Peggys Fairport

Ein halbes Jahrhundert Folkrockbass

27. September 2020

Lesezeit: 6 Minute(n)

„Was ist deine Lieblingsband, Beatles oder Stones?“ So ließ sich in den Sechzigerjahren relativ leicht feststellen, wie ein Gegenüber musikalisch gestrickt war. Beide nennen galt nicht! Die Frage „Fairport Convention oder Steeleye Span?“ hatte folkrocktechnisch gesehen eine ähnliche Relevanz – entweder oder. Fairport Convention waren mit einem Gründungsjahr 1967 die Ersten des Genres. Aber alles hängt mit allem zusammen. Wenn Fairport-Bassist und Gründungsmitglied Ashley Hutchings die Band nicht verlassen hätte, um nach neuen Klängen zu suchen, dann hätte es Steeleye Span 1969 nicht gegeben.
Text: Mike Kamp; Titelfoto: Charlie Bryan

Und ein damals noch langhaariger Dave Pegg, von allen liebevoll Peggy genannt, hätte nicht im gleichen Jahr seine Stelle als Bassist bei Fairport angetreten, die er bis heute innehat. Das (und nicht nur das) macht ihn zum Zentrum der Band, auch wenn mit Simon Nicol seit vielen Jahren wieder ein Gründungsmitglied mit an Bord ist, aber der gönnte sich zwischendurch etliche Auszeiten von den Folkrockern. Fünfzig Jahre Bass in einer Band! Das kriegt kaum einer von uns Normalsterblichen beim selben Arbeitgeber hin! Und Peggy hat es nie bereut. „Als ich damals Mitglied von Fairport wurde, war das schon eine große Sache für mich. Natürlich gab es auch ziemlich magere Zeiten, speziell in den früheren Jahren, aber ich habe eigentlich immer an unsere Musik geglaubt und ganz besonders an die Freundschaft unter uns Musikern. Als ich dann unser eigenes Label gründete, Cropredy leitete und ein Studio aufbaute, war das quasi so, als wenn ich der Bandleader gewesen wäre. Tatsache ist, wir waren unsere eigenen Bosse und konnten ohne die bekannten Beschränkungen des Musikgeschäfts arbeiten.“

Neben Dave Pegg und Simon Nicol (Gitarre, Gesang) bestehen Fairport Convention heutzutage aus Ric Sanders (Fiddle), Chris Leslie (Fiddle, Mandoline, Bouzouki, Gesang) und Gerry Conway (Drums), der vor 22 Jahren als Letzter dazustieß. Diese Beständigkeit ist erstaunlich bei einer Gruppe, die in ihren Anfangsjahren den Wechsel quasi zum Prinzip machte. „Im Alter gehen wir sicherlich milder miteinander um. Es gibt einen großen Respekt innerhalb der Band, und wir schaffen es, uns immer wieder neue Dinge auszudenken. Chris hat sich zu einem großartigen Songwriter entwickelt, und unser jüngstes Album Shuffle And Go ist meiner bescheidenen Meinung nach eine der besten Veröffentlichungen, die es je von Fairport gegeben hat.“

„Fairport hat in den späten Sechzigerjahren das Interesse an Folkmusik geweckt.“

Peggy ist mittlerweile nur noch in Banbury/England, wenn es die Arbeit erfordert. Sein Lebensmittelpunkt und der seiner Partnerin Ellen liegt in der Bretagne in einem schönen Haus mit großem Garten, und daher konnte er auch dem Coronalockdown durchaus Positives abgewinnen. Er schwärmt davon, wie sie das erste Mal den Frühling in ihrem Garten erleben konnten mit all der Blumenpracht und dem Gesang der Vögel. Apropos Corona, der bretonische Frühling ist zwar eine attraktive Sache, aber dafür musste die Fairport-Frühlingstour abgesagt werden. „Ich dachte sofort, dass das eine lange Konzertpause werden wird. Ich habe mir immer eine Auszeit gewünscht, und jetzt ist sie da. Zum Glück habe ich ein Cello geschenkt bekommen, und das ist mein neues Hobby geworden. Mein Spiel ist zugegebenermaßen schrecklich, aber ich liebe es, die Vibration eines tiefen C an meinem rechten Oberschenkel zu spüren! Finanziell geht es mir okay, aber ich muss einfach bald mal wieder arbeiten, was hoffentlich Anfang nächsten Jahres geschehen wird. Wir sind jedoch diesbezüglich im Moment in den Händen der Götter.“

