Audio mp3: »Silja«, 9:52 min
folker präsentiert: Nord Folk Festival 2025
Das Trio Silja hat mit Tradtuur gerade sein zweites Album veröffentlicht. Im Interview sprechen die drei Bandmitglieder, die unter anderem am 27. September beim Nord Folk Festival in Hamburg zu hören sein werden, über ihre Wurzeln, ihre Instrumente und die heilige Cäcilia.
Text: Wolfgang Weitzdörfer; Fotos: Shendl Copitman-Kovnatskiy
Wer und was ist Silja?
Kristina Künzel: Meine Ambition ist es schon länger, deutsche traditionelle Musik zu entstauben und auf ungewöhnliche Weise zu interpretieren. 2018 fasste ich den Entschluss, das Projekt und damit die Suche nach Mitmusikern noch einmal konkreter anzugehen. Da passte es perfekt, dass Mark [Kovnatskiy, Violine; Anm. d. Red.] ebenfalls auf der Suche war und auch Ben [Aschenbach, Gitarren, Cister; Anm. d. Red.] Kapazitäten hatte. Seitdem sind wir in dieser Besetzung unterwegs.
Ben Aschenbach: Aufgrund der großen Resonanz bei unseren Konzerten entschlossen wir uns 2020, unser erstes Album, Tradfusion, zu veröffentlichen. Und da wir uns im Laufe der Jahre musikalisch weiterentwickelt haben und live auch viele Stücke spielen, die noch nicht auf dem ersten Album erschienen sind, lag es nahe, das zweite Album anzugehen. So haben wir im März dieses Jahres unser zweites Album veröffentlicht.
Waren Besetzung und stilistische Ausrichtung – „pipes & strings“ – von Anfang an klar?
Künzel: Beides war sehr schnell klar. Mark und ich haben uns getroffen und beschlossen, das Projekt zu realisieren und unsere jeweilige musikalische Expertise einfließen zu lassen. Also meine, deren musikalische Heimat mit dem Dudelsack – den „pipes“ – in der traditionellen deutschen Tanzmusik liegt, und Marks, der als Klezmerviolinist international bekannt ist. Bei der Überlegung, wer das harmonisch-rhythmische Grundgerüst bieten kann und ebenfalls Interesse an Tanzmusik und Volksliedern hat, ist mir Ben eingefallen, mit dem ich bereits in einem früheren Projekt zusammengearbeitet habe. Somit waren auch die „strings“ komplett.
Mark Kovnatskiy: Uns war von Anfang an klar, dass es viele Ähnlichkeiten zwischen der deutschen traditionellen und der jiddischen Musik gibt, und während der ersten Proben wurde dies noch deutlicher. Das ist auch nicht verwunderlich, leben doch beide Kulturen seit Jahrhunderten zusammen und haben sich stets gegenseitig beeinflusst. So passiert es gelegentlich, dass mir, wenn wir ein Stück aus dem traditionell deutschen Repertoire spielen, ein Stück aus der jiddischen Tradition einfällt, dass ähnlich klingt. Oder es passiert umgekehrt. Um diese Verbindungen deutlich zu machen, arrangieren wir diese Stücke dann oft zusammen in einem Set.
Aschenbach: Und genauso treffen wir beispielsweise auf Stücke wie „Mazurka“, das aus einer jüdischen Notensammlung aus Kiew stammt, aber eher nach einer Melodie aus dem alpenländischen Raum klingt. Somit ist unsere Musik – gerade angesichts des wachsenden Antisemitismus in den vergangenen Jahren – auch mit der Botschaft für mehr Toleranz verbunden.
Warum habt ihr euch nach der heiligen Cäcilia benannt – und warum auf Niederdeutsch?
Künzel: Ich komme ursprünglich aus Schleswig-Holstein. Bei der Namensfindung ging es darum, möglichst einen Namen zu finden, der eine Verbindung zu meinen niederdeutschen Wurzeln schafft.
