Fotohighlights vom 25. Gnaoua & World Music Festival

Essaouira, Marokko, 27.-29.6.2024

15. Oktober 2024

Lesezeit: 2 Minute(n)

Text: Kat Pfeiffer
(Foto: © Adnan Hakoun)

Am Festivaldonnerstag um 18.00 Uhr startet vom Bab Doukkala im nordöstlichen Teil der Medina (Altstadt) von Essaouira eine prunkvolle Gnawa-Parade. Das mit großer Begeisterung erwartete Festival hat offiziell begonnen. Die Gnawa marschieren, tanzen und begeistern Tausende Zuschauende. Diese sind, wie die Musikschaffenden, aus dem ganzen Land angereist sowie aus dem Ausland. Menschenmassen stehen an den Straßenrändern, in Fenstern, auf Mauern, Balkonen und applaudieren laut. Gnawa ist in Marokko nationales Kulturgut und bei alten, jungen und ganz kleinen Menschen beliebt.

Maâlem Ahmed Baqbou (rechts) leitet seine Gruppe von Musikern (© assaoud)

Die Vertreter der Gnawa-Bruderschaft wollen sich bei diesem besonderen Ereignis nicht nur zu präsentieren und musikalisch austauschen, sondern auch sicherstellen, dass die nordafrikanische Tradition bewahrt und an die nächsten Generationen weitergegeben wird. Jede Gruppe ist originell, hat ihre eigene Fahne, jede präsentiert sich strahlend und farbenfroh in ihren einzigartigen, geschmückten Kostümen. Die Farben haben in der Tradition der Gnawa eine besondere Bedeutung – sie symbolisieren die Geister.

(Foto: © assaoud)

Der Reichtum an Farben, Rhythmen, Melodien und hinreißenden Choreografien begeistert und inspiriert Musikschaffende und Forschende aus vielen Teilen der Welt.

Gnawa-Parade – José Luis Rodríguez Zapatero (Mitte), re. (in Weiß) Neila Tazi (© Karim Tibari)

Die Offiziellen werden von den Gnawa begrüßt. Neila Tazi ist Produzentin des Festivals. Links von ihr steht José Luis Rodríguez Zapatero, ehemaliger spanischer Ministerpräsident und Keynote-Speaker des Human Rights Forum während des Festivals. Das Forum ist ein Raum für Diskussion und Debatte über brennende soziale Weltthemen. Jeden Vormittag, bevor es mit Musik weitergeht, gibt es interkulturelle Panels – über negative Aspekte der Vergangenheit und darüber, wie man gemeinsam eine gute Zukunft gestalten kann, über Migration und natürlich über die Gnawakultur. Prominente Wissenschaftler, Kulturschaffende und Politikerinnen unter anderem aus Marokko, Frankreich, Palästina, Mali, Argentinien, dem Maghreb, den USA und westafrikanischen Ländern nehmen daran teil. Das Leitthema der Ausgabe 2024 ist „Geschichte, die in die Zukunft blickt“ im Sinne von Frieden und Zusammenarbeit. Im Jahr 2030 wird die Fußballweltmeisterschaft zum ersten Mal in der Geschichte interkontinental und von drei Ländern gemeinsam organisiert: Marokko, Spanien und Portugal.

Die Hauptbühne Moulay Hassan (©Adnan Hakoun)

Obwohl die Tickets für marokkanische Verhältnisse recht teuer sind (60 Euro für einen und 120 Euro für drei Tage), sind sie bereits am zweiten Tag ausverkauft. Nach Angaben der Veranstaltenden besuchen 400.000 Menschen das Festival. Außer der großen Strandbühne befinden sich alle Veranstaltungsorte in der Medina. Zentrum des Geschehens ist die Moulay-Hassan-Bühne in der Altstadt, vor der Kulisse des Hafens und der wunderschönen Atlantikküste. Nur für Menschen mit Eintrittskarte? Aber nein! Wer eine Karte hat, darf sich in den bühnennahen Bereichen luxuriös aufhalten. Hinter dem Gelände aber kann man ebenfalls gut sehen, hören und tanzen, und das wurde auch getan: Junge, Alte, Frauen, Männer, Mütter mit Kinderscharen, Kinder ohne Mütter und Katzen. Bis tief in die Nacht. Was genau auf der Bühne geschieht, können alle auf einer großen Leinwand sehen.

