Fira Mediterrània de Manresa

Am Scheitelpunkt zwischen Gestern und Morgen

8. Januar 2020

Lesezeit: 4 Minute(n)

Rund siebzig Kilometer nordwestlich von Barcelona liegt Manresa. Es ist Freitag, der 11. Oktober 2019. Dort, wo der Begründer des Jesuitenordens Ignatius von Loyola im sechzehnten Jahrhundert sein Erweckungserlebnis hatte und wo, wie in ganz Katalonien, mit angehaltenem Atem die Urteilsverkündigung des Obersten Gerichtes in Madrid gegen die größtenteils bereits seit zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzenden Separatisten erwartet wird, findet zum 22. Mal in Folge die Fira Mediterrània de Manresa statt, ein Markt der kulturellen „Roots“ des Mittelmeerraums.
Text: Rolf Beydemüller

Gesucht, gefördert und vorgestellt wurden künstlerische Projekte, die die Tradition mit der Moderne verbinden. Somit steht die Fira am Scheitelpunkt zwischen Gestern und Morgen. Auf den großen und kleinen Bühnen der Stadt, in herrschaftlichen Wohnzimmern, in Höfen, Zelten und unter freiem Himmel war Musik, Tanz, Theater, Zirkus und vieles mehr zu bestaunen.
Musikalisch standen Folklore und Weltmusik im Zentrum des Wochenendes. Jordi Fosas, der künstlerische Direktor der Fira, hatte für 2019 ein Programm entwickelt, das drei große Themen vorstellen sollte: Perspektiven, junge Menschen und Gender.

Eine traditionelle Schatzkiste

Das Thema „Junge Menschen“ wurde bei einem Familien-Mitmachkonzert des Duet Daura in besonders einfacher und berührender Weise aufgegriffen. In einer Zirkusschule führten sie El Bagul de la Música Tradicional auf. „El Bagul“, die Truhe, war bis oben gefüllt mit traditionellen Instrumenten der Pyrenäen und Kataloniens. Ivan Caro und Pilar Planavila (Gesang, Akkordeon, diverse Blasinstrumente, Dudelsack, Trommeln) gelang es innerhalb weniger Minuten, schönste Gemeinschaft zu schaffen. Rund dreißig Kids tauten aus ihrer anfangs noch mühsam aufrechterhaltenen Coolness auf. Was für ein Erlebnis! Nach einer lehrreichen und sehr lustigen Stunde wurde ausgelassen getanzt und lauthals gesungen, die paar Erwachsenen, die sich ins La Crica verirrt hatten, machten gleich mit. Und es fiel nicht schwer sich vorzustellen, dass der eine oder andere Teenager nach dieser Veranstaltung das Musizieren begonnen hat.

Das Thema „Junge Menschen“ wurde bei einem Familien-Mitmachkonzert des Duet Daura in besonders einfacher und berührender Weise aufgegriffen. In einer Zirkusschule führten sie El Bagul de la Música Tradicional auf. „El Bagul“, die Truhe, war bis oben gefüllt mit traditionellen Instrumenten der Pyrenäen und Kataloniens. Ivan Caro und Pilar Planavila (Gesang, Akkordeon, diverse Blasinstrumente, Dudelsack, Trommeln) gelang es innerhalb weniger Minuten, schönste Gemeinschaft zu schaffen. Rund dreißig Kids tauten aus ihrer anfangs noch mühsam aufrechterhaltenen Coolness auf. Was für ein Erlebnis! Nach einer lehrreichen und sehr lustigen Stunde wurde ausgelassen getanzt und lauthals gesungen, die paar Erwachsenen, die sich ins La Crica verirrt hatten, machten gleich mit. Und es fiel nicht schwer sich vorzustellen, dass der eine oder andere Teenager nach dieser Veranstaltung das Musizieren begonnen hat.

Die archaische Größe innerer Berglandschaften

Ebenfalls aus den Pyrenäen stammt Arnau Obiols. Im Hof des L’Anònima, des historischen, ehemaligen städtischen E-Werks von Manresa, war eine kleine Bühne aufgebaut. Im Zentrum ein konventionelles Schlagzeug und ein mit einer Vogelfeder versehenes Metronom, das sicht- und hörbar vor sich hin tickte, optisch und klanglich verrinnende Zeit. Schließlich betrat ein schlaksiger junger Mann singend und begleitet vom Klang einer Shrutibox – einer Art tragbaren indischen Harmoniums –, seine „magische“ Werkstatt. Vom Band kamen ausgesuchte Files mit O-Tönen von Menschen aus den Dörfern seiner Heimat. Kurze Texte, Gesungenes, aber auch Naturgeräusche – fließendes Wasser, Gewitter, Vogelstimmen, Kuhglocken, Wind. Obiols griff die Themen auf, umspielte sie, führte sie fort, und nicht selten mündete ein traditionelles Lied in abstrakte, freie Improvisationen, um wie von Geisterhand gelenkt wieder in die Geborgenheit des einfachen Liedes zurückzukehren. Vor der archaischen Größe der inneren Berglandschaften webte der Drummer und Sänger eine Soloperformance, die den Hörer vielgestaltigen Zeit- und Klangebenen aussetzte.