Spricht man über Fairport Convention, kann das Gespräch Windungen und Wendungen nehmen, endet aber irgendwann mit absoluter Sicherheit bei Cropredy, dem Festival, das Anfang der Achtziger zur Weiterexistenz beziehungsweise Wiederbelebung der Band führte und seitdem zu einem wahren Fairport-Mekka geworden ist, zu dem der echte Fan jährlich pilgern muss. Selbstverständlich ist ein Fairport-Konzert mit diversen Gästen fester Programmpunkt. Dieses Jahr musste die Veranstaltung erstmals abgesagt werden und alle freuen sich schon auf Mitte August nächsten Jahres, wenn neben den Veranstaltern Künstlerinnen und Künstler wie Clannad, Sharon Shannon oder Matthews Southern Comfort die Bühne entern werden. „Cropredy ist immer noch ein Teil meines Jobs. Meine Rolle besteht hauptsächlich darin, Bands zu buchen, mit Agenten und Managern zu verhandeln und die Rechnungen zu schreiben. Gareth Williams hat die weniger beneidenswerte Aufgabe, das Wochenende zu managen. Er macht aber einen erstaunlichen Job.“ Und dann erinnert Peggy an einen Bäcker, der in seine Brötchen verliebt ist, wenn er sagt: „Cropredy ist schlicht das beste Festival, auf dem ich je gespielt habe.“

„Wir waren unsere eigenen Bosse und konnten ohne die Beschränkungen des Musikgeschäfts arbeiten.“

Wer erahnen will, was Peggy für ein Typ ist, dem sei seine Biografie oder eher Anekdotensammlung Off the Pegg empfohlen (siehe Rezension in Folker 6/2019). Hier präsentiert sich Peggy als Raconteur, der im Garten in der Bretagne seinen schreibenden Freund Nigel Schofield bewirtet und ihm bei diversen Flaschen besten Rotweins diverse Erlebnisse seines langen Musikerlebens in die Feder diktiert. Das Buch lässt auch erahnen, wie groß der Unterschied zwischen den Erfindern des Folkrocks (Fairport Convention) und einer Rockband mit Folkeinflüssen (Jethro Tull) ist. Da liegen schlicht Welten zwischen, aber Peggy hat nicht nur diese beiden Welten genossen, sondern auch alle anderen seiner unzähligen Kooperationen. „Ich liebe Nick Drakes Bryter-Later-Album und höre es immer noch oft zu Hause. Auch bin ich stolz auf die Jethro-Tull-Alben, besonders auf The Broadsword And The Beast. Dann noch Richard Thompsons (Guitar, Vocal), Anna Ryders Pockets On Fire, John Martyns Solid Air und Ralph McTells Slide Away The Screen, auf dem ich nicht nur gespielt habe, da war ich auch der Produzent. Alle diese Platten liebe ich aus unterschiedlichen Gründen.“
Musiker neigen dazu, ihre Instrumente zu horten oder gar zu sammeln. Peggy ist da bescheidener, er gibt zu, zu Hause in Banbury neun Bassgitarren zu haben plus eine Kala-Bassukulele, und merkt an, dass er diverse Bässe seinem Sohn Matt geschenkt habe, der musikalisch schon lange in den Fußstapfen des Vaters wandelt. In der Bretagne übt er lediglich auf seinem akustischen Bass, der von Rob Armstrong gefertigt wurde.