Die Musik- und Kulturgruppe Ilê Aiyê aus Brasilien (© Karim Tibari)

Die Compagnie Dumanlé, eine Gruppe von Tänzern, Schauspielerinnen und Musikschaffenden aus der Elfenbeinküste, sowie die wundervoll gekleideten Tänzerinnen der brasilianische Gruppe Ilê Aiyê sorgen für ein bezauberndes Eröffnungskonzert. Zaouli-Maskentanz, Flamenco, Gnawa-Karkaba und afrikanische Trommeln vermischen sich mit fließenden, bunten Rüschen.

Nino de Los Reyes (© Yassine Toumi)

Nino de Los Reyes ist der erste Tänzer, der einen Grammy für das beste Jazzalbum erhalten hat (zusammen mit Chick Corea). Sein Element ist der moderne Flamenco. In Essaouira tanzt er – nicht zum ersten Mal – zu den Jazzrhythmen von Sergio Martinez und begeistert das Publikum mit einer Flamencoadaption zu Gnawa-Musik. Am letzten Tag des Festivals veredelt er mit seinen meisterhaften Bewegungen das Konzert von Concha Buika – er ist ein Shootingstar der modernen Flamencoszene.

Maâlem Abdelmalek El Kadiri (© Karim Tibari)

Der aus Essaouira stammende Maâlem Abdelmalek Elkadiri ist beim jungen Publikum sehr beliebt. Sein Charisma bringt alle zum Mitsingen und -tanzen.

Publikum beim Konzert des Ensembles Maâlem Mokhtar Ganias (© assaoud)

Die Nachtkonzerte in den kleineren Spielstätten haben weniger den Charakter eines großen Festivalspektakels, sondern vielmehr den einer Zeremonie. Hier wird die heilende Kraft der Gnawamusik spürbar. Im kleinen Kreis verdichtet sich die tranceartige und hypnotische Energie der sich wiederholenden monotonen Rhythmus- und Gesangspassagen. Es riecht nach Weihrauch. Das Publikum besteht vor allem aus Frauen. Auch sie tanzen, und wenn sie sich von der Trance tragen lassen, drehen sie ihre Köpfe und mit ihnen ihre Haare in schwungvollen Bewegungen.

Maâlem Abdeslam Alikkane (Mitte) (© Karim Tibari)

Maâlem Abdeslam Alikkane ist der Künstlerische Leiter des Festivals und einer der Mitgründer. Er ist auch Vorsitzender der Yerma Gnaoua Association, die es sich zum Ziel gesetzt hat, der Gnawakultur öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dank dieser Arbeit wurde die Gnawatradition 2019 durch die UNESCO in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.

„The Talking Tree“ unter anderem mit Maâlem Abdelmalek El Kadiri, Dumanlé, Maâlem Brahim El Belkani, BCUC und Mehdi Nassouli (© Adnan Hakoun)

Auf dem Dach des Institut français d’Essaouira finden zum Genuss von marokkanischem Tee Gespräche über Musik, Leben und Politik statt. Dort treffen sich Musik- und Kulturschaffende, Medienmenschen und Festivalbesuchende, um sich auszutauschen. Mit Deutsch und Englisch kommt man hier nicht weiter, es wird hauptsächlich auf Französisch und Arabisch diskutiert.

Gnawamusiker (© Karim Tibari)

Wie weit die uns bekannten Gesetze der Physik bei den Gnawa noch gelten und wo bei ihnen die Metaphysik beginnt – diese Grenze ist ungreifbar. Die Gnawa können mit gespreizten Beinen sehr hoch springen. Sie spielen mit beiden Händen Karkabas und drehen dabei die an einer Schnur hängenden Fransen ihrer Kopfbedeckungen. Die gesamte Choreografie, die die Zeremonien begleitet, besteht aus rhythmischen, quasitheatralischen Bewegungen. Das Publikum kann nicht anders als mitzutanzen.