Aschenbach: Auch wenn die heilige Cäcilia eine christliche Heilige ist, so ging es uns nicht um das Christentum, sondern in erster Linie um ihre Rolle als Schutzheilige der Musiker, Sänger und Dichter. Zu denen wir auch gehören – unabhängig von Glauben oder Religion.
„Unsere Musik ist auch mit der Botschaft für mehr Toleranz verbunden.“
Kristina, wie findet man als Musikerin ausgerechnet zu den Dudelsäcken?
Künzel: Ich habe von frühester Kindheit an Musik gemacht, habe unter anderem viele Jahre Blockflöte und klassische Gitarre gespielt. Aber irgendwie waren das nicht die richtigen Instrumente für mich. Meine älteste Freundin meinte dann zu mir: „Kristina, Dudelsack passt zu Dir!“ Ich konnte mir das so gar nicht vorstellen, verband ich doch mit dem Dudelsack, wie die meisten Menschen, die sich mit dem Thema nicht weiter auskennen, schottische Militärmusik oder Männer mit Lederklamotten auf dem Mittelaltermarkt. Irgendwie habe ich mich bei beidem nicht gesehen. Aber in der Gegend, aus der ich komme, wurde einmal im Jahr ein Folkfest von einem Dudelsackbauer veranstaltet. Und der hat Folkmusik auf Dudelsäcken gespielt, die so gar nichts mit meinen bisherigen Vorstellungen zu tun hatte. Also habe ich mich mit ihm getroffen, um den Dudelsack selbst auszuprobieren. Ich habe bei den ersten Versuchen zwar fürchterlich rumgequietscht, aber ich wusste: Das ist mein Instrument. Ich war von Anfang an verliebt.
Baust Du Deine Instrumente auch selbst?
Künzel: Nein, meine Instrumente lasse ich bauen. Die Dudelsäcke stammen von Jon Swayne aus England und Matthias Branschke [siehe separaten Artikel hier [Link]] aus Deutschland. Die Nyckelharpa, die ich inzwischen spiele, hat Johanna Isselstein gebaut. Selbst bauen kann ich nicht – aber Erste Hilfe leisten schon. Wenn man solche speziellen Instrumente spielt, sollte man in der Lage sein, kleine Reparaturen selbst zu machen, um einsatzbereit zu sein. Ersatz ist im Zweifelsfall schwer zu bekommen.
Im März ist euer zweites Album erschienen – was könnt ihr darüber erzählen?
Künzel: Mit Tradtuur verfolgen wir den Weg unseres ersten Albums weiter – tuur kommt ebenfalls aus dem Niederdeutschen und bedeutet „Reise“. Es finden sich also auch dort Melodien und Tänze aus beiden Kulturkreisen. Aber wir haben nicht nur in den traditionellen Tanzmusikquellen Norddeutschlands geschaut, sondern den Bereich auf den ganzen deutschsprachigen Raum ausgeweitet.
Kovnatskiy: Außerdem wollen wir nicht nur vergangenen Traditionen folgen, sondern auch unsere eigenen Ideen und Melodien noch stärker einfließen lassen als auf unserem ersten Album. Daher sind einige Eigenkompositionen dabei.
Aschenbach: Im Gegensatz zum Debüt, dass rein instrumental war, gibt es jetzt auch ein paar Gesangseinlagen sowie Stücke ohne Dudelsack, bei denen Kristina Nyckelharpa spielt.
Wie würdet ihr jemandem, der sie nicht kennt, eure Musik in einem Satz beschreiben?
Aschenbach: Traditionelle Musik aus Deutschland trifft auf Klezmer und jazzige Einflüsse. Oder in einem Wort: „Tradfusion“, wie der Titel unseres Debütalbums.
Wie schreibt ihr eure Musik?
