Letzten Monat ging es hier in der Honky Tonk Post darum, wie Countrymusik – neben anderen Kulturformen – immer wieder Geschichtsmythen aufgreift und dadurch in neue Generationen weiterträgt. Dabei haben wir zunächst über den wohl größten Gründungsmythos der USA gesprochen: die Expansion nach Westen mit allen Untermythen, die dazugehören: Pioniergeist, Wildwest-Ethos, Unabhängigkeit und der amerikanische Traum. Heute wird es aber, wie schon angekündigt, deutlich düsterer.
Text: Ralf Grabuschnig
Denn nicht nur dieser eine Mythos wird in der Countrymusik immer wieder aufgegriffen. Auch das dunkelste Kapitel der Vereinigten Staaten kommt hin und wieder vor. Reden wir heute also über Sklaverei, den US-Bürgerkrieg und wie beides musikalisch verklärt wurde und wird.
The Band – „The Night They Drove Old Dixie Down“ (1969)
The Band, The Band © 1969 Capitol Records
Fangen wir dazu gleich wieder mit einem ganz großen Klassiker der Countrymusik an, der den Trend der heutigen Ausgabe auch schon klar machen dürfte. In „The Night They Drove Old Dixie Down“ von The Band von ihrem zweiten Album The Band geht es um die Niederlage der Südstaaten im US-Bürgerkrieg, erzählt aus der Perspektive eines einfachen Soldaten aus dem Süden. Er beklagt darin die Niederlage selbst, das Leid, den Hunger und auch das Ende der alten Südstaatenkultur.
Und vor allem fällt dabei eines auf: Er tut das alles, ohne auch nur ein Wort über die Sklaverei zu verlieren, um die es in diesem Krieg und in dieser „Kultur“ schließlich ging. Damit reiht sich das Lied in die „Lost Cause“-Mythologie ein, eine Verklärung des Südens und der Gründe für den Krieg, der ich auch schon mal eine ganze Folge in meinem Geschichtspodcast (https://ralfgrabuschnig.com/lost-cause-mythos) gewidmet habe.
Johnny Cash – „God Bless Robert E. Lee“ (1983)
Johnny Cash, Johnny 99 © 1983 Sony Music Entertainment
Noch expliziter wird Johnny Cash einige Jahre später auf seinem Album Johnny 99. Sogar so sehr, dass er dem Lied „God Bless Robert E. Lee“ ein einminütiges Intro voranstellt, in dem er klar macht, dass es ihm nicht um „Nord“ oder „Süd“ geht. Die folgenden zweieinhalb Minuten verbringt er dann eben damit, den Südstaatengeneral Robert E. Lee zu verherrlichen, weil der durch seine Kapitulation Menschenleben gerettet hat. Wofür diese Leute aber überhaupt gekämpft hatten? Das erachtet auch Cash als nicht weiter erwähnenswert.
Watchhouse – „Wildfire“ (2016)
In seiner Einleitung nennt Johnny Cash dabei gleich einen weiteren oft wiederholten Mythos: den Kampf Bruder gegen Bruder. Und meint damit die Vorstellung, dass im Bürgerkrieg tatsächlich Familien auseinandergerissen worden wären und Brüder auf unterschiedlichen Seiten gekämpft hätten – oder zumindest im übertragenen Sinne, dass doch alle in diesem Krieg Brüder waren. Dass all das in den 1860er-Jahren erstens kaum existierte und auch im übertragenen Sinn nicht zutraf, ist dabei egal. Diese Vorstellung verfing und lebt noch heute.
Auch in „Wildfire“ des Duos Watchhouse von ihrem Album Blindfaller aus dem Jahr 2016 hören wir dann also eine Strophe wie: „Civil war came, civil war went; / Brother fought brother and the South was spent.“ – „Der Bürgerkrieg kam, der Bürgerkrieg ging. / Bruder kämpfte gegen Bruder, und der Süden war am Ende.“
Tja. Und mit dieser Message steht der Song nun wirklich nicht alleine da. Um nur noch einen bekannten Künstler zu nennen: Auch Chris Stapleton machte 2013 genau dasselbe in „Two Brothers“. Ich muss wahrscheinlich nicht mehr dazusagen, was er in dem Lied nicht erwähnt …
Es gibt aber auch positive Beispiele!
American Aquarium – „A Better South“ (2020)
Eine meiner Lieblingsbands etwa, American Aquarium aus North Carolina, beklagen in „A Better South“ genau das: diese althergebrachte Sicht auf den Bürgerkrieg. Die Vorstellung des „Lost Cause“, dass das alles doch gar nichts mit Sklaverei zu tun hatte und dass auch etwas Gutes verloren ging. Sie singen über ihren Süden: „To the right side of history, we’re always late, / Still arguing the difference between heritage and hate.“ – „Wir sind immer zu spät, wenn es um die richtige Seite der Geschichte geht, / Und streiten immer noch über den Unterschied zwischen Tradition und Hass.“ Ein anderer Topkünstler des Indie-Country – Jason Isbell – spricht dasselbe Thema in seinem „White Man’s World“ an.
Es gibt also Bewegung. Aber leider – wie so oft bei rückständigen Geschichtsbildern und jenen, die auf ihrer Basis rückständige Politik betreiben wollen … – es passiert zu langsam. In der Politik, in der breiteren Gesellschaft und eben auch in der Kultur.
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