Maâlem Mohamed Boumezzough mit Karkabas (© Karim Tibari)

In der Musik der Gnawa sind neben der Gimbri die Karkabas die Hauptinstrumente. Sie geben den Rhythmus vor. Sie sind aus Metall und klingen eher kalt, metallisch und gedämpft. Sie erinnern an die traurige Geschichte der Gnawa, die auf die Zeit der Sklaverei zurückgeht. Als die Sklavinnen und Sklaven aus dem subsaharischen Westafrika in den Norden des Kontinents verschleppt wurden, brachten sie ihre Traditionen und Rituale mit. Sie sangen und spielten, um sich zu trösten. Die Klänge sollen an ihre Fesseln erinnern. In den Liedern tauchen auch religiöse Motive auf.

Ablaye Cissoko & Cordoba mit Mehdi Qamoum (© Yassine Toumi)

Sie haben sich vor dem Konzert nur ein einziges Mal getroffen und sich musikalisch sofort verstanden, obwohl der eine aus dem Senegal und der andere aus Marokko kommt: Ablaye Cissoko & Cordoba und Mehdi Qamoum. Sie jammen und verschmelzen ihre musikalischen Stile, so entsteht ein gemeinsames Konzert. Sie spielen sich gegenseitig Kompositionen in ihren eigenen Versionen vor, beide mit ausdrucksstarken, klaren und sehr lyrischen, wenn auch unterschiedlich ausgeprägten Stimmen. Cissoko singt in einer der vielen senegalesischen Sprachen, Qamoum auf Marokkanisch. Der eine spielt Kora, der andere Gimbri. Die daraus resultierende lyrische Harmonie lässt die Zuhörenden in der historischen Festung Borj Bab Marrakesch regungslos auf dem Boden sitzen und lauschen. Nur die riesigen Möwen, die über den Köpfen kreisen, singen auf ihre Weise dazu. Eines der schönsten Konzerte des Festivals!

Maâlma Asmaa Hamzaoui & Bnat Timbouktou (© Yassine Toumi)

Maâlma Asmaa Hamzaoui & Bnat Timbouktou stehen für den kulturellen Durchbruch. Bis vor Kurzem war Gnawa eine reine Männerdomäne. Maâlem bedeutet „Meister“ und ist derjenige, der die Zeremonie leitet. Er spielt die Gimbri, ein gitarrenähnliches Instrument, das mit Leder bespannt ist und drei Seiten aus Tierdarm hat. Die anderen Gnawa spielen rhythmisch die Karkabas und antworten ihm im Chor. Maâlma ist das weibliche Pendant zu Maâlem – mit derselben Aufgabe. Hamzaoui, die in einer Gnawafamilie aufgewachsen ist, konnte gar nicht anders. Trotz aller Tradition folgt die Gnawakultur den modernen Welttrends.

Maâlem Abdelkebir Merchane auf der Strandbühne (© assaoud)

Maâlem Abdelkebir Merchane stammt aus Marrakesch. Er ist einer der international bekanntesten und beliebtesten Gnawameister. Zu seinem Ensemble gehört auch sein kleiner Enkel, der vielleicht gerade sechs Jahre alt ist. Die Karkabas in seinen kleinen Händen sind so groß wie die der erwachsenen Musizierenden. Er spielt, tanzt und unterstützt den Chor, der auf die Rufe seines Großvaters antwortet. Die rot gekleidete Gnawa, die im Bild zu sehen ist, tanzt und spielt mit. Im Tranceteil, in dem der Rhythmus schneller wird, tritt sie nach vorne und stiehlt mit ihrem Amoktanz, bei dem sie ihre Haare dreht, allen die Show. In vielen Gnawagruppen sind Frauen und Kinder beteiligt. Die Strandbühne liegt etwa zwanzig Gehminuten von der Moulay Hassan in der Medina entfernt. Abends ist hier viel los. Es gelten die gleichen Regeln wie in der Stadt. Doch hier stehen die Menschenmassen dicht gedrängt vor der Absperrung am Strand. Oder liegen im Sand und genießen die Musik, die der Wind in die Dunkelheit über den Atlantik trägt.

