Tautumeitas

Singt mit Ehre, ihr Mädchen!

5. März 2020

Lesezeit: 4 Minute(n)

Weibliche Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Das stimmgewaltige lettische Frauenvokalensemble Tautumeitas tritt im Frühjahr zum ersten Mal bei folkBALTICA auf. Wenn sich die Sängerinnen vor drei Jahren auf der Branchenmesse WOMEX in Kattowitz allzu schüchtern präsentiert hätten, dann wäre das deutsche Label CPL-Music sicherlich nicht auf die selbstbewussten Musikerinnen aus Riga aufmerksam geworden.
Text: Eva-Maria Vochazer; Titelfoto: Peteris Viksna

Aber Lauma Bērza, eine der sechs Sängerinnen von Tautumeitas, punktete beim Gespräch mit Labelchef Christian Pliefke mit jeder Menge Charme und Selbstbewusstsein. Und einer fünfminütigen Intensiveinführung in die lebendige lettische Folkszene. Das war der Beginn einer wunderbaren musikalischen Partnerschaft. Pliefke nahm die Musikerinnen prompt unter Vertrag, reiste zwischenzeitlich sogar zu den Damen nach Riga und hat nach Tautumeitas von 2018 Mitte Januar mit Dziesmas No Aulejas — Songs From Auleja bereits das zweite Album von ihnen herausgebracht.

Die Sängerinnen machen sich auf dem neuen A-capella-Werk in den kleinen Ort Auleja nahe der weißrussischen Grenze auf, rund 250 Kilometer von der lettischen Hauptstadt Riga entfernt. Und das mit gutem Grund: Dort wurde Anfang der Vierzigerjahre mit Auleja Sivas eines der wichtigsten und einflussreichsten weiblichen Folkensembles der kleinen Baltenrepublik gegründet, und zwar von vier ausgesprochen starken Frauen und überaus talentierten Sängerinnen. Heute besteht Auleja Sivas bereits in der dritten Generation, und Marija Vasilveska, eine Sängerin der zweiten Generation, ist immer noch mit dabei.

In Auleja hat sich die traditionelle Musik der historischen Region Lettgallen erhalten, die vor den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges einen ausgeprägt multikulturellen Charakter hatte. Letten, Litauer, Polen, Juden, Weißrussen und Russen lebten hier meist friedlich zusammen. Vor siebzig Jahren wohnten rund 7.000 Menschen im Dorf, heute sind es nur noch 480. Landflucht und die politischen Umwälzungen haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Die musikalische Tradition ist hier aber nach wie vor sehr lebendig. „Es sind vor allem die anmutigen, luftigen Melodien und der sehr besondere mehrstimmige Gesang, der die Auleja-Tradition in Lettland zu etwas Besonderem macht“, berichtet Tautumeitas-Ensemblemitglied Asnate Rancāne.

In der Gegend hat sich ein archaischer Gesangsstil namens Bolsi erhalten. Übersetzt bedeutet das „Stimmen“. Traditionell wurden diese Bolsi gesungen, wenn Frauen gemeinsam ihrer Arbeit nachgingen, etwa bei der Heuernte. Es gibt auch spezielle Bolsi extra zu Ehren des lettischen Fruchtbarkeitsgottes Jumis oder für Hochzeiten. Geprobt wurde beim Ensemble Auleja Sivas traditionell bei den Sängerinnen zu Hause, manchmal sogar in der Sauna! Bei den Proben hatten sie meist ihre Handarbeiten dabei. Öffentlich aufgetreten ist das Ensemble aber erst bei Gesangsveranstaltungen in den Siebzigerjahren, als die Sängerinnen bei den lettgallischen Folkloretagen zu den „Königinnen des Abends“ ausgerufen wurden.

