Tristan Driessens

Aus der Reihe getanzt

5. September 2019

Lesezeit: 5 Minute(n)

Ungewöhnliche Wege ist er schon immer gegangen. Jahrelang war Tristan Driessens der Belgier, der sich ganz der türkischen Musik verschrieben hat. Mit seinem neuen Album kehrt er zu seinen Wurzeln in der Folkszene zurück und ist nun der Oud-Spieler, der westliche Volkstänze spielt – freilich mit orientalischem Aroma.
Text: Guido Diesing

Dass sein Weg abseits der breiten Straßen liegen würde, entschied sich schon früh. Als Tristan Driessens als Teenager mit seiner Mutter in Spanien lebte, entdeckte er seine Liebe zur arabischen Laute. „Dort habe ich die sephardische Musik kennengelernt und andalusische Musik gehört, in der die Oud eine Rolle spielt. Irgendwann wurde mir klar, dass dieses Instrument meinen musikalischen Weg bestimmen würde.“ Nach seiner Rückkehr nach Belgien begann er ein Doppelleben. Einerseits tauchte er immer tiefer in die Geheimnisse der Oud ein. Er besuchte Ross Dalys Labyrinth Musical Workshop auf Kreta und lernte dort Lehrmeister der osmanischen Musik kennen, bei denen er studierte und sein Wissen stetig erweiterte. Andererseits wurde er ein Teil der belgischen Folkszene, allerdings nicht als Musiker. „Wir haben hier eine große Volkstanzszene, in der von irischer über schwedische bis zu französischer Musik viele Traditionen stark repräsentiert sind. Ich war zehn, fünfzehn Jahre sehr in diese Szene involviert – in erster Linie als Tänzer. Erst später fragten mich Leute, warum ich kein Ensemble gründe, in dem ich westeuropäische Musik auf Instrumenten aus dem Nahen Osten spiele. Bis dahin hatte ich mit der Oud nur türkische und arabische Musik gemacht. Dann habe ich sie mit großer Freude auch in irischer, schwedischer und französischer Musik eingesetzt. Ich war überrascht, mit welch offenen Armen die Musiker dieses fremdartige Element in ihrer Musik willkommen geheißen haben.“

„Es kommt immer der Punkt, etwas Neues zu suchen oder zur eigenen Tradition zurückzukehren.“

Die Alben, mit denen sich Driessens über die Jahre in der belgischen Weltmusikszene einen Namen machte – ob mit türkischer Musik im Lâmekân Ensemble und dem daraus hervorgegangenen Seyir Trio oder mit dem jazz- und folkbeeinflussten Soolmaan Quintet –, basierten dennoch stets auf osmanischen Traditionen. Bis jetzt. Mit A Folk Dancer’s Journey greift er nun seine Volkstanzvergangenheit wieder auf und legt ein Album voller überraschender Klänge vor. Ein französischer Kreistanz geht in eine kaukasische Lesginka über, eine Mazurka wechselt in eine ungerade orientalische Taktart, Flötentöne legen sich über Gnawa-Rhythmen. So bunt wie die Stilmischung fällt auch die Instrumentierung aus, die Drehleier, Harfe, Flöte und Cello völlig zwanglos mit Kanun, Saz, Duduk und Kemençe zusammenbringt. Die Rechnung geht so gut auf, dass man als Hörer nach kürzester Zeit nicht mehr darüber nachdenkt, welche Traditionen hier gerade vermischt werden. „Es kam mir sehr natürlich vor, die westliche Musik mit orientalischen Instrumenten zu bereichern“, bestätigt Tristan Driessens. „Wir leben in Europa an einer Kreuzung verschiedener Kulturen. Man kann etwa Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen Volkstänzen aus der Bretagne und der türkischen Schwarzmeerregion finden. Es gibt also einen gemeinsamen Boden, der es erlaubt, mit verschiedenen Instrumenten und Traditionen zu arbeiten.“

Treue Wegbegleiter

So führt die Reise, von der A Folk Dancer’s Journey erzählt, durch viele Gegenden, beschreibt liebliche und geheimnisvolle Landschaften, mal im Sonnenschein, mal bei kräftigem Wind. Mit den meisten seiner Reisegefährten ist der Oud-Spieler seit Langem vertraut, viele von ihnen haben ihn in den vergangenen Jahren immer wieder auf seinem Weg begleitet, etwa der Percussionist Robbe Kieckens, der Geiger Ruben Tenenbaum oder der Mannheimer Kanun-Spieler Muhittin Kemal Temel. Virtuosen wie Blowzabella-Mitglied Grégory Jolivet (Drehleier), Derya Türkan (Kemençe) und Vardan Hovanissian (Klarinette und Duduk) helfen dabei, die Klangmixturen schillern zu lassen, in die Driessens viel Mühe und Zeit investiert hat. „In den vier Jahren Arbeit an dem Album habe ich viele Instrumentenkombinationen getestet. Es war ein Probieren und Suchen: Welcher Sound verbessert eine bestimmte Komposition? Ich liebe es zum Beispiel, die Drehleier mit der Kemençe zu kombinieren.“