Nkosi „Jovi“ Zithulele (BCUC) und Maâlem Tariq Aït Hmitti (© assaoud)

Die Musik von BCUC (Bantu Continua Uhuru Consciousness) aus Soweto ist eine spirituelle, aber auch politische Befreiung (siehe auch folker #4.24). Sie ist eine Fusion traditioneller afrikanischer Klänge, die mit der Energie von Jazz, Hip-Hop und Punkrock eine futuristische, psychedelische Form annimmt. Maâlem Tariq Aït Hmitti repräsentiert die neue, innovative Generation der Gnawamusik, die Tradition mit westlichen und modernen Klängen verbindet. In ihrem gemeinsamen Konzert verschmelzen ihre Stile zu einem großen Ganzen – ein musikalisches Abenteuer!

Simon Shaheen (© Yassine Toumi)
Publikum beim Konzert des Simon Shaheen Quartet (© Yassine Toumi)

Die in eine wundervolle Abendstimmung eingebettete, nachdenkliche Musik des in Israel geborenen, palästinensisch-amerikanischen Musikers Simon Shaheen und seines Quartetts ist ein Konzert für den Frieden. Nur mit wenigen vorweggeschickten Worten bringt die Musik dies sehr deutlich zum Ausdruck. Währenddessen geht die Sonne hinter der Ben-Youssef-Moschee unter. Wie in einer symbolischen Inszenierung kommentieren die Vögel am Himmel beunruhigt die unter ihnen fliegenden Drohnen.

Widad Mjama von Aïta Mon Amour (© assaoud)

Widad Mjamas und Khali Epis Duo Aïta Mon Amour erforscht musikalische Traditionen, die bis ins zwölfte Jahrhundert zurückreichen. Ihre modernen, elektronischen Klänge und Mjamas eindrucksvolle, eher tiefe und raumgreifende Stimme versetzen Zuhörende in Trance oder in eine andere Zeit. Die Sängerin ist eine der ersten maghrebinischen Rapperinnen.

Mehdi Nassouli (© assaoud)

Verschiedene afrikanische Traditionen verbinden sich bei Mehdi Nassouli aus Südmarokko. Er spielt die elektrische Gimbri und sorgt für eine frische, lebhafte und melodische Form, die leicht in Rock oder Jazz übergehen kann. Die Fusion von Gnawa mit anderen Musikstilen ist eines der Hauptthemen des Festivals. Die Fusionkonzerte zeigen dabei, wie tief Gnawa in der westlichen Musik längst verwurzelt ist. Sie wurde mit den afrikanischen Sklaven in die westliche Kultur gebracht. Heute erklingt sie in Rock, Pop, Jazz, Hip-Hop und inspiriert weiterhin. Für die 25. Ausgabe des Festivals Gnawa & World Music ist eine Kooperation mit dem Bostoner Berklee College of Music ins Leben gerufen worden – ein Bildungsprojekt zur Förderung der beruflichen Entwicklung junger Gnawamusikschaffender mit einem starken Fokus auf der Unterstützung von Frauen. In diesem Zusammenhang ebenfalls interessant: Anfang 2024 wurde Essaouira in das UNESCO-Netzwerk der sogenannten Learning Cities aufgenommen.

Maâlem Hamid El Kasri (© Karim Tibari)

Der Vizepräsident der Yerma Gnaoua Association, Maâlem Hamid El Kasri, ist weltweit bekannt. Er liebt es, Gnawamusik mit anderen Stilen zusammenzubringen. In der Vergangenheit spielte er mit dem Brooklyner Fusionbassisten Michael League und seiner Band Snarky Puppy, beim letztjährigen Festival in Essaouira mit seiner Band Bokanté, die sich der westafrikanischen Musik verschrieben hat. Bokanté bedeutet auf Kreolisch „Austausch“. Mit diesem einen Wort könnte man das Motto des gesamten Festivals zusammenfassen. Für viele war El Kasris Konzert das letzte der Jubiläumsausgabe. Die nächste, 26. Edition des Gnaoua & World Music Festivals wurde bereits für den Zeitraum vom 26. bis 28. Juni 2025 angekündigt. Auf ein Wiedersehen in Essaouira!

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Dir hat der Artikel gefallen?

Dieser Artikel ist für Dich kostenlos. Wenn Du unsere Arbeit unterstützenswert findest, magst Du unserem Team vielleicht mit einem einmaligen Betrag oder mit einer regelmäßigen Spende über Steady supporten. Das Wichtigste ist: Danke, dass Ihr uns lest!"

Unterstütze uns einmalig mit Paypal (an unseren Verlag: Fortes Medien GmbH)

Werbung

L