„Serenadenhof“ klingt romantischer, als es der recht betonreiche Platz an der Josef-Kohlmeier-Halle, der Stadthalle von Limburg, tatsächlich ist. Da hätte die Stadt an der Lahn eigentlich schönere Plätze zu bieten, zum Beispiel den Neumarkt, von Fachwerk umgeben, von dem es viel in der Stadt gibt. Aber immerhin verschönert die St.-Anna-Kirche die Örtlichkeit ein wenig, mehr als der Springbrunnen, der an diesem Abend leider ausgestellt war. Das Konzert Marcel Adams eröffnete die Limburger Sommerfeste, an welchen die Stadt ihren Bürgerinnen und Bürgern, aber auch Gästen von auswärts kostenfreien Musikgenuss vielfältiger Art bietet.
Text und Fotos: Michael A. Schmiedel
Für Marcel Adam war es ein Teil seiner dreijährigen Abschiedstour. Würden er und sein Ensemble diese in einem Jahr bewältigen müssen, so erklärte er zu Beginn, wären es zweihundert Konzerte, was in zwölf Monaten nicht zu bewerkstelligen sei. In den Ankündigungen hieß es einmal, es komme nur das Trio, und ein anderes Mal, es komme das ganze Ensemble. In Wahrheit war es fast das ganze Ensemble, denn Gitarrist und Bassist Christian Conrad lag krank im Bett. So waren es denn aus Zuschauerperspektive von links nach rechts: Oliver Abt an Bass und Gitarre, Marcel Adam an Gitarre, Ukulele und Gesang, sein Sohn Yann Loup Adam an Gitarre und ebenfalls Gesang, Christian Di Fantauzzi am Akkordeon und in der zweiten Reihe hinter ihnen Detlef Ludes am Schlagzeug. Auch Yann Loup hatte tags zuvor noch mit 41 Fieber daniedergelegen, hatte sich aber wieder berappelt, wenn er sich auch mit dem Singen zurückhalten musste.
Der Opener oder besser die Ouvertüre bildete das Chanson „Il Est Cinq Heures, Paris S’Éveille“ von Jacques Dutronc aus dem Jahr 1968, welcher in Frankreich Ende der Neunziger zum Chanson des (zwanzigsten) Jahrhunderts gewählt worden war. Auch in Limburg schien er bekannt zu sein, denn das Publikum sang den Refrain mit. Das zweite Lied war „Aïcha“, von Jean-Jacques Goldman 1996 für Khaled geschrieben, welches damals auch in den deutschen Charts vertreten war und hierzulande im Radio lief. Mit Lied Nummer drei aber kam das Genre zur Geltung, welches das eigentliche Markenzeichen Marcel Adams ist: seine eigenen Lieder in Lothringer Mundart. „’s Onna“ erzählt von seiner Großmutter, die für den kleinen Marcel die erste Bezugsperson war, noch vor der Mutter, und die Tag für Tag vor dem Haus auf der Bank saß und „Krumberre für Frites“, also Kartoffeln für Pommes frites schälte.
Diese musikalische Mischung machte nun das Konzert aus: französische Chansons von Charles Aznavour, Georges Brassens, Jaques Brel, Gilbert Bécaud, Guy Béart und anderen und eben seine eigenen Mundartlieder sowie ein paar Lieder deutscher Liedermacher. Die Chansons sang er mal auf Französisch, mal in deutscher Übersetzung, wobei er aber betonte, dass man im Saarland, wo er wohne, Französisch verstehe, während man hier in Hessen jenseits der Zivilisation sei.
Lothringen und das Saarland einerseits und Hessen andererseits gehören beide in Teilen zum rheinfränkischen Dialektbereich, und dennoch schien Adam aus Limburger Perspektive aus dem tiefen Westen zu kommen. „Das ist so weit weg“, sagte eine aus Trier gebürtige Frau aus dem Publikum, die jetzt in Limburg lebt, „hier in Limburg kennt niemand eine Schwenkparty“, also eine Party mit „Schwenkbraten“, einer marinierten, auf einem Schwenkgrill zubereiteten Schweinefleischspezialität, die vom Hunsrück bis nach Lothringen sehr beliebt ist.
Spaß hatten die überwiegend aus Marcel Adams Generation stammenden Zuhörerinnen und Zuhörer trotzdem – der Musiker ist Jahrgang 1951. Vor allem natürlich beim „Oschterhas“ der viereckige Eier in jede „Blumevas“ legt, aber auch sonst, egal, ob sie Französisch oder Lothringer Platt verstanden oder nicht.
