Anfang Mai 2022 verstarb die Tochter von Martin und Gertrude Degenhardt sowie Nichte des Liedermachers Franz Josef Degenhardt nach langer Krankheit. Am 6. Juni 1965 in Mainz in eine Künstlerfamilie geboren, erhielt sie bereits mit acht Jahren Klavier-, Flöten- und Gitarrenunterricht.
Anders als bei heute populären Fingerstylegitarristinnen und -gitarristen galt ihre Liebe der klassischen Konzertgitarre, deren Studium sie von 1985 bis 1990 an der Hochschule für Musik in Frankfurt absolvierte. In ihre Arbeit als Musikpädagogin fiel die Entstehung ihrer ersten Schallplatte Nicht eingebracht, nicht wild erfühlt (Stockfisch, 1986), die bereits ihre Liebe zu Musik, Land und Leuten Irlands zum Ausdruck brachte. Das kleine Cottage ihrer Familie an der irischen Westküste war dabei Refugium und Ort, an denen manche ihrer feinsinnigen Kompositionen entstanden. Ihrer Interpretation irischer Lieder und Tänze stellte sie neben der französischen Musettetradition und gelegentlichen Flamencoanleihen die Volksmusik Südamerikas gegenüber.
Die anspruchsvollen Walzer für Gitarre des Komponisten Agustín Barrios-Mangoré aus Paraguay spielte sie ebenso wie manche Stücke des venezolanischen Komponisten Antonio Lauro oder die kraftvollen argentinischen Sambas von Eduardo Falú und Atahualpa Yupanqui. Ihre eigenen mehrstimmigen Kompositionen lassen die Auseinandersetzung mit Bach, O’Carolan und Chopin, mit Kontrapunkt, Barock- und elisabethanischer Musik erkennen.
Hinreißend interpretierte sie irische Tanzmelodien und Slow Airs auf ihrer Tenorblockflöte. Erst spät fand sie ihre Stimme, die sie unprätentiös mit wohlklingendem Timbre einsetzte, wenn es denn sein musste. Anders als auf ihren elf im Selbstverlag erschienen CDs konnte man in ihren immer seltener werdenden Konzerten auch das ein oder andere deutsche Volkslied neben irischen Weisen hören. Eine Musikkarriere blieb ihr wegen ihres unspektakulären musikalischen Handwerks ohne jegliche Effekthascherei verwehrt. Die wenigen Konzerte, die Annette Degenhardts gab, waren ein Ort der Ruhe und Kontemplation bei der das Publikum spüren konnte, wie sehr sie in ihrer Musik aufging.
Fred Balz
Foto: Ingo Nordhofen
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