Kovnatskiy: Die traditionellen Melodien sind meistens kleine, einfache Stücke. Dabei ist es eher von Bedeutung, diese Melodien spannend zu arrangieren oder zu umspielen, sie nicht einfach mehrmals hintereinander wegzuspielen. Wie viel wir umarrangieren, bis wir damit zufrieden sind, ist ganz unterschiedlich. Bei einigen Stücken ist sofort eine zündende Idee da, einige brauchen länger, verschwinden vielleicht auch wieder eine gewisse Zeit in der Schublade, bis eventuell ihre Zeit gekommen ist. Die Sets mit einem deutschen und einem jiddischen Stück, die dann zusammenpassen, spielen wir besonders gerne.
Künzel: Teilweise werden auch Texte angepasst oder von uns neu geschrieben wie im Fall eines schwäbischen Zwiefachen, auf den wir einen hochdeutschen Text gedichtet haben.
Aschenbach: Von Kristina und Mark habe ich auch gelernt, mit einem gewissen Respekt an die traditionellen Stücke heranzugehen. Nicht gleich alles auseinanderzunehmen und komplett anders zu spielen, wie es vielleicht im jazzigen oder experimentellen Kontext üblich wäre, sondern zunächst einfach der Tradition zu folgen, und wenn man diese dann aufgenommen und verinnerlicht hat, sich neue Freiheiten zu erschließen. Das ist natürlich gerade im Kontext traditioneller Tanzveranstaltungen wichtig.
Woher bezieht ihr eure Inspirationen?
Kovnatskiy: Wenn wir über die jiddische Komponente unseres Repertoires sprechen, so stammen die traditionellen Melodien aus Osteuropa, hauptsächlich aus der Ukraine, wohin ich viele Verbindungen habe. Die osteuropäische jiddische Musik, einschließlich des Klezmer – der Instrumentalmusik der osteuropäischen aschkenasischen Juden –, hat ihren Ursprung im Ansiedlungsrayon, einem Gebiet im Südwesten des ehemaligen Russischen Reiches, das die Gebiete der heutigen Ukraine, Moldawiens, Weißrusslands, Litauens und Polens umfasste. Da meine Wurzeln von dort stammen, ist es nicht verwunderlich, dass ich einen Teil meines kulturellen Codes mitbrachte, als ich Teil des Ensembles wurde.
Künzel: Die deutschen Stücke finden sich in vielen verschiedenen alten Notenquellen wieder, etwa der Sammlung Dahlhoff, dem Wernigeröder Tanzbüchlein, den Altländer Noten- und Tourenbüchern oder der Tanzsammlung Hartwig. Da legen wir auch einen Schwerpunkt auf die norddeutschen Sammlungen und den regionalen Aspekt der Musik und suchen auch immer nach passenden Volksliedern.
Aschenbach: Ich habe mich auch mit Tango, Flamenco und lateinamerikanischer Musik beschäftigt, die ich sehr liebe – auch weil es dort so viel Inspiration für die Gitarre gibt. So eine Gitarrentradition gibt es im Klezmer oder in der traditionellen deutschen Tanzmusik nicht, höchstens zur Liedbegleitung, aber ich finde es sehr spannend, auch die eigenen musikalischen Traditionen kennenzulernen und für die Gitarre zu adaptieren.
Seid ihr auch in anderen Ensembles aktiv? Wenn ja, welche sind das?
Kovnatskiy: Ich spiele in vielen verschiedenen Klezmerprojekten, etwa dem Semer Ensemble und einigen anderen mit Alan Bern. Außerdem habe ich inzwischen auch ein eigenes Ensemble, das meine Eigenkompositionen spielt.
Künzel: Ich mache neben meinem Soloprojekt Pipes for good vibes postgotischen Ethnoswing mit der Band Satolstelamanderfanz.
Achenbach: Und ich bin außerdem bei Tsching aktiv, einem Berliner Trio mit Cello, Saxofon und Gitarre, das eine Melange aus Jazz, Balkanmusik, Tango, Neoklassik und altem regionalen Liedgut spielt.
Aktuelles Album:
Tradtuur (Prosodia, 2025)







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