Sufifestival in Hamburg

Mystik für alle, Elbphilharmonie, Hamburg, 24.-27.11.2022

9. März 2023

Lesezeit: 3 Minute(n)

„Zeige dich, wie du bist, oder sei, wie du dich zeigst.“ Ein Vers von Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī ziert sein Mausoleum. Vor 750 Jahren ist der Sufimystiker gestorben, und sein Todestag wird das Jahr 2023 für manche zu einem besonders spirituellen Jahr machen. Es wird viele Veranstaltungen geben, die sein Leben und seine Lehre würdigen. Die Elbphilharmonie in Hamburg hat bereits Ende November vergangenen Jahres damit begonnen und unter dem Motto „Mystik für alle“ ein dreitägiges Sufifestival veranstaltet. Es war ein bemerkenswertes Erlebnis.
Text: Petra Rieß; Aufmacher: ANIM Ensemble; Fotos: Claudia Höhne

Rumi wurde 1207 in Balch im heutigen Afghanistan geboren, er starb 1273 in Konya, in der heutigen Türkei. Dort befindet sich sein Mausoleum, das Mevlana-Museum, ein Wallfahrtsort für viele Muslime. Mevlana oder auch maulawī bedeutet „Herr“ oder „Meister“ – seine Anhänger und Anhängerinnen, insbesondere die Derwische, nannten ihn so.

Rumi war einer der wichtigen Lehrer des Sufismus, einer spirituellen Lehre des Islam, die verschiedene Aspekte hat. Einige davon waren an jenen Tagen in der Elbphilharmonie durch die Musik direkt erfahrbar. Aus Afghanistan kam das ANIM Ensemble mit traditioneller Musik aus verschiedenen Provinzen, erst Volkslieder, dann Sufimelodien. Das junge fünfköpfige Ensemble spielte Tabla, Harmonium, Sitar und Rubab. ANIM ist die Abkürzung für das Afghanistan National Institut of Music. Nach dem Sturz der Taliban 2001 wurde das ANIM ein wichtiges Zentrum für eine neue Generation von Musikern und Musikerinnen, um die Szene wiederzubeleben – bis die Taliban 2021 erneut an die Macht gelangten und das Institut mit all seinen 272 Mitgliedern nach Portugal ins Exil gehen musste. Aus Lissabon war das neue ANIM Ensemble nach Hamburg gereist – eine faszinierende Begegnung mit Musik, die derzeit in Afghanistan nicht gespielt werden darf, sowie mit jungen Kunstschaffenden, die mit warmherzigem Humor um den Erhalt ihrer Kultur kämpfen.

Wollte man ein Wort für das Gefühl wählen, das diese Tage durchzog, dann wäre es tatsächlich „Liebe“. Keines der fünf Konzerte an jenem Wochenende entließ die Menschen unberührt. Weder die tanzenden Mevlevi-Derwische aus Istanbul und das von ihnen gezeigte Sema-Ritual, das zum Immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO zählt, noch die sieben singenden Frauen des Naghma-e-Israfil-Ensembles, die aus einem entlegenen Tal in Pakistan gekommen waren. Der weibliche Aspekt spielt in der Sufimusik durchaus eine große Rolle. Den Darbietungen dieser Frauen, die im Sitzen spielen, wird heilende Wirkung zugeschrieben, und das spürte das Publikum in dieser Liveerfahrung durch den Gesang, das Spiel auf der traditionellen Laute Rubab und den Rahmentrommeln. Der menschliche Körper ist ein Resonanzkörper, der zum Schwingen gebracht werden kann, und dieses Gefühl macht glücklich. Fast unmerklich geriet das Publikum in Trance, viele bewegten sich im Takt oder klopften leise den Rhythmus auf den Knien. Am Ende gab es Standing Ovations, und alle trugen ein Lächeln im Gesicht. War das schon der Weg des Sufismus, die Trance, in der man sich mit der Schöpfung, dem Göttlichen verbinden kann?

Fotos: Claudia Höhne

 

Zu der sinnlichen Konzerterfahrung kam die intellektuelle mit zwei Vorträgen zum Thema. Der renommierte Münchner Ethnologe, Islamwissenschaftler und Autor Jürgen Wasim Frembgen sprach über Hintergründe und Bedeutung sufischer Musikrituale und eröffnete mit seiner tiefen Kenntnis einen faszinierend facettenreichen Blick auf den Sufismus. Die „drehenden Derwische“ sind nur ein Teil einer größeren und umfassenderen Philosophie, deren Wurzeln bis in die griechische Antike reichen. Sufismus – das ist ein mystischer Weg bestehend aus Demut, Liebe, Schönheit und Hingabe. Und den einen Islam, den gebe es ohnehin nicht, sagt Frembgen. Ebenso wenig wie den einen Sufismus. Der Vortrag machte neugierig, zum Beispiel auf die hochgelobten Bücher Frembgens, in denen sich Literatur und Ethnologie treffen.

Für die Podiumsdiskussion am Tag darauf lautete die Überschrift: „Sehnsucht nach Gotteserfahrung“. Die Gäste waren Otto Höschle und Stefan Weidner. Höschle übersetzte Rumis Versdichtung Masnawi erstmals vollständig ins Deutsche, und der Kölner Islamwissenschaftler Weidner hat zu Aspekten der arabischen Kulturwelt geforscht. Tom R. Schulz, Dramaturg im Elbphilharmonie-Team, moderierte das Gespräch mit sehr meinungsstarken Fragen. „Konfekt Sufismus“ nannte er das Phänomen innerhalb einer Esoterikszene, die sich das Beste und Süße sucht, ohne in die Tiefe zu gehen. Dass der Sufismus wie auch der Buddhismus längst im Westen seine Gefolgschaft gefunden hat, ist kein Geheimnis.

Das Sufifestival in der Elbphilharmonie konnte berührende Facetten einer im „Abendland“ letztlich wenig bekannten spirituellen Lehre zeigen, die dem Menschen lächelnd eine Tür zu Gott öffnet: „Der Mensch tanzt, wenn er zu Gott will“, sagt der Sufi. In Hamburg tat er das mit dem Mehdi Qamoum Gnawa Ensemble, im Producing Workshop mit dem in Hamburg lebenden afghanischen Produzenten und DJ Farhot und zum Abschluss mit den Saami Brothers. Auch dieses Konzert hinterließ das Publikum nicht nur berührt, sondern miteinander verbunden.

www.elbphilharmonie.de/de/festivals/sufi-festival/862

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