Um die gewünschte Palette an Klangfarben bestmöglich einsetzen zu können, musste er allerdings an anderer Stelle Kompromisse machen. „Eigentlich bin ich ein vehementer Verfechter des Live-Spielens“, stellt er klar. „Ich finde, Musik auf einer Platte sollte repräsentieren, was auch live passiert. Bei diesem Album war das aus vielen Gründen nicht möglich.“ So waren in wechselnden Besetzungen insgesamt fünfzehn Musiker beteiligt, die Driessens unmöglich zur selben Zeit im Studio zusammenbringen konnte. Also entschied er sich für das Mosaikprinzip. Sobald er sich sicher war, dass ein Stück etwa eine Kemençe oder eine Duduk brauchte, nahm er Kontakt zu den betreffenden Musikern in seinem Brüsseler Umfeld auf und lud sie ein. Bei den Musikern, die nicht in Belgien lebten, wartete er, bis ihre Kalender ein Treffen ermöglichten. „Sie kamen vorbei, wenn sie ohnehin in der Nähe waren, und wir landeten spontan im Studio, um etwas aufzunehmen. Es war mit jedem Musiker der pure Genuss, und alle haben sehr leicht in die Musik hineingefunden.“

So entstand Stück für Stück ein Album mit einer ungewöhnlich langen Vorgeschichte. „Viele der Kompositionen habe ich schon vor fünfzehn Jahren geschrieben, mit 23 oder 24. Daran liegt es auch, dass ich das Gefühl habe, mit dem Album etwas zu Ende zu bringen. Ich kenne viele Musiker, die tief in eine fremde Kultur eintauchen, ihr musikalisches Können damit formen, aber fast nie für den Rest ihres Lebens dabeibleiben. Es kommt immer der Punkt, etwas Neues zu suchen oder zur eigenen Tradition zurückzukehren. Das passiert gerade auch bei mir. Ich habe mich viele Jahre der osmanischen Musik gewidmet und hatte nun das Bedürfnis, etwas zu machen, das näher an meiner Herkunft ist.“ Der Unterstützung seiner Oud-Lehrmeister konnte er dabei sicher sein. „Sie befürworten, dass ich Elemente aus ihrer reichen Kultur nehme und mit meiner eigenen Tradition verbinde.“

Tristan Driessens

Foto: Isabelle Françaix

Dass Tristan Driessens mit A Folk Dancer’s Journey einen individuellen Ton gefunden hat, lässt sich auch auf dem Albumcover ablesen. Zum ersten Mal veröffentlicht er seine Musik unter seinem eigenen Namen. „Das Album ist wie ein Tagebuch, das meine Arbeit der letzten Jahre widerspiegelt. Es ist ein sehr persönliches Porträt, deshalb konnte es keinen anderen Namen tragen.“

Rastlos

Wer daraus jedoch schließt, hier habe ein Musiker nach langem Suchen einen persönlichen Stil entwickelt, dem er ab jetzt die Treue hält, liegt falsch. Er ist zwar zurückgekommen, aber nicht, um zu bleiben. „Mit dem neuen Album habe ich an der Vergangenheit gearbeitet und etwas geschaffen, von dem ich zu neuen Dingen aufbrechen kann“, sagt er. „Ich arbeite schon wieder an Kompositionen für ein neues Projekt, die sich sehr von A Folk Dancer’s Journey unterscheiden. Ich bin froh, dieses Album gemacht zu haben, aber das nächste könnte wieder einen ganz anderen Ansatz haben. Ich bin ein sehr wechselhafter Mensch, immer in Bewegung, auch räumlich.“

Die Erwartungen der Zuhörer oder etwaige ungeschriebene Gesetze, die festlegen wollen, was geht und was nicht, müssen da schon mal zurückstehen. „Ich kümmere mich nicht darum, was die Leute darüber denken, was ich tun oder nicht tun sollte. Ich bin zum Beispiel gerade an einem Projekt mit einem Israeli und einem Iraner beteiligt. Politisch eine sehr problematische Konstellation, aber ich möchte nichts mit diesen Grenzziehungen zu tun haben. Ich kann an einem Tag mit klassischen türkischen Musikern aus Istanbul und am nächsten Tag mit kurdischen oder israelischen Musikern spielen. Ich will die Politik nicht meine Musik bestimmen lassen. Das gehört zum Luxus, ein Belgier zu sein: Ich bin neutral, also kann ich es mir leisten, Risiken einzugehen.“


tristandriessens.com

Aktuelles Album:
A Folk Dancer’s Journey (Seyir Muzik, 2019)

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Aufmacher-Foto:

Tristan Driessens

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