Außer den Liedern faszinierte besonders auch das Akkordeonspiel Christian Di Fantauzzis, der dafür auch schon mal einen Weltmeistertitel eingeheimst hat. Akrobatisch glitten seine Finger über die Knöpfe, auch wenn es dem Mann am Mischpult nicht gelang, die Basstöne richtig zu Gehör zu bringen. Zur französischen Stimmung des Programms trug das Akkordeon nicht unerheblich bei. Für seine im Vergleich zu anderen Schlagzeugern untypische Zurückhaltung wurde Detlef Ludes gelobt. Tatsächlich untermalte er die Lieder sehr dezent und dennoch unverzichtbar. Ähnlich tat es Oliver Abt mit seinem E-Bass, der in einem Gitarrensolo seinem zweiten Instrument aber auch deutlicher hörbare Töne zu entlocken wusste. Yann Loup Adam schließlich machte einige der Ansagen und sang auch ein paar Lieder auf Französisch, Englisch oder Deutsch (unter anderem „Linda“ von Gerhard Gundermann), trotz belegter Stimme. Nach dem Ruhestand seines Vaters will er weiter Musik machen, wobei er seinen Lebensunterhalt zuvorderst in einer Firma verdient, die Tradition der Mundartlieder scheint er aber leider nicht fortzuführen. Zumindest war davon weder an diesem Abend etwas zu hören noch tut er dies auf Endlich, dem Album, das er zusammen mit seiner Frau Anisha aufgenommen hat. Darauf finden sich vor allem standarddeutsche Lieder, zwei auf Französisch und eines auf Englisch.
Marcel Adam lamentiert gerne über die Härten des Showbusiness. So erzählte er, eine Kulturmanagerin einer Gemeinde, der er sein Charles-Aznavour-Programm angeboten hatte, hätte sie gefragt, wer das denn sei. Dies kommentierte er so: „Wenn wir schon so weit sind, ist es Zeit für mich, aufzuhören.“ Auch die ständige Behauptung, er sei zu teuer und es gäbe billigere Chanson-Cover-Bands, nervt ihn gewaltig. Ihm liegt viel an den französischen Liedern, während er mit Englisch auf Kriegsfuß steht, sodass er auch lieber eine französischsprachige Version von „Yesterday“ von den Beatles sang. Die große Zeit, in der Jacques Brel für sein Lied „Amsterdam“ stehende Ovationen in riesigen Sälen bekam, meint er, fortführen zu können. Wobei er, kritisch betrachtet, diese schönen Lieder nur nachsingt, wenn auch sehr gekonnt und voller poetischem Esprit.
Seine wahre Originalität aber liegt in seinen Mundartliedern, in denen er das Leben an der Saar beiderseits der Grenze besingt, darüber, wie schön es vor dem Krieg dort war, wie schön es ist, wenn Deutsche und Franzosen in Frieden miteinander leben, wenn Lothringer und Saarländer eine Einheit bilden, bei der die Grenze dazu da ist, überschritten zu werden. Aber auch über die Gegnerschaft zwischen Lothringen und Elsass, die er mit seinem Lied über das elsässische Nationalgericht „Surkrut“ zu überwinden trachtet, oder über sehr skurrile Menschen und Begebenheiten wie die Liebe jeden Mittwoch, wo die Geliebte zuerst zur Therapie ging und dann zu ihm kam. Er beklagt darüber hinaus das Sterben von seiner „Muddersproch“, weil Minderheitensprachen in Frankreich nicht gefördert werden, wenn man sich nicht selbst darum kümmert, was leider zu wenige in Lorraine tun würden.
Diese eigenen Lieder oder auch die Bearbeitungen von Liedern anderer Musikschaffender sind es, die die Musikwelt ärmer machen werden, wenn Marcel Adam im Dezember 2026 sein letztes Konzert gegeben haben wird. Sie sind originell, können von niemand anderem geschrieben worden sein. Und dennoch spielen die französischen Chansons und deutschen Liedermacher eine entscheidende Rolle als Inspirationsquelle sowie vor allem die Chansons stilistisch als Vorbilder. So sind es Chansons auf Lothringer Platt, wie sie schöner, trauriger, fröhlicher, makabrer, ironischer, ernster kaum sein können.
Der Abend schritt viel zu schnell vorwärts, plötzlich mussten die Musiker aufhören, da 22 Uhr vorbei und Ruhe verordnet war. Anders als in der Pause kauften dann auch noch einige Leute CDs. Mögen sie diese Schätze zu schätzen wissen!
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