Mittelalterlicher Schneesturm

„Moderne“ mittelalterliche Spielmannsmusik, dafür steht das katalanische Ensemble Els Berros de la Cort, das seit über zwanzig Jahren auf europäischen Bühnen gastiert und ein gefragter Straßenact ist – wilde Gestalten, in mittelalterlichem Outfit, mit punkrockiger Attitüde. Das Kollektiv aus Girona stellte sein aktuellstes Werk Torb (katalanisches Wort für „Schneesturm“) vor und damit zum ersten Mal eine Loslösung von der Musik okzitanischer und katalanischer Troubadoure. Sämtliche Kompositionen stammten aus eigener Feder, blieben aber dem Geist der mittelalterlichen Klangwelt treu. Mit Drehleier, Dudelsack, Mandola, den beiden Holzblasinstrumenten Tarota und Gralla sowie Percussion sorgte die Band für den richtigen Druck beim Medieval-Market-Pogo.

Mystische Folklore zu später Stunde

Zu nächtlicher Stunde tauchte das Duo Tarta Relena die Capella del Rapte am Plaça de Sant Ignasi in ein mystisches Klangbad. Das minimalistische Setup der beiden jungen Sängerinnen aus Barcelona bestand aus zwei Mikrofonen und einem Laptop. Marta Torrella und Helena Ros haben ihr Programm „Ora Pro Nobis“ getauft, und was anfangs noch liturgisch verwurzelt wirkte, legte nach und nach seine vielfältigen Wurzeln und Aspekte frei: eine Melodie aus Kreta, korsische Polyfonie oder griechischen Rembetiko. Zwei starke Stimmen in konzentrierten polyfonen Sätzen, die bisweilen an die Chormusik von Arvo Pärt oder an die mittelalterlichen Cantigas de Santa Maria erinnerten. Feine Dissonanzen rauten das klassische Klangbild aufs Schönste auf, und auch digitale Verfremdungen der Stimmen oder vorproduzierte Beats und Drones aus dem PC fügten sich nahtlos in die erlesene Kunst des Duos.

Wandernde Stimmen im Raum

Die völlig ausverkauften Konzerte des Marala Trios fand in La Buresa statt, dem palastartigen Haus der prominenten Handelsfamilie Torrents. Ein Wohnzimmerkonzert der ganz besonderen Art, denn es sollte eine spezielle Aufnahmetechnik zum Einsatz kommen: eine binaurale Mikrofonierung. In der Mitte des prachtvollen Wohnzimmers stand ein auf einem Stativ befestigter Kunstkopf, in dessen Gehörgängen, dem menschlichen Ohr ähnlich, rechts und links Mikrofone angebracht waren. Die Wiedergabe erfolgte über Kopfhörer, um dem Hörer die extreme Räumlichkeit dieser Aufnahmetechnik vermitteln zu können. Selma Bruna (Katalonien), Sandra Monfort (Valencia) und die kurzfristig für die erkrankte Clara Fiol (Mallorca) eingesprungene Anna Ferrer (Menorca) verzauberten die Hörer mit einer sensationellen Hörerfahrung. Leisestes Flüstern, Fingerschnipsen, Gesang im 360-Grad-Radius, Wanderungen der Künstlerinnen durch den Raum – all das erzeugte eine Art hyperreale Wahrnehmung. Dazu eine Musik, die nicht ganz von dieser Welt zu sein schien. Lieder, Improvisationen, Volksgut, mediterran und transatlantisch, frei fließend, mühelos, traumähnlich.

Bewährtes und Bewahrendes

Neben den „jungen Menschen“ und ihren „Perspektiven“ gab es auch die bewährte und bewahrende Singer/Songwriterkunst eines Miguel Gil im Teatre Conservatori, der sein Publikum zu berühren verstand wie kaum ein anderer. Die fantastische salentinische Sängerin Maria Mazzotta im Duo mit dem madagassischen Akkordeonspieler Bruno Galeone brachte ihr Publikum mit einem Reigen mediterraner Liebeslieder zum Lachen, zum Weinen und wieder zum Lachen. GirodiBanda aus Apulien präsentierten sich open air mit Trompeter Cesare Dell’Anna. Das mazedonische Dzambo Agusevi Orchestra rockte funky-balkanbrassmäßig durch die Straßen Manresas und, und, und …
Das katalanische Kulturfest gehört zu den absoluten Highlights des musikalischen Jahres der Iberischen Halbinsel. Und an Ausgabe 23 wird bereits fleißig gefeilt.

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