Die diesjährige 28. Ausgabe des wohl wichtigsten Weltmusikevents im Globalen Süden zog wieder weit über zwanzigtausend Besuchende aus verschiedensten Ländern an. Wie gewöhnlich diente als Veranstaltungsort das Sarawak Cultural Village, knapp dreißig Kilometer entfernt von Kuching, der Hauptstadt Sarawaks, des größten Bundesstaates Malaysias. Anders als im Westen des Landes, der ethnisch von sunnitischen Malaien dominiert wird, bilden in Sarawak auf Borneo, der drittgrößten Insel der Welt, die sogenannten Dayak die Mehrheit – verschiedene indigene Gruppen, die fast ausschließlich Christen sind
Text und Fotos: Wolfgang König
Das zwischen Regenwald und Strand gelegene Cultural Village ist ein Museumsdorf, das vor allem die unterschiedlichen Haustypen der vielen ethnischen Gruppen in Sarawak präsentiert. In einigen der Häuser gibt es während des Festivals tagsüber Workshops, in denen es zum Beispiel um Volkstänze aus aller Welt, diverse Musiktraditionen oder bestimmte Instrumente geht. So stellte in diesem Jahr N’Famady Kouyaté aus Guinea das Balafon vor, die westafrikanische Variante des Schlagstabspiels Marimba. Teilnehmende konnten außerdem verschiedene Percussionstile erlernen oder sich mit dem Bau und der Spieltechnik der Sape vertraut machen, die man – live oder aus der Konserve – fast zu jeder Zeit auf dem Festivalgelände hören konnte. Die etwa ein Meter lange Laute, wird seit Generationen in Sarawak und anderswo auf Borneo gespielt. Man stellt sie aus einem Stück Holz her, das auf der Rückseite ausgehöhlt wird, um einen Resonanzraum zu schaffen. In den Neunzigern lief die Sape Gefahr auszusterben. Dass sie eine erstaunliche Renaissance erlebte, ist nicht zuletzt dem Rainforest World Music Festival zu verdanken, welches das Instrument immer wieder zum Thema machte und auch einen Sapespieler im Logo hat. Inzwischen wurde sie sogar zum Nationalinstrument Malaysias erhoben.
Die Konzerte finden abends auf zwei eigens dafür hergerichteten Bühnen statt, der Jungle Stage und der etwas kleineren Tree Stage. Hinter beiden erhebt sich die Regenwaldkulisse des Mount Santubong. Hatte sich das Festival im letzten Jahr weitgehend auf den südostasiatischen Raum konzentriert, war das geografische Spektrum der aktuellen Ausgabe wieder breiter, auch wenn die Region natürlich weiterhin angemessen vertreten war. Viele Acts präsentierten genreübergreifende Fusionen, allerdings mit qualitativ unterschiedlichen Resultaten.
Sape-Spieler
Seffarine nennt sich eine Band um die marokkanische Sängerin Lamiae Naki und den US-amerikanischen Oudspieler und Gitarristen Nat Hulskamp. Ihre Mischung aus arabischer Musik, Flamenco und Latin Jazz überzeugte ebenso wie der Ethnorock der Gruppe Kuntaw Mindanao von den Philippinen und des Ensembles Manhu, das aus Angehörigen der ethnischen Minderheit der Yi besteht, die in der südchinesischen Provinz Yunnan zu Hause ist. Bestechend auch die Seppuku Pistols aus Tokio, die 1999 als Punkband gegründet worden waren. Nach dem Erdbeben von 2011 und der daraus resultierenden Nuklearkatastrophe von Fukushima änderte die Band radikal ihren Stil. Sie griff zu traditionellen Instrumenten, vor allem zu verschiedenen Varianten der Taiko-Trommeln, bewahrte sich aber die Punkattitüde. Thematisch kreisen die Songs der Seppuku Pistols in erster Linie um Ökologie sowie Krieg und Frieden.
Sape-Varianten
Etwas zu rocklastig war vielleicht das Konzert der bis auf eine Ausnahme rein weiblichen Gruppe Otyken aus dem sibirischen Krasnojarsk, die sich trotzdem zu einem erkennbaren Teil auf die Traditionen des Tschulym-Volkes bezog (einschließlich Kehlkopfgesang), zu dem fast alle Mitglieder gehören und in dessen Sprache sie auch singen. Einige westliche Besuchende stießen sich daran, dass hier eine Band aus Russland eingeladen worden war, obwohl Moskau ja einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine führt. Diese Position verkennt einerseits, dass auch der Respekt des sogenannten Globalen Nordens vor dem Völkerrecht zumeist von der jeweiligen Interessenlage abhängt (was in anderen Teilen der Welt sehr genau zur Kenntnis genommen wird), und zweitens: Wurden jemals türkische Kulturschaffende nicht eingeladen, weil ihre Heimat seit einem halben Jahrhundert widerrechtlich große Teile von Zypern besetzt hält? Wurden Kulturschaffende aus den USA boykottiert, als Letztere mit der „Koalition der Willigen“ unter Bruch des Völkerrechts den Irak überfielen? Oder wurde jemals daran gedacht, israelische Acts zu meiden, weil ihre Regierung seit Jahrzehnten internationales Recht missachtet?
Jungle Stage
Zurück zum RWMF, wie das Festival auch kurz genannt wird. Mehr oder weniger misslungen war das Konzept der Gruppe Gaga Gundul (Indonesien/Frankreich). Das Programmheft versprach eine Mixtur aus traditioneller Gamelanmusik, Rock und Jazz. Leider war es keine durchdachte Fusion, sondern ein weitgehend beziehungsloses Nebeneinander dieser Genres. Und der neuseeländische Maori Rob Ruha sang zwar in seiner Muttersprache, blieb aber ansonsten leider vollständig westlichem Pop und Soul verhaftet. Die Verpflichtung der Earth, Wind & Fire Experience, eines Ablegers der legenden Funkband, lässt sich zwar mit der Hoffnung auf zusätzlichen Kartenverkauf erklären, das Konzert blieb aber ein seltsamer Fremdkörper bei einem Weltmusikfestival.
Das zeigte sich auch daran, mit welcher Begeisterung das Finale aufgenommen wurde, bestritten von der lokalen Gruppe At Adau, die eine große Aktie am Sape-Revival hat und das Instrument in einen traditionsbezogenen und gleichzeitig modernen Kontext stellt. Um den Publikumszuspruch muss sich das Festival also wohl auch in Zukunft keine Sorgen machen.







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