Nicht wenige Bands des sogenannten Mittelaltergenres – darunter Saltatio Mortis, Reliquiae, In Extremo – begannen ihre Laufbahn als „Spielleute“, als Straßen- und Marktmusiker, näherten sich dann mal mehr, mal minder der Rockmusik. Die Geschichte der Schweizer Formation Koenix verlief ähnlich. Ursprünglich firmierte die 2006 gegründete Gruppe als Des Königs Halunken und spielte, so Sänger Jonas Schneider, „Märchenrock“.
Text, Interview und Fotos: Harald Keller
Dieser Artikel ist eine Ergänzung zu „Folk und Folkrock in Wacken“.
2009 entstand parallel eine reine Akustikband, die in Anlehnung an das ältere Projekt Koenix getauft wurde. Die Halunken lösten sich 2012 auf, Koenix besteht bis heute. Ihre Musik bezeichnen sie als „alpinen Mittelalterrock“. Bedeutet: folkloristische Eigenkompositionen, sehr, aber nicht ausschließlich inspiriert von der Schweizer Volksmusik, von Schweizer Sagen und Bräuchen, gesungen in unterschiedlichen Sprachen. Zum Instrumentarium zählt auch eine Sitar, Resultat einer längeren Indienreise des Gitarristen und Bouzoukispielers Marco Piccapietra.
In diesem Jahr waren Koenix erstmals auf dem Wacken Open Air geladen und zogen das Publikum mit einer energiegeladenen und im Wortsinne feurigen Show in ihren Bann. Denn zum Tross gehört ein lizenzierter Pyrotechniker. Während des Auftritts setzen lohende Flammen Akzente, die Gitarre und – das sieht man nicht alle Tage – auch der Dudelsack geben Feuerstöße ab.
Nach dem Auftritt fand sich Sänger und Multiinstrumentalist Jonas Schneider ein zum Interview.
Wie habt ihr ursprünglich zu eurem Musikstil gefunden?
Auf Mittelalterfesten gibt es viele Bands, die mit Dudelsäcken und Trommeln Musik machen. Wir fanden die alten Instrumente faszinierend und wollten mit diesen Instrumenten Musik machen. Ich spiele zum Beispiel auch das Schweizer Hackbrett. Das sind alte Folkinstrumente – die Drehleier, der Dudelsack, Flöten. So hat es angefangen.
Nehmt ihr traditionelle Stücke auf, komponiert ihr selbst, mischt ihr beides?
Es ist eigentlich alles selbst komponiert, was wir machen. Aber natürlich inspiriert von Folkmelodien aus Europa. Der Michael, unser Dudelsackspieler, ist oft in Irland und hat die Uilleann Pipes spielen gelernt. Da ist auch ein Einfluss von der Schweizer Volksmusik. Wir machen daraus unseren eigenen Stil.
Es wird sogar gejodelt. Meine Generation verbindet das eher mit Erscheinungen wie dem Musikantenstadl, also mit einer ganz anderen Art von Musik.
Ich glaube, das ist kein Thema, weil es bei uns nur stellenweise vorkommt. Ich würde jetzt nicht ein ganzes Konzert durchjodeln, aber ich finde, es gehört zu unserer Heimat. Die alte Schweizer Volksmusik ist nicht mehr so bekannt, aber es gibt diverse Bands, die das immer noch spielen, alte Melodien, die vor drei-, vierhundert Jahren aufgeschrieben wurden und noch heute gespielt oder neu interpretiert werden.
Viele Musiker dieser Sparte sagen, man muss sich die authentische Volksmusik, die wirklich im und vom Volk gespielt wurde, gewissermaßen zurückerobern.
Ja, stimmt. Obwohl wir natürlich nicht klassische Volksmusik spielen. Ich finde, Volksmusik ist immer etwas, das lebt, wenn sie sich auch weiterentwickelt. Wenn man in diesen starren Schemata bleibt, die gerade den Schlager kennzeichnen, dann verliert sie das Lebendige. Das ist nicht unser Ziel.
Ihr habt heute zum ersten Mal beim Wacken Open Air gespielt. Wie habt ihr das Festival erlebt?