Bassisten sind ein eigener Musikertyp. Sie stehen auf der Bühne nicht im Mittelpunkt, leben sich nicht im selben Maße aus wie Leadsänger oder Gitarristen, und dennoch sind sie die unersetzlichen Lieferanten des Fundaments, das jedes Lied oder jede Melodie braucht. Wenn man zu Dave Pegg recherchiert, stolpert man früher oder später über ein Zitat auf dem Unterhaltungsportal IMDb, welches lautet „Dave Pegg gilt seit Langem als der größte britische Folkrockbassist aller Zeiten.“ Da ist man doch glatt geneigt, den Protagonisten geradeheraus zu fragen: „Wahr oder falsch?“ Und Peggy antwortet auf seine unnachahmliche Art: „Ich denke schon, dass ich der größte britische Folkrockbassist bin – in meiner Preisklasse!“

Fairport Convention sind ein Phänomen. Neben der aktuellen Besetzung waren zwanzig weitere Musiker und Musikerinnen Mitglieder der Band. Darin sind nicht eingerechnet die zahllosen Künstler, die zu diversen Anlässen wie dem Cropredy-Festival Teil eines Fairport-Projekts waren. Vielleicht ist das eines der Geheimnisse der Langlebigkeit der Band: Viele Musiker waren Teil von Fairport und haben die Gruppe nach ein paar Jahren wieder verlassen, aber selten hat man sich im Bösen getrennt. Man bleibt untereinander befreundet und hilft sich gegenseitig im Studio. So ist es für Peggy nie ein Problem, die unterschiedlichsten und abenteurlichsten Fairport-Formationen auf die Cropredy-Bühne zu locken. Diese Vielfalt unter dem Fairport-Banner macht das Festival einzigartig.

Dave Pegg; Foto: Ben Nicholson

Ein logisches und logistisches Problem könnten die regelmäßigen Tourneen sein – Ausnahme natürlich zu Coronazeiten. Da geht schließlich eine Truppe von überwiegend über Siebzigjährigen auf Reisen, wo sich der Unbeteiligte fragt: Macht das denn wirklich noch Spaß? „Also, ich bin sehr gerne auf Tournee, vor allem, wenn wir neues Material haben. Auf unserer letzten Wintertour konnten wir zehn der dreizehn Titel des neuen Albums spielen. Ellen und ich verkaufen dann CDs und Programme vor dem Konzert und in der Pause, und dabei höre ich, was den Fans gefällt oder was nicht und wen sie gerne beim Cropredy-Festival sehen würden.“

„Es gibt einen großen Respekt innerhalb der Band, und wir schaffen es, uns immer wieder neue Dinge auszudenken.“

Fairport Convention sind ohne Zweifel eine lebende Legende, authentische Folkrockgeschichte zum Anhören sozusagen. Das könnte zu einer übergroßen Verantwortung führen, zu einem Zwang, der eigenen Historie gerecht zu werden. Diese Gefahr besteht jedoch nicht, denn die fünf Herren auf der Bühne wirken jederzeit, als hätten sie tatsächlich Spaß. „Ich glaube, Fairport hat in den späten Sechzigerjahren das Interesse an Folkmusik geweckt. Es gibt jetzt einige wunderbare junge Musiker, die viel bessere Instrumentalisten sind, als ich es in ihrem Alter war, und sie machen großartige Musik. Es ist immer toll, wenn sie uns gelegentlich erwähnen und sagen, wir hätten ihre musikalische Entwicklung beeinflusst.“ Fairport befinden sich im 53. Jahr ihres Bestehens und Dave Pegg hat bekanntlich nur die ersten beiden Jahre verpasst. Entsprechend hoch ist für ihn der Stellenwert der Band. „Nach über fünfzig Jahren ist es offensichtlich ein großer Teil meines Lebens, und es ist etwas, worauf ich sehr stolz bin. Es ist eine gute Truppe, in der ich da mitmache, obwohl ich meine lieben Freunde vermisse, die leider nicht mehr mit uns im Tourbus sitzen.“

Vielleicht ist es wenig taktvoll, diese Frage zu stellen, aber sie liegt auf der Zunge und resultiert in einer überraschenden Antwort: Wie denkst du wird das Ende von Fairport Convention aussehen? „Ich bin sicher, die Band wird weitermachen, wenn ich auf der falschen Seite des Rasens liege! Mein Sohn Matt, der ein viel besserer Bassist ist als ich, hat mich in der Vergangenheit schon häufiger vertreten. Ich habe allerdings nicht die Absicht mich zurückzuziehen, solange ich noch irgendwie spielen kann.“

Cover Shuffle and Go

www.fairportconvention.com
www.davepegg.co.uk

Aktuelles Album: Shuffle And Go (Matty Grooves Records, 2020)

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