Heißer als Texas

Streiflichter vom Holland International Blues Festival 2025 / Blues Village, Grolloo, Niederlande, 20.-21.6.2025

14. Juli 2025

Lesezeit: 4 Minute(n)

Sie seien gerade zurück aus Texas, berichtet Sängerin Georgie Fuller von The Heavy Heavy. „Wir dachten, dort sei es heiß. Bis wir hier nach Grolloo kamen …“ The Heavy Heavy traten am zweiten Tag des Holland International Blues Festival (HIBF) im niederländischen Grolloo auf der Freiluftbühne auf. Die öffnete sich Richtung Südwesten, war also bis abends der Sonne ausgesetzt. Und die brannte an diesen zwei Festivaltagen, an denen es in den Niederlanden bis zu 35 Grad heiß wurde.

Text und Fotos: Harald Keller

Fürsorglich schafften die Veranstaltenden für die Musikschaffenden große Ventilatoren herbei. Dennoch perlte der Schweiß. Das Publikum litt mit: Der von der Sonne geblendete Sänger Bas van Holt von den Dawn Brothers bekam von einem mitfühlenden Zuschauer eine Sonnenbrille zugeworfen. Leuchttafeln ermahnten die Besuchenden, viel zu trinken und mehrfach am Tag Sonnencreme aufzutragen. Die gab es kostenlos am Eingang; in den Sanitärbereichen waren „Wasserstellen“ zum Nachfüllen der mitgebrachten Trinkgefäße eingerichtet worden.

Georgie Fuller und William Turner von The Heavy Heavy

 

The Heavy Heavy aus dem englischen Brighton stehen in der Tradition jener Sixties-Bands, die von Folk und Country zehrten – The Mamas and the Papas, The 13th Floor Elevators, Buffalo Springfield. Ein Beispiel für die stilistische Erweiterung des HIBF. 2025 fanden mehr denn je Americana Berücksichtigung, insbesondere auf der neu hinzugekommenen kleineren „Solid Sender“-Bühne. Gleich zum Auftakt, nachmittags um zwei, trat mit JD Clayton ein klassischer Singer/Songwriter auf, allein mit Gitarre. Trotz dieser undankbaren Uhrzeit fand Clayton ein gar nicht kleines, aufgeschlossenes Publikum, erntete viel Beifall und ging glücklich von der Bühne. Ähnlich am zweiten Tag der Schwarze Bluesmusiker Jerron Paxton, der das Publikum mit auf Gitarre, Banjo und Mundharmonika gespieltem Cajun Blues sowie seinem trockenen Humor – „We got the Bob Marley smoke machine going …“ – schnell für sich einnahm.

JD Clayton

 

Wer die Allman Brothers vermisst und schon alle Platten der Tedeschi Trucks Band beisammen hat, sollte sich einmal der niederländischen Leif de Leeuw Band zuwenden. Mit fließenden Twin-Gitarren, zwei Schlagzeugern, mitreißenden Soli und Harmoniegesang bewegen sie sich in der Tradition auch der Marshall Tucker Band und der Outlaws. In älteren Texten über die Band findet sich vielleicht noch der Name Britt Jansen. Dieselbe Person ist noch immer Mitglied der Band – aus Britt wurde Sem, der seine Geschlechtsangleichung gemeinsam mit seinen Bandkollegen 2023 in seinem mehr an Jim Croce und Gordon Lightfoot orientierten Solowerk „Uncle Sem“ thematisierte.

Jerron Paxton

 

Den vielleicht größten Spagat wagte das Organisationsteam mit dem Engagement der Countrysängerin Margo Price. Auf Price’ jüngstem Album gibt es ein Waylon-Jennings-Cover und den von Kris Kristofferson inspirierten Song „Don’t Let The Bastards Get You Down“. Ihre trotzige Haltung ist keine Pose. Sie hat Krisen durchlebt, Armut, Depression, Haft. Sozialkritische Texte sang sie schon zu Beginn ihrer Karriere in der Band Secret Handshake. In Grolloo stellte sie sich mit den Worten vor: „Country music owes so much to the Blues, and we are happy to be here.“ Am Ende ihres Auftritts gab es ein Pfeifkonzert – weil das Licht eingeschaltet wurde, während das Publikum vernehmlich nach einer Zugabe verlangte. Der enge Zeitplan des Festivals lässt dergleichen eigentlich nicht zu. Für Margo Price wurde eine Ausnahme gemacht. Sie eilte zurück auf die Bühne und sang a cappella Janis Joplins „Mercedes Benz“. Ein umjubeltes Finale. Doch gab es auch kritische Stimmen. Henk, über siebzig, leidenschaftlicher Bluesfan, seit der HIBF-Premiere anno 2016 dabei, merkte an, wenn ein Festival das Wort „Blues“ im Titel führe, dann solle auch Blues geboten werden.

Leif de Leeuw & Sem Jensen

 

Den gab es natürlich in vielen Formen. Robert Finley, angekündigt als „the baddest man on the bayou“, vertrat das Subgenre Swamp Blues. Die Stimme des vor rund zehn Jahren erblindeten Sängers reicht von grabtiefem Brummen bis hoch zum Falsett. Zum erdigen Blues des Südens singt er zeitgemäße Texte, beispielsweise über einen Besuch in einem Pflegeheim. Er spricht über „King Covid“ und die Menschen, die Opfer der Pandemie wurden. Für die nahe Zukunft kündigt er ein Gospelalbum an.

Der gerade mal sechsundzwanzigjährige D. K. Harrell, 2024 bei den Blues Music Awards Preisträger in der Kategorie „Best Emerging Artist Album“, folgt hörbar seinem Idol B. B. King. Würdigend, nicht kopierend. Stolz präsentierte er dem Publikum seine aktuelle LP Talkin’ Heavy. Weil es sich um ein Bluesalbum handelt, ist das Vinyl – natürlich – blau. Nach der kleinen Werbepause schleuderte er sein Musterexemplar ins Publikum. Während des Fluges trennten sich Platte und Hülle und fanden zwei verschiedene Besitzer. Er werde beides signieren, versprach Harrell.

Margo Price

 

Viele US-Gäste kommentierten mehr oder weniger deutlich die politische Situation daheim. Am deutlichsten wurde Bonnie Raitt: „Wir sind froh, dass wir da raus sind.“ Scherzhaft fügte sie an, ins niederländische Assen ziehen zu wollen, erste niederländische Vokabeln hat sie schon gelernt. Nun sind die Niederlande längst nicht mehr Vorbild in Sachen Liberalität. 2024 gelangte die rechtspopulistische PVV in die Koalitionsregierung, aus der sie sich bereits wieder verabschiedet hat. Aber diktatorische Tendenzen wie unter Trump sind hier glücklicherweise noch nicht zu erkennen.

Bonnie Raitt mit Co-Gitarrist Duke Levine

 

In Grolloo kamen um die 14.000 Menschen aus ganz Europa und Übersee in einer rücksichtsvollen, offenen, toleranten Atmosphäre zusammen. Eine schöne Erfahrung. Die leider nur zwei Tage währte.

www.hollandinternationalbluesfestival.com

Robert Finley

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