Grundsätzlich wurden wir mit offenen Armen empfangen. Hinter der Bühne haben alle mitgeholfen, dass es funktioniert. Du merkst, es ist eine große Familie hier, obwohl es ja riesig ist. Auf der Bühne waren wir positiv überrascht. Zu Beginn waren noch nicht so viele Menschen vor der Bühne, aber es hat sich laufend gefüllt. Wir haben gemerkt, da ist eine Resonanz, es kommt gut an, die Menschen haben viel Spaß. Deswegen hatten auch wir sehr viel Spaß. Vielleicht allgemein: Wir haben noch nie auf einem so großen Festival gespielt. Die Dimensionen sind gewaltig. Es ist schön, einfach über das Gelände zu gehen und all das aufzusaugen, zu sehen, wie hier so viele Menschen friedlich zusammenkommen und ein Fest feiern.
Ihr hattet heute Tänzerinnen auf der Bühne, auch Special Effects, darunter einen Dudelsack, der Feuer spuckt. Habt ihr das speziell für Wacken vorbereitet?
Wir haben das auf größeren Festivals dabei, wo wir eine passende Bühne haben. Auf kleineren Bühnen kannst du das nicht machen. Wir haben das Glück, dass mein Bruder Pyrotechniker ist. Der brachte das Know-how mit, tüftelt auch gerne und hat dann so Ideen wie den Flammendudelsack oder die Flammengitarre. Die Gitarre haben wir tatsächlich heute zum ersten Mal eingesetzt. Wir wollten die unbedingt für Wacken fertigbekommen. Das war eine Premiere.
Wann habt ihr mit diesen Showelementen angefangen? Parallel mit der Entwicklung zum Rock oder später?
Mit den Flammen haben wir ungefähr zur gleichen Zeit angefangen. Das ist auch durch einen Zufall zustande gekommen, weil wir günstig an Flammenprojektoren kamen. Da haben wir gesagt, wenn wir die schon haben und auch einen lizenzierten Pyrotechniker – warum nicht?
Kommt das immer gut an oder gibt es auch mal ablehnende Reaktionen?
Negative Reaktionen gab es tatsächlich noch nie. Es geht uns auch ums Gesamtkonzept. Wir machen gerne eine große Show. Uns gefällt das, wir tüfteln gern, das macht einfach Spaß. Mit den Tänzerinnen zusammen und den Kostümen, die wir zu Beginn des Konzerts tragen, fügen sich die Effekte ganz gut ein.
Die Kostüme haben einen folkloristischen Hintergrund?
Genau. In vielen Schweizer Tälern gibt es diese Tradition. Im Wallis zum Beispiel werden sie „Tschäggättä“ genannt, in Bayern und Österreich heißen sie „Perchten“. Das sind diese Masken, mit denen man böse Geister darstellt und sie damit vertreibt. Unsere Masken haben wir daran angelehnt. Diese Tradition gibt es schon seit Jahrhunderten, in jedem Tal ein bisschen anders. Es gibt Berggeister und Waldgeister. „Fangge“ heißen die auf Schwyzerdütsch. Wir haben versucht uns vorzustellen, wie die aussehen könnten.
Das sind also Fabelwesen, Fantasiegestalten …
Ja, aber durchaus Fabelwesen, die im Sagenstoff der Schweiz vorkommen. Das sind Themen, die uns teilweise zu Liedtexten inspirieren. Wir möchten gern das Publikum in eine fantastische Schweizer Sagenwelt entführen.
Kommt da mal der Vorwurf, dass ihr Eskapismus betreibt?
Das ist mein Lieblingsthema. Darüber könnte ich stundenlang diskutieren. Wir haben heute dazu zwei Songs gespielt: Der eine plädiert dafür, ins Hier und Jetzt zu kommen, der andere sagt, Eskapismus hat mir geholfen klarzukommen, in der Vergangenheit, in der Jugend, weil ich mich in Geschichten flüchten konnte. Ich glaube, Eskapismus ist gut, solange man den Weg zurück in die Realität findet und sie nicht vergisst.
Du hast einen Song angesagt mit den Worten, er habe eine autobiografische Komponente. Ist er darin ein Einzelfall, oder macht ihr häufiger eigene Erfahrungen zum Thema?
Das war jetzt der Song mit dem größten biografischen Gehalt, den ich bisher für Koenix geschrieben habe. Wir haben in den letzten Jahren angefangen, verstärkt persönliche Texte zu bringen. Das war zu Beginn überhaupt nicht so. Ich habe bemerkt, dass sich viele Menschen damit identifizieren können.
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