf der es ausschließlich um eine Rückschau auf die DDR-Folkszene bis 1990 ging. Sie wurde und wird vom Autor bis heute in lobenswerter Fleißarbeit übersichtlich geordnet und ohne unnützen Schnickschnack betreut. Nachdem der Ex-Folkländer Leyn mit den Leipzigerinnen Peggy Luck und Helene Déus zwei junge Frauen kennengelernt hatte, welche, so Luck, „die in ihrer Generation absolut unübliche Faszination für die Folkszene der DDR teilten“, gründete man eine AG Ostfolk, benannte die Website um und ergänzte sie um den Blick auf die heutige Zeit: neue Bands, die sich traditioneller oder Weltmusik widmen, Infos sowie einen dazugehörigen Facebook-Auftritt.
Banner DeutschFolk-Initiative
Startseite ist die neue Rubrik „Aktuell“ mit einem Überblick und diversen Tipps. Dazu gibt es monatliche Liedempfehlungen – im September zum Beispiel „Wenn ich einmal der Herrgott wär“, Ende der Siebziger gesungen etwa von Zupfgeigenhansel und Wacholder. Besonders hervorzuheben ist der Podcast „Ostfolk im Gespräch“, der auch im Youtube-Kanal des Portals zu finden ist. Hier kann man hochinteressanten, überwiegend von Peggy Luck geführten Interviews lauschen und erhält Infos aus erster Hand von den Anfängen des DDR-Folk über „anarchistische Anekdoten“ und Hintergründe bis hin zum abgesagten Folklorefest Friedrichswalde 1981. Gesprächspartner sind unter anderem Jürgen B. Wolff von den Folkländern, Stefan Paubel vom 1990 abgewickelten Haus der jungen Talente in Ostberlin oder Musiker Andreas Wieczorek, einst bei Polkatoffel und JAMS, später bei Gundermanns Seilschaft. Alle absolut hörenswert. Weitere Ausgaben erscheinen in loser Folge.
Unter dem Menüpunkt „Bands“ finden sich über hundert Links zu Websites heutiger Folkformationen sowie zu Porträts der aus Leyns Folkbuch bekannten DDR-Gruppen. Eine Fundgrube für alle, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen möchten. Die Rubrik „Festivals“ birgt aktuelle Termine sowie Bühnen, auf denen ganzjährig Lied- und Folkveranstaltungen stattfinden. Unter „Chronik“ sind, nach Jahren gegliedert, wichtige Ereignisse der Folkhistorie im Kontext politischer Ereignisse aufgelistet und werden ständig ergänzt. Ein „Lexikon“ versammelt typische Begriffe aus DDR-Folk-Zeiten, von „Alu-Löffel“ bis „Zentralhaus für Kulturarbeit“. Unter „Text und Ton“ stehen Verweise zu Büchern und Platten über und aus der DDR-Zeit – es gibt sie, wenn auch nicht üppig. Der Punkt „Links“ hält Webadressen ausgewählter Medien, von Workshops, Folkstammtischen, Archiven, Verbänden oder Institutionen bereit.
Ostfolk im Gespräch, im Uhrzeigersinn Jürgen B. Wolff, Helene Déus, Wolfgang Leyn, Peggy Luck
Die Website deutschfolkinitiative.de ist im Vergleich noch absolut neu und im Aufbau begriffen. Möglicherweise hat sich bei Erscheinen des folker schon einiges getan, sind Texte dazugekommen. Auf jeden Fall spielt das erste Deutschfolkfestival in und bei Jena dabei eine wichtige Rolle und erhält einen eigenen Menüpunkt (zum Festival siehe auch nebenstehenden separaten Bericht).
Die Seite will vor allem eine deutschlandweite Plattform für aktuelle Bands der Lied- und Folkszene sein und wurde als AG dem Verband Profolk angegliedert, der auch das Festival finanziell unterstützt. Betreut wird sie von Tim Liebert, besser bekannt als Doc Fritz von der vogtländischen Gruppe Hüsch!, sowie von der auch bei ostfolk.de aktiven Liedermacherin Peggy Luck. Weitere Mitwirkende sind Grafikerin Henrike Eckhardt und Webmasterin Cosima Hoffmann. Gründungsmoment der DeutschFolk-Initiative (DeFI) war ein Treffen in Halle (Saale) im Juli 2020 von Mitgliedern der Gruppen Hüsch! und Bube Dame König mit Peggy Luck, bei dem die Beteiligten über die Zukunft der Szene diskutierten und darüber, wie diese sich intern besser vernetzen und nach außen besser präsentieren kann. Denn Deutschland hinkt hinterher, was Möglichkeiten, Vernetzung und Förderung des folkloristischen Nachwuchses angeht. Dazu heißt es unter „Über uns“: „Der Deutschfolk-Szene [fehlte] bisher … der Überblick: Wer macht was und wo? Dadurch ist es schwierig, die öffentliche Aufmerksamkeit zu bündeln und als Szene sichtbar zu werden. Dieser Aufgabe widmet sich die DeutschFolk-Initiative.“ Wichtig ist den Ausführenden dabei der Hinweis, dass das Ganze jenseits von nationalistischen und kommerziellen Interessen geschieht. „Wir planen ein ‚altmodisches‘ Folkforum“, so Luck, „über das sich Interessierte vernetzen, Fragen über Instrumente, Material, Stimmungen austauschen und herausfinden können, ob nicht nebenan genau die gesuchte Geigerin oder der Hackbrettvirtuose wohnt.“
Neben dieser eher fürs Publikum gedachten Website ging Ende September mit deutschfolkszene.de unter selber Federführung ein weiteres Portal online, das sich mehr an Musikerinnen und Musiker richtet. Es enthält derzeit dreizehn Band- und vier Festivalporträts, Volksliedquellen sowie Links zu sonstigen Portalen oder Facebook-Gruppen und wird ständig ergänzt. Doc Fritz zu den Porträts: „Es gibt dort nicht nur simple Pressetexte zu lesen, sondern wir bohren etwas tiefer. Was sind die Beweggründe für die Beschäftigung mit der eigenen Kultur? Wie arrangiert ihr? Was sind eure Lieblingsstücke und was die Quellen für eure Musik?“ Vorgestellt werden Bands wie Deitsch, Jodelfisch, Malbrook oder Festivals wie Folk im Fluss oder Folk in die Nacht. Zudem sind ein eigener Youtube-Kanal sowie Infos zu Lehrveranstaltungen, Seminaren, Workshops, Nachwuchsförderung und Folk in den Medien geplant.
Bleibt festzuhalten, dass Bewegung in die Szene gekommen ist und man gespannt sein darf, wie die weitere Entwicklung aussehen wird.
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