„Wir lieben es, unsere Wurzeln zu spüren und uns unseren Vorfahren eng verbunden zu fühlen.“

Tautumeitas – auf Deutsche etwa „Frauen in der Nationaltracht“ – fühlen sich der vielstimmigen Gesangstradition ihrer baltischen Heimat tief verpflichtet. Seit dem Jahr 2015 singen die sechs bereits gemeinsam. Vier der Ensemblemitglieder haben Ethnomusikologie an der lettischen Musikakademie studiert. Asnate Rancāne schloss ihr Studium im Jahr 2016 mit einer Bachelorarbeit ab. Ihr Thema: die Bolsi aus Auleja. Somit bestanden bereits langjährige Kontakte zum musikalischen Dorf. Für ihren Bachelorabschluss organisierte Rancāne auch ein Konzert, das als ursprüngliche Inspiration für das Album Songs From Auleja gelten kann. Eine blendende Idee, denn so können wir den lebhaften „Frühlings-Bols“ kennenlernen, den Bols zum Beerenpflücken und natürlich auch den Mitsommer-Bols, der dem Fruchtbarkeitsgott Jumis huldigt. Ganz klar: Ohne die Bolsi aus Auleja würde uns etwas fehlen!

Einer der Höhepunkte der Songs From Auleja ist das bewegende Lied „Ar Gūdeni Dzīdit, Meitys!“, übersetzt „Singt mit Ehre, ihr Mädchen!“. Ganz klar, die Sängerinnen von damals und heute drücken hier ihre Persönlichkeit durch ihre Stimmen aus. „Wir lieben es, unsere Wurzeln zu spüren und uns unseren Vorfahren eng verbunden zu fühlen“, erzählt Asnate Rancāne. Tautumeitas wollen daran erinnern, dass sich unsere Gefühle auch heute kaum von denen der Menschen aus früheren Generationen unterscheiden. „Wir sprechen über die gleichen Dinge. Nur wussten unsere Vorfahren mehr als wir heute. Sie wussten alles über die Natur und die Religion. Sie räumten der Gesellschaft und der Familie in ihrem Leben einen sehr hohen Stellenwert ein. Heute wissen wir sehr viel weniger als unsere Vorfahren, und dieses Wissen geht in diesen Tagen immer noch weiter verloren. Ohne dieses Wissen aber werden wir immer schwächer“, macht Rancāne deutlich. Die Bedeutung der Volksmusik kann in Lettland übrigens nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie gilt als Wiege der nationalen Identität. „Singen ist unser Leben, ganz egal, ob wir auf der Bühne stehen oder nicht“, betont die Musikerin. Und an eine Sache glauben Tautumeitas ganz fest: dass Musik die Welt zu einem besseren Ort macht.

In ihrer lettischen Heimat sind die sechs temperamentvollen jungen Frauen von Tautumeitas bereits gefeierte Newcomerinnen und wurden mit verschiedenen Nachwuchspreisen ausgezeichnet. Und von wegen alte Zöpfe! Das euphorische, das Leben feiernde „Sadziedami“ vom Debütalbum schaffte es in Lettland im Sommer sogar in die offiziellen Single-Top-Ten. Ein Video, in dem die jungen Frauen in ihrer traditionellen Tracht auf ihre ganz eigene Weise Werbung für die lettische Supermarktkette Rimi machten, wurde vielfach angeklickt. Tradition kann also auch aufregend klingen. Und unbeschreiblich weiblich. Selbst bei ihren Bühnenoutfits verbinden die Sängerinnen Tradition und Moderne: Die kunstvollen Textilkronen, die sie bei ihren Liveauftritten tragen, wurden von der bekannten lettischen Kunsthandwerkerin Brigita Stroda entworfen.
Bei ihrem deutschen Labelchef haben die sechs Damen übrigens inzwischen für eine modische Revolution beim Schuhwerk gesorgt: Christian Pliefke trägt neuerdings im Sommer mit Vorliebe Pastalas, den traditionellen lettischen Nationalschuh. Pastalas sind Schnürschuhe ganz aus Leder, die entfernt an Ballettschuhe erinnern. Sie stehen übrigens auch Männern ausgezeichnet und sind ebenso luftig wie bequem. Weibliche Hartnäckigkeit zahlt sich eben aus.

www.tautumeitas.lv

Aktuelles Album:

Dziesmas No Aulejas – Songs From Auleja (CPL-Music